Indian Summer im neuen Urwald am Steinfleckberg

Einleitung

Will man in Deutschland durch einen richtigen Urwald wandern, dann verlangt man das Unmögliche. Denn einen Wald, in dem noch nie Bäume gefällt wurden, gibt es in Deutschland nicht mehr. Für gewöhnlich nehmen Naturliebhaber dann weite Wege in Kauf, um einen Urwald zu erleben: sie fahren z. B. nach Rumänien oder in die Ukraine. Dort gibt es noch Wälder, die nie eine Säge gesehen haben.

Sekundärer Urwald am Steinfleckberg

Aber so weit fahren muss man gar nicht. Denn es gibt in Deutschland Wälder, die sich langsam in ihren natürlichen Zustand zurückentwickeln, sog. sekundäre Urwälder. ((siehe Nationalpark zeigt: “Auftrag erfüllt”, Mittelbayerische vom 26.9.2015)) Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist rund um den Steinfleckberg im südlichen Teil des Nationalparks. Besonders reizvoll ist der Anblick im Herbst: viele sprechen zu Recht vom Indian Summer im Nationalpark.

Die Seite ist gegliedert in folgende Abschnitte:

Geschichte des neuen Urwalds

Der Nationalpark Bayerischer Wald wurde 1970 als erster Nationalpark in Deutschland gegründet. Von 1986 – 1991 kommt es nach Windwürfen zu einer ersten Massenvermehrung des Borkenkäfers. ((siehe Das Fichtensterben am Lusen)) Rund 200 ha Fichten sterben ab. Ein kalter Mai stoppt den Käfer 1991. Die Nationalparkverwaltung glaubt aufatmen zu können. Das stellt sich als Irrtum heraus. Denn 1992 – 2001 kommt es zu einer zweiten Massenvermehrung; und diesmal sterben allein 1996 827 ha ab. Insgesamt fallen dem Käfer 3.600 ha zum Opfer.

Die Presse ist voll von Titelgeschichten, die den Weltuntergang prophezeien: „Der Käfer darf weiter wüten“, „Vorsicht! Buchdrucker im Anmarsch!“, „Die Bannwälder des Todes dehnen sich aus“, „Unsere Heimat geht zugrunde“, „größter Baumfriedhof Europas“. Ein unrühmlicher Höhepunkt ist 1997 der berühmte Artikel im STERN mit der Überschrift „Kaputtgeschützt“:

„Aus dem ehemals „grünen Dach Europas“ ist ein gigantischer Baumfriedhof geworden. Ungehindert breitet sich der Borkenkäfer aus. […] Gut möglich, daß dort, wo vor wenigen Jahren noch ein grünes Dach war, für immer eine Tundra zurückbleibt.“

Bei vielen Anwohnern in den Dörfern rund um den Nationalpark geht die Angst um. Und auch die Wut. Bei Informationsveranstaltungen schreit man aufeinander ein und einige würden den Chef des Nationalparks, Hans Bibelriether, am liebsten lynchen. Aber dieser bleibt standhaft. Er ist überzeugt davon, dass man den Käfer fressen lassen muss. Damals prägt er das berühmten Satz, der zum Motto aller deutschen Nationalparks geworden ist: „Wir müssen Natur Natur sein lassen!“

Rückendeckung erhält Bibelriether von seinem Vorgesetzten Hans Eisenmann, dem Bayerischen Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Von ihm stammt der Ausspruch: „Der Nationalpark Bayerischer Wald soll ein Urwald für unsere Kinder und Kindeskinder werden!“ Und genau diesen Urwald kann man heute bei einer Wanderung rund um den Steinfleckberg bewundern. Ganz besonders zauberhaft ist der Anblick im Herbst: Wanderer schwärmen vom Indian Summer im Nationalpark.

Nach oben

Wanderparkplatz und zwei Wanderwege

Wir starten unsere gut 10 km lange Rundwanderung am Wanderparkplatz Schwarzbachbrücke. Dieser liegt nahe des Dorfs Finsterau ganz am östlichen Rand des Nationalparks. Wir wandern Richtung Lusen auf dem Finsterauer Lusensteig. Der Steig verläuft parallel zum Großen Schwarzbach. An einer Wegkreuzung geht es links über die Schwarzbachbrücke zum Lusen. Wir aber halten uns weiter geradeaus auf der Schwarzbachstraße. Der geschotterte Forstweg ist zwar nicht ausgeschildert, wird aber von vielen Einheimischen gegangen. Im Westen liegt der 1341 m hohe Steinfleckberg, im Osten der 1203 m hohe Farrenberg.

Der Forstweg endet an der Diensthütte an der Schwarzbachklause. Dort überqueren wir auf einer einfachen Brücke den Großen Schwarzbach und biegen wir in westlicher Richtung auf einen schmalen Pfad ab. Auch dieser Weg, der uns rund um den Steinfleckberg führt, ist nicht ausgeschildert.

Zwischen dem 15.7 und 15.11 ist nicht verboten, ihn zu gehen, und ortskundige Einheimische tun das auch. In der übrigen Zeit geht der Schutz der Auerhühner vor. Die Nationalparkverwaltung erlaubt nicht nur die Benutzung des Wegs, sie erleichtert es sogar: die Fichten, die über den Weg gefallen sind, sind durchgesägt und auch wenn es durch einen neu entstehenden Urwald geht, so ist der Weg doch sehr gut zu gehen und auch leicht zu finden.

