Darf man Spechtbäume fällen?

Einleitung

Empfehlungen, die Naturschützer den Förstern geben, sind häufig unübersichtlich und nicht eindeutig. Ein Beispiel ist die Empfehlung zu Spechthöhlen im Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald. Naturschutzziele und Bewirtschaftungsempfehlungen für reife Buchenwälder Nordostdeutschlands:

“Bäume mit Höhlen von Grün- und Schwarzspecht werden […] ausnahmslos erhalten. Weitere Specht- und Asthöhlen sollen ebenfalls weitgehend erhalten werden, insbesondere dort, wo Großspechthöhlen selten sind.” ((S. 100))

Was bedeutet es genau, Spechthöhlen “weitgehend” zu erhalten? Welche Spechthöhlen müssen erhalten werden, welche nicht? Welche Höhlenbäume sind tabu? Welche dürfen gefällt werden? Wie unterscheidet man das?

Nicht nur vielen Förstern fällt die Unterscheidung schwer. Auch forstliche Laien haben Schwierigkeiten: Angenommen, auf einem Holzpolter am Wegesrand liegt ein Baumstamm mit einer Spechthöhle. Durfte der Baum jetzt gefällt werden? Sterben nun die Spechte im Wald aus? Hat der Förster einen Fehler gemacht? Ist der Förster ein Dummkopf? Oder denkt er nur ans Geld und Spechte sind ihm egal?

Der Leiter des Prozessschutzreviers Quierschied, Roland Wirtz, kann diese Fragen beantworten. Für sein Revier hat er ganz konkrete und unmissverständliche Regeln aufgestellt, welche Spechtbäume tabu sind und welche gefällt werden dürfen. Im Anhang finden Sie die von Wirtz ausgearbeitete Handlungsanweisung für Spechthöhlen, die für den gesamten Landesbetrieb SaarForst gilt.

Die Seite ist gegliedert in folgende Abschnitte:

Hinweise:

1.
Die Fotos entstanden im Revierteil Eppelborn ((zur Größe und zur Bewirtschaftung siehe Prozessschutzrevier Quierschied)) in der Nähe des Landhotels Finkenrech und des Umwelt- und Freizeitzentrum Finkenrech der Gemeinde Eppelborn.

2.
Spechthöhlen zu entdecken ist für den ornithologischen Laien sehr schwierig. Die Höhlenöffnungen sind weit entfernt, klein und dunkel und mit bloßem Auge und ohne Fernglas ganz schwierig im dunklen Wald zu erkennen – zumal, wenn kein Buntspecht vor der Höhle sitzt und gerade seinen lärmenden Jungvögel füttert.

Buntspecht (Dendrocopos major).Geschützter Landschaftsbestandteil Schubertgrund. 2H1A1645WI

Ich danke Herrn Wirtz und seinem Kollegen Herrn Backes ((Revier Rastpfuhl/Püttlingen)) für ihre Geduld und ihre Hilfe. Ohne sie hätte ich die Höhlen nie entdeckt.

3.
Ich habe leider kein professionelles Teleobjektiv für mehrere 1.000 €, kein professionelles Stativ und auch keine teure moderne Kamera. “Perfektion für alle” ((Werbeslogan von SONY für die neue Sony α 7 iii für über 2.000 €)) kann ich mir nicht leisten. Die Fotos der Spechthöhlen auf den nächsten Seiten sind nicht perfekt und wurden von Hand mit einer einfachen und alten Digitalkamera gemacht. Ich hoffe, die Spechthöhlen sind trotzdem zu erkennen oder zumindest zu erahnen. Die beste Ehefrau von allen hat Recht: Es muss nicht immer alles perfekt sein.

Buntspechthöhlen in der Eichenkrone

Buntspechthöhlen in der Eichenkrone sind ein sehr häufiges Strukturelement. Sie sind so häufig, dass sie geradezu typisch sind für Eichenkronen. Irgendwo findet der Buntspecht fast immer einen faulen Ast und öffnet diesen. Das ist Standard bei der Eiche. Wenn man sich mit einem Fernglas sehr sorgfältig die Kronen von Eichen anschaut, findet man diese Buntspechthöhlen in jeder zweiten Eiche. Muss man jede Höhle schützen? Würde die Population der Spechte leiden, wenn man den Baum mit der Höhle ernten würde? Rein intuitiv ging Wirtz davon aus: Nein!

Das war zunächst eine gefühlsmäßige Vorstellung. Um diese zu überprüfen hat Wirtz den Rat von Experten geholt; u. a. von Prof. Volker Zahner. Er hat gemeinsam mit den Experten das Problem diskutiert. Die Experten haben Wirtz Einschätzung bestätigt: es ist populationsunwirksam, einen Eiche mit einer Buntspechthöhle in der Krone zu fällen. Hätten die Experten etwas anderes gesagt, hätte Wirtz mit den Zähnen knirschen müssen. Denn dann wäre jeder Spechthöhlenbaum tabu gewesen. Aber nein, man muss nicht jeden von ihnen schützen.

Genauso wenig wie jede Eiche mit einer Spechthöhle in der Krone geschützt werden muss, muss jede dieser Eichen auch gefällt werden: Nur, wenn der Baum eine tolle Qualität hat, sodass er ökonomisch hochinteressant ist, dann wird er genutzt. Hätte der Baum eine schlechte Qualität, dann wäre auch er tabu.

Wirtz zeigt auf ein konkretes Beispiel:

Eiche mit Spechthöhle (roter Pfeil) in der Krone

Die Höhle ist weit oben am Stamm neben dem abgestorbenen Kronenast, der nach rechts weist. Der Stamm selbst darunter hat noch Furnierqualität, weil die Höhle so weit oben am Stamm ist. Eine solche Eiche würde Wirtz ernten.

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Buntspechthöhlen am Stamm

Ganz anders liegt der Fall, wenn die Buntspechthöhle nicht in der Krone, sondern am Stamm ist. Denn wenn er am Stamm eine Höhle anlegt, kann man davon ausgehen, dass der Stamm innen faul ist. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die langjährigen Erfahrungen von Förstern: Wenn der Buntspecht pickt, kann man davon ausgehen, dass in dem Stamm schon die Fäule tobt. Dann nimmt Wirtz den Baum aus der wirtschaftlichen Nutzung heraus und erklärt ihn zum Tabubaum. Er hat sowieso keinen ökonomischen Wert mehr. Der ökonomische Wert vom Stamm tendiert gegen Null, ökologisch dagegen ist der Baum unheimlich wertvoll.

Wieder zeigt Wirtz ein konkretes Beispiel: Ohne dass wir unseren Standort im Wald verändern, macht er mich auf eine weitere Eiche aufmerksam, an deren linker Seite von oben her ein Buchenast fast senkrecht herunterkommt. Wenn man diesem folgt, dann sieht man die Höhle. Sie ist ganz klein, denn es ist eine Mittelspecht oder Buntspechthöhle; die sind nur so klein.

Buntspechthöhle (roter Pfeil) am Stamm einer Eiche

Der Buntspecht schafft es nicht – im Gegensatz zum Schwarzspecht – noch halbwegs intaktes Holz aufzuhauen. Der Schwarzspecht schafft das: zwar ist auch bei ihm der Pilz schon im Stamm drin, aber das Holz ist noch intakt.

Diese Eiche mit der Buntspechthöhle im Stamm bleibt also stehen. Sie ist die Ersatzwohnung für Höhlenbrüter, wenn der auf der vorigen Seite gezeigte Baum mit der Höhle in der Krone gefällt wird. Wenn die eine Höhle weg ist, ist in unmittelbarer Nachbarschaft schon die nächste da.

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Ersatz für gefällte Spechthöhlenbäume

In seinem Revier sorgt Wirtz für ausreichend viele Höhlen. Immer noch stehen wir an ein und derselben Stelle und er zeigt auf die dritte Höhle, diesmal an einer Buche. Die kleine Höhle liegt in der Mitte zwischen den zwei dicken Ästen, die nach rechts weisen. Der für den Laien äußerlich gesund wirkende Stamm ist innen hohl.

Buntspechthöhle (roter Pfeil) im Stamm einer Buche

Dies ist also schon die dritte Spechthöhle in unmittelbarer Nähe. Und Wirtz zählt munter weiter die Spechthöhlen an diesem einen Ort:

“Dort oben haben wir Nummer 4 und 5. Und da stehen jetzt noch Höhlenetagen. Man kennt die Höhlenetagen vom Schwarzspecht, aber das sind  kleine Höhlen vom Buntspecht; das wären dann Nr. 6, 7 und 8. Und von denen holen wir eine weg, das ist der Kompromiss zwischen Ökonomie und Ökologie.”

Höhlenetage (rote Pfeile) des Buntspechts in einer Eiche

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Schluss – Urwaldelemente im Wirtschaftswald

Revierleiter Wirtz ist ehrlich: Wenn er einen Baum mit einer Spechthöhle oben in der Krone fällt, dann vernichtet er ein Strukturelement, das im Urwald nicht vernichtet würde. Er plädiert dafür, das auch offen einzuräumen. Aber das Entscheidende ist, dass dieser Eingriffe populationsunwirksam beim Buntspecht ist, selbst beim Mittelspecht. So kann Wirtz abwägen zwischen Ökologie und Ökonomie und kommt zu sinnvollen, tragfähigen Kompromissen. Schließlich sucht er nach Lösungen für den Wirtschaftswald. “Urwald kann jeder!”, sagt er. “Zaun um den Wald und einfach nichts mehr machen!” Aber Wirtz will etwas anderes: Er will Holz ernten; er will einen Wirtschaftswald. Aber in diesen will er Urwaldelemente integrieren.

Das abschließende Fotos zeigt keinen Urwald in Rumänien oder in der Ukraine ((siehe Uholka)) und auch keinen deutschen Nationalpark, sondern den Wirtschaftswald Eppelborn im Revier von Herrn Wirtz.

Anhang – Handlungsanweisung Spechthöhlen von Saarforst

2016 hat Herr Wirtz eine verbindliche Handlungsvorgabe für Spechthöhlen geschrieben, die für den gesamten SaarForst Landesbetrieb gilt. Sie wird zukünftig auch Teil der überarbeiteten Biodiversitäts-Strategie sein. Die Handlungsanweisung könnte für Förster und private Waldbesitzer interessant sein, die sich nach meinem Artikel vielleicht besorgt die Frage beschäftigen: Welchen Baum darf ich überhaupt noch nutzen? Das Thema ist noch etwas komplexer, als ich es dargestellt habe.

Sie können diese Anweisung hier als PDF-Datei herunterladen: Handlungsanweisung Spechthöhlen.

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