Motive der Teilnehmer an der Großdemonstration am Hambacher Forst

“Klimaschutz ist wie der Osterhase. Es gibt ihn schlicht und ergreifend nicht.”
Niko Paech ((“Sehe ich aus wie ein Hippie?” – Interview mit Niko Paech, Tagesspiegel vom 25.11.2014))

Einleitung

Warum sind am 6.10.2018 mehrere 10.000 Menschen zum Hambacher Forst gekommen und haben ein Ende des Braunkohle-Tagebaus gefordert? Warum fand an diesem Tag “die mit Abstand größte Demo, die das Rheinische Braunkohlerevier je gesehen hat” statt ((Laut Veranstalter 50.000 Demonstranten am Hambacher Forst, Aachener Zeitung vom 6.10.2018)), wie Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND Nordrhein-Westfalen, feststellte. Was waren die Motive der Demonstranten? Ich möchte in diesem Artikel vier Motive näher beschreiben, von denen ich annehme, dass sie bei sehr vielen Demonstranten eine wichtige Rolle gespielt haben:

  • Sie wollten das Klima schützen.
  • Sie wollten den Wald schützen.
  • Einige wollten ein Umweltaktivist sein.
  • Einige wollten etwas gegen ihr schlechtes Gewissen tun.

Ich kenne diese Motive sehr gut; ich kenne sie von Freunden und Bekannten und von einer Person, die mir sehr nahe steht: von mir selbst. Schließlich wollte ich noch Anfang September persönlich an den Protesten im Hambacher Forst teilnehmen. Am liebsten hätte ich damals mehrere Tage dort verlebt und mich gleich bei mehreren Aktionen beteiligt. Doch im September habe ich meine Meinung geändert. Einen Grund für meinen Sinneswandel erkläre ich im vierten Kapitel: Ich bin ein Klimakiller und ich fürchte, die allermeisten Demonstranten sind es auch. Und Kohleaustieg und erneuerbare Energien ändern daran nichts. Gar nichts. Einige der Demonstranten – ich nenne sie die GRÜNEN-Wähler – wissen oder ahnen, dass sie Klimakiller sind. Sie nahmen an der Demonstration teil, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Die Seite ist gegliedert in folgende Abschnitte:

  1. Der Klimaschützer
  2. Der Waldschützer
  3. Der Umweltaktivist
  4. Der Klimakiller
  5. Der GRÜNEN-Wähler

1. Der Klimaschützer

Vor meinem Sinneswandel hätte ich begeistert mit den anderen Demonstranten für den Kohlestopp, für die Energiewende und für den Hambacher Forst demonstriert. Denn ich fühlte mich als ein aktiver Klimaschützer! Schon vor 15 Jahren hatte ich den Stromanbieter gewechselt und bezog seitdem sauberen, klimafreundlichen Ökostrom statt “dreckigen, klimaschädlichen Kohlestrom”. ((siehe Rettet den Hambacher Forst: 5 Dinge, die du jetzt tun kannst))

Ich kam mir immer ökologisch vorbildlich vor: “Schluss mit schmutzigem Kohle- und gefährlichem Atomstrom!” ((siehe Macht Schluss mit RWE: Diese Stromanbieter gehören zum Kohle-Konzern)) Ich fühlte mich gut, mein Gewissen war rein: Ich war ein Klimaschützer!

Vor 2 Jahren haben die beste Ehefrau von allen und ich eine sündhaft teure Photovoltaikanlage für das Dach unseres Hauses gekauft. Den Kredit werden wir zehn Jahre lang abbezahlen. Ich verschulde mich für den Klimaschutz! Und wenn die Solartechnik-Firma uns nicht von einem Batteriespeicher abgeraten hätte, weil der zu teuer sei und sich nicht rechnen würde, hätte ich noch einen Kredit aufgenommen. Und vermutlich hätte ich auch längst ein Elektroauto, wenn wir es uns leisten könnten; am liebsten natürlich einen TESLA, den mein Nachbar fährt – als Zweitwagen.

In der tropischen Hitze des Sommers rückte die Klimakatastrophe immer mehr in den Mittelpunkt. Täglich standen neue Hiobsbotschaften in der Tageszeitung. Ich wollte unbedingt etwas tun! Die Katastrophe rückte immer näher! Die Welt musste gerettet werden! Eine Großdemonstration gegen die Braunkohle wäre genau das Richtige gewesen. Und ich wollte zu den Guten gehören! RWE war der böse Großkonzern, und ich würde wie David gegen Goliath gegen ihn kämpfen und ihn mit 10.000 anderen Umweltaktivisten zur Strecke bringen!

2. Der Waldschützer

Seit Oktober 2012 gibt es diese Webseite. Seit sechs Jahren also engagiere ich mich jetzt für den Schutz des Waldes. In dieser ganzen Zeit habe ich noch nie an einer Demonstration für einen Wald teilgenommen: Es gab schlichtweg keine! Keine Demonstration bei der Zerstörung des Brinkmannswaldes in Bottrop! Keine Demonstration bei den Kahlschlägen im Nationalpark Harz! Keine Demonstration bei den Kahlschlägen im Nationalpark Bayerischer Wald! Keine Demonstration für einen Wald, nirgends! Und wenn es dann doch ausnahmsweise einmal eine Demonstration gab wie bei der Kundgebung für einen Nationalpark Steigerwald am 27.9. in München, dann kamen nicht einmal 50 Leute. ((siehe Videos von der Kundgebung zum Steigerwald in München)) Es war zum Verzweifeln! Und am 6.10. sollte eine Großdemonstration stattfinden! Mehrere 10.000 Menschen wurden erwartet. Eine große, machtvolle Demonstration für einen Wald! Sogar Peter Wohlleben hatte zur Demonstration aufgerufen: „Jetzt gegen die Braunkohle aufstehen“. Endlich ein Erfolg für den Waldschutz! Endlich ein Bericht über den Schutz des Waldes in der Tagesschau! Und im SPIEGEL! Und im STERN! Und ich wäre dabei gewesen!