Wir überqueren den Kirchlinger Stand, eine große Wiese, und wandern in südlicher Richtung weiter. Unten im Tal verläuft der Kleine Schwarzbach. Der Weg endet wieder auf dem Finsterauer Lusensteig. Geht man diesen nach Osten, kommt man auf kurzem Weg wieder zum Parkplatz zurück.

Man kann den Weg aber auch verlängern und zum 1373 m hohen Lusen aufsteigen. Dann kann man im Lusenschutzhaus einkehren. Von dort geht es über den Tummelplatz zurück zum Parkplatz.

Nach oben

Fotos vom Farren- und Steinfleckberg

Farrenberg

Steinfleckberg

Nach oben

Fotos vom Totenkopf, Moorkopf und Moorberg

Totenkopf

Moorberg

Nach oben

Vögel, Käfer und Flechten am Steinfleckberg

Von den unzähligen Tier- und Pflanzenarten, die von den nicht geräumten Borkenkäferflächen profitieren, sei hier nur eine kleine Auswahl vorgestellt. ((Die nachfolgenden Informationen stammen in dem zauberhaften Kinderbuch von Thomas Michler und Susanne Zuda: Die Wilden 14 – Die unglaubliche Reise der Urwaldkäfer im Bayerischen Wald und aus dem Informationsheft Totholz – Reichtum des Waldes – Ein Streifzug durch die Natur des Böhmerwaldes von Jitka Zenáhlíková, Jaroslav Červenka u. a., Národní park Šumava, 2017))

Vögel

Der Gartenrotschwanz brütet in den vielen Spechthöhlen und frisst die Insekten auf den vielen Blütenpflanzen, die auf den offenen Stellen im aufgelockerten Wald wachsen.

Phoenicurus phoenicurus male(js)

Der Dreizehenspecht ist auf Holzkäfer spezialisiert, die die riesigen Mengen Totholz besiedeln.

Picchio tridattilo (Picoides tridactylus)

Der Sperlingskauz ist ein Nachmieter in den Spechthöhlen.

Glaucidium passerinum 20110413

Der Habichtskauz brütet ganz oben in abgebrochenen Baumstümpfen. Die Urwaldeule galt seit 1926 als ausgestorben, wurde aber erfolgreich im Nationalpark wiederangesiedelt.

Strix uralensis, Kotka, Finland 1

Käfer

Ebenfalls seit 100 Jahren als ausgestorben galt der Bindige Schnellkäfer (Danosoma fasciata). Die Larven brauchen nicht nur dickes, sondern auch besonntes Fichtentotholz. 2006 wurde er im Nationalpark wiederentdeckt. 2008 wurde er sogar in einer Badewanne entdeckt – und zwar in der von Thomas Michler entdeckt: Einem Laien wäre der Käfer vermutlich gar nicht aufgefallen, aber Michler, pädagogischer Mitarbeiter des Nationalparks. kennt sich ganz besonders gut mit Käfern aus. ((siehe Grafenauer findet sehr seltenen Urwald-Käfer in der Badewanne))
Lacon fasciatus = Danosoma fasciatum

Moose

Das seltene und bedrohte Grüne Koboldmoos (Buxbaumia viridis) braucht starkes Totholz, besonders das der Fichte.
Buxbaumia viridis 051214Auch das Hellers Kahnblattmoos (Anastrophyllum hellerianum) ist selten und ein Spezialist, der nur an Totholz vorkommt.
Anastrophyllum hellerianumHäufig und bekannt ist dagegen das Zypressenschlafmoos (Hypnum cupressiforme), das ganze Teppiche ausbildet.
Moos Baumstamm Ilz

Flechten

Die Rotfrüchtige Säulenflechte (Cladonia macilenta) ist auf Totholz häufig zu finden. Sie hat sehr dünne Stämmchen und auffällige rote Fruchtkörper.
Cladonia macilenta
Auch die Schuppen-Hundsflechte (Peltigra praetextata) ist auf Totholz häufig und bildet dort flächige Bestände.
Peltigera praetaxtata 210908

Nach oben

Film über den Steinfleckberg

Nach oben

Schluss

Am 26. Juli 2002 schrieb der Geschäftsführende Vorsitzende der Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes, Herr Geier, einen Brief an den Landrat von Freyung, Herrn Muthmann. ((siehe Dr. Franz Leibl, Entwicklungen im Nationalpark Bayerischer Wald, Nürtingen 2013)) Darin lesen wir:

“Die propagandistischen Behauptungen der Nationalparkverwaltung, in den Hochlagen würde flächig eine natürliche Verjüngung stattfinden und neue Bäume nachwachsen, ((Grammatikfehler im Original)) ist völlig haltlos und gehört in den Bereich der Sagen und Märchen.”

Ich werde das nicht kommentieren.

Nach oben

Weitere Informationen

Mehr Hintergrundinformationen zum Nationalpark Bayerischer Wald und zur Borkenkäfermassenvermehrung der 80er und 90er Jahre finden Sie hier: