6 Unterschiede zwischen Urwald und Wirtschaftswald

Totholz

In Urwäldern ist die Menge an Totholz größer als in Wirtschaftswäldern. Aber die Quantität ist nicht der einzige Unterschied, auch die Qualität des Totholzes ist verschieden. Das Totholz in Urwäldern ist von großer Vielfalt:

“Die kontinuierliche Produktion von Totholz in den unterschiedlichen Waldentwicklungsphasen ermöglicht eine Anreicherung von Totholz mit einer hohen Vielfalt von Positionen, Zersetzungsstadien, Durchmessern, Baumarten und Sonneneinstrahlungen.” ((S. 592, Hervorhebungen von F.-J. A.))

In einem Urwald wird Totholz am laufenden Band produziert; es ist ein Irrtum anzunehmen, es würde nur dann entstehen, wenn ein Sommersturm viele Bäume umwirft, oder wenn einzelne, alte Baumveteranen absterben und zusammenbrechen.

“Schon während der Regenerationsphasen können erhebliche Mengen von Totholz erzeugt werden über den Ausschluss junger Bäume durch die Konkurrenz.” ((ebd.))

In diesem Zusammenhang weisen Lachat und Müller auf ein wichtiges Problem hin: Je nach Messmethode kann die gemