Presse zum Kahlschlag am Wüstegarten

„Wir wissen, dass es nicht üblich ist, gleich so viel Wald zu roden.“
Karl-Gerhard Nassauer

„Radikal: Fünf Hektar Fichtenwald in Jesberg gerodet“ – Presseartikel auf Lokalo24.de vom 25. November 2015

Am gleichen Tag wie in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen erscheint in der Online-Ausgabe von Lokalo24.de für den Schwalm-Eder-Kreis ein zweiter Presseartikel über den Kahlschlag. Er stammt von Gabriela Grau. ((Der Name stammt aus einer älteren Version des Artikels im Internet. In der aktuellen Version fehlt er.)) Über dem Artikel steht ein Foto des Kahlschlags, das vom Kellerwaldturm aufgenommen wurde. Es hat den fett gedruckten Untertitel:

„Wenn die Natur blutet: Hessen Forst, Forstamt Jesberg und Zweckverband Naturpark Kellerwald-Edersee roden fünf Hektar Fichtenwald.“

Radikal: Fünf Hektar Fichtenwald in Jesberg gerodet

Jesberg. Wer in den vergangenen Tagen einen Spaziergang zum Kellerwaldturm gemacht hat, wird eine neue Lichtung entdeckt haben. Ein fußballfeldgroßes Stück Fichtenwald wurde am höchsten Punkt des Kellerwaldes gerodet. „Eine naturschutzfachliche Maßnahme“, sagt Karl Gerhard Nassauer vom Forstamt Jesberg. „Eine Vergewaltigung der Natur“, sagen Förster Otto Werner ((= Werner Otto, siehe Anmerkungen)) und Lothar Klitsch, Vorsitzender des Vereins für Heimat und Kulturgeschichte im Schwalm-Eder-Kreis.

Zurück zu den Ursprüngen

Die Lage, der Boden und das Klima des Kerngebiets „Hoher Keller“ sei speziell. „Der Standort rund um den Wüstegarten ist sehr trocken und steinig“, erklärt Karl Gerhard Nassauer, Leiter des Forstamts Jesberg. „Vor etwa 40 Jahren wurden dort Fichten gepflanzt, um die Fläche mit produktivem Wald zu füllen. Eigentlich würde diese Baumart dort nicht wachsen“, sagt Nassauer. Daher sei die Fläche dort freigelegt worden, um der Natur dort Raum zu geben, sich nach ihren eigenen Gesetzen zu entfalten. Denn eigentlich sei der Kellerwald ein Buchenwald und außerdem solle er sich auch wieder entwickeln dürfen.

„Wir wissen, dass es nicht üblich ist, gleich so viel Wald zu roden“, räumt Nassauer ein. Jedoch stünden die Mittel derzeit zur Verfügung und deshalb habe sich das Forstamt in Zusammenarbeit mit HessenForst und dem Zweckverband Naturpark Kellerwald-Edersee für diesen massiven Schritt entschieden – der jedoch noch dem Naturschutz entspricht. Möglich war dieser Eingriff in die Natur durch das Naturschutzgroßprojekt, das sowohl vom Bundesamt für Naturschutz als auch vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fachlich und finanziell unterstützt wird.

Gut Ding braucht Weile

„Natürlich würden an dieser Stelle keine Fichten wachsen“, stimmt Förster Otto Werner zu. „Jedoch war der Eingriff in die Natur viel zu rabiat. Wir hätten es verstanden, wenn teilweise gerodet worden wäre.“ Die Natur würde die Wunde, die ihr zugefügt wurde, zwar nach und nach wieder schließen, das würde jedoch lange Zeit dauern. „In den 40 Jahren haben sich in diesem Fichtenwald viele Tier- und Pflanzenarten angesiedelt“, erklärt Lothar Klitsch, auch bekannt als „Kellerwalddruide“ und Vorsitzender des Vereins für Heimat und Kulturgeschichte. „Der Bärlapp steht beispielsweise auf der roten Liste gefährdeter Pflanzenarten.

Das Nahrungsangebot des Fichtenkreuzschnabels und der Wohnraum des Wintergoldhähnchen wurden ohne Rücksicht auf Verluste in der Flora und Fauna entfernt“, ergänzt Klitsch. Das Naturschutzgroßprojekt laufe Ende des Jahres aus. Daher müssten die Fördermittel nun gesichert werden. „Die Einzigen, die von dieser Vergewaltigung der Natur profitieren, sind die Hackschnitzelindustrie und das Forstamt“, behaupten Klitsch und Werner.

„Mit dem Vorgehen wurden Einnahmen gesichert, die eigentlich erst in 60 Jahren erreicht würden.“ Dann nämlich hätten die Fichten ihre Hiebreife (Anmerk. d. Red.: der Baum hat den forstwirtschaftlich relevanten Durchmesser erreicht und kann gerodet werden) erreicht und wären dementsprechend wertvoll. Mit 40 Jahren hingegen eigneten sie sich nur als Hackschnitzel.

+++ EXTRA-INFO: Naturschutzgroßprojekt +++

Im Naturpark Kellerwald-Edersee sollen einzigartige Landschaftselemente mit einer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt für die Nachwelt gesichert werden. Die Naturschutzmaßnahmen sollen zur Wertschöpfung in der Region beitragen und zur umweltverträglichen Regionalentwicklung beitragen.

Der Hohe Keller zeichnet sich durch Buchenwälder, naturnahe Bäche, Kleinmoore, Felsklippen, Blockhalden und Felsheiden aus. Ziel ist es ein großes, naturnahes und strukturreiches Waldgebiet zu schaffen. Um in den Laubwäldern den Erhalt von Altbäumen zu erreichen, sollen die Nadelwälder behutsam in Nadelwälder (gemeint sind natürlich Laubwälder, F.-J. A.) umgewandelt werden. Blockhalden, Felsheiden und Moore, die hoch spezialisierten Arten als Lebensraum dienen, werden aus der Nutzung genommen und teilweise einer natürlichen Entwicklung überlassen. Am „Wüstegarten“ wird Nadelgehölz behutsam entfernt und damit die Umwandlung in Laubwald eingeleitet.

Mehr Infos auf www.naturschutzgrossprojekt-kellerwald.de

Anmerkungen

Auch dieser Artikel stand im März 2017 noch im Internet: Radikal: Fünf Hektar Fichtenwald in Jesberg gerodet. Hier können Sie eine PDF-Datei des Artikels herunterladen: Radikal: Fünf Hektar Fichtenwald in Jesberg gerodet.

In den Artikel hat sich ein Namensdreher eingeschlichen: Der „Förster Otto Werner“ ist in Wahrheit der pensionierte Förster Werner Otto. ((siehe Erinnerungen an Köhler im Kellerwald, Waldeckische Landeszeitung vom 23.5.2011)) So wie Klitsch ist auch Otto Vorsitzender eines Heimat- und Geschichtsvereins; es ist der HGV von Dodenhausen im Kellerwald.

Kommentar

Der Artikel von Gabriela Grau ist deutlich kritischer als der von Claudia Brandau: Dem Forstamtsleiter Nassauer stehen mit Förster Otto und Vereinsvorsitzenden Klitsch gleich zwei Kritiker gegenüber und diese bekommen im Artikel auch den gleichen Raum wie Nassauer zugewiesen. Auch dass mit Werner ausgerechnet ein Förster, also ein Mann vom Fach, den Kahlschlag kritisiert, stärkt die Position der Kritiker. Merklich getrübt wird dieser positive Gesamteindruck durch den großen Absatz mit sogenannten „Informationen“ zum  Naturschutzprojekt. Denn dort zitiert Grau wortwörtlich und ohne Quellenangabe von der offiziellen Webseite des Naturschutzgroßprojekts: Maßnahmen – Hoher Keller – Wüstegarten, so als ob dies ein neutrale Informationsquelle wäre. Dadurch wird aus der „Vergewaltigung der Natur“ und einem „rabiaten Eingriff“ (Werner und Klitsch) eine „behutsame Entfernung von Nadelgehölz“.

Interessant ist der folgende Satz von Forstamtsleiter Nassauer:

„Denn eigentlich sei der Kellerwald ein Buchenwald und außerdem solle er sich auch wieder entwickeln dürfen.“

Plötzlich ist das Entwicklungsziel nicht mehr ein Birken-Ebereschen-Blockwald, sondern ein Buchenwald. Offenbar haben die Verantwortlichen keine klare und deutliche Vorstellung davon, welcher Wald am Wüstegarten natürlicherweise wachsen würde. Je nachdem, wer wann spricht, wechseln die Lebewesen, die von dem Kahlschlag angeblich profitieren würden: mal sind es Ebereschen und Birken, mal Flechten, Zwergsträucher und Borstgras (Informationstafeln), mal Ebereschen, Birken und Bergahorn (Bartsch), mal Buchen (Nassauer, Bartsch).

Nassauer spricht von den zur Verfügung stehenden „Mitteln“. Konkrete Zahlen nennt er nicht. Fast möchte man meinen, Förster bekämen bereits im Studium eingebläut, grundsätzlich nicht über Geld zu reden. Nie. Und schon gar nicht mit Laien. Dabei steht dem Naturschutzgroßprojekt sehr viel Geld zur Verfügung. In der zweiten Förderphase Oktober 2009 bis Dezember 2015 waren es:

„Davon kann man schon mal essen gehen!“ ((Das Zitat stammt von Ken Jebsen.))

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