3. Der Umweltaktivist

Noch vor vier Wochen wollte ich am Hambacher Forst nicht nur demonstrieren. Am liebsten hätte ich an einer Sitzblockade teilgenommen und mich von der Polizei wegtragen lassen. Und dann hätte ich einem Reporter vielleicht ein Interview gegeben und wäre ins Fernsehen gekommen. Oder ich hätte selbst ein Video gedreht, es auf Facebook veröffentlicht und ich hätte tausende von Klicks bekommen und wäre berühmt geworden. Und ich hätte mich wieder jung gefühlt – so jung wie zu Beginn der 80er Jahre, als ich an den Friedensdemonstrationen und an Sitzblockaden vor Atomwaffenlagern teilnahm. In einem Satz: Ich wollte einer dieser mutigen Umweltaktivisten sein!

Ich hatte also gleich drei Motive, an der Großdemonstration teilzunehmen: Ich wollte das Klima schützen. Ich wollte den Wald schützen. Und ich wollte ein Umweltaktivist sein. Und vermutlich hatten viele Demonstranten ganz ähnliche Motive. Aber bei mir ist alles ganz anders gekommen. Ich habe nicht an der Demonstration teilgenommen. Und das kam so:

4. Der Klimakiller

Die Einhaltung des 2°-Klimaschutzziels erfordert, dass jeder einzelne Mensch pro Jahr nur noch 2,5 t CO2 produziert. ((siehe Die Postwachstumsökonomie)) Durchschnittlich produziert jeder Bundesbürger aber 11,63 t CO2. Ihre eigene, ganz persönliche Klimabilanz können Sie leicht mit Hilfe des CO2-Rechners des Umweltbundesamts berechnen. Sehr ernüchternd ist auch die Berechnung der CO2-Emissionen mit Hilfe einer Excel-Tabelle. Von allen CO2-Rechnern am deprimierendsten ist derjenige, der den CO2-Ausstoß durch das Fliegen berechnet.

Es folgt eine unvollständige Liste meines ökologisch ruinösen und verantwortungslosen Verhaltens in den letzten 15 Jahren, in denen ich meinen persönlichen Ausstieg aus der Kohle vollzogen und Ökostrom bezogen habe. Mein Lebensstil war trotz Kohleausstieg und Ökostrom verheerend für das Klima:

  • In den 15 Jahren, in denen ich Ökostrom bezogen habe, bin ich über ein dutzend Mal mit dem Flugzeug kreuz und quer durch die Welt geflogen. Nie sind mir Zweifel gekommen, dass dies klimaschädlich sein könnte. Zweimal war ich in New York (4,5 t) ((alle Angaben pro Hin- und Rückflug)) und ich flog – natürlich mit Ryanair – zu fast allen wichtigen Städten Europas. Viele davon wie z. B. London (0,5 t), Rom (0,7 t) oder Venedig (0,4 t) besuchte ich gleich mehrfach. Zum Buchenurwald Uholka in der Ukraine bin ich 2016 selbstverständlich mit dem Flugzeug geflogen: Frankfurt – Lemberg (0,8 t).
  • Ich sah nicht den geringsten Widerspruch darin, Ökostrom zu beziehen und 6 Jahre lang einen Sportwagen zu fahren, der 12 l Super-Plus pro 100 km verbrauchte. Ich bin nicht etwa kurze Spritztouren am Wochenende gefahren sondern insgesamt 100.000 km. CO2-Produktion pro Jahr: 5,8 t.
  • In unserem viel zu großen Haus entfallen auf mich pro Jahr 1.000 l Heizöl (3,1 t).

Ich habe immer geglaubt, dass ich ökologisch bewusst und vorbildlich lebe. Ich gehörte zu den Guten. Ich war ein Klimaschützer; schließlich hatte ich ja Ökostrom und neuerdings sogar eine Solaranlage auf dem Dach. Und manchmal fuhr ich ja auch mit der Bahn: so z. B. 2017 in den Urlaub nach Berchtesgaden. ((siehe Rummelplatz Nationalpark Berchtesgaden)) Ich hatte eine ökologisch blütenweiße Weste. Und dann stolperte ich zufällig über das Buch von Niko Paech Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. ((siehe auch Kritik an den Protesten im Hambacher Forst – die Postwachstumsökonomie von Niko Paech)) Das hat alles verändert und das ist ein Grund, warum ich nicht an der Großdemonstration teilgenommen habe.

Ausblick

Einen zweiten Grund beschreibe ich in einem der nächsten Artikel: Der Wald war bei den Protesten immer nur ein Vorwand: ein grünes Deckmäntelchen. Er war nie Zweck an sich, sondern immer nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck war: Kohleausstieg und Energiewende und Klimaschutz.

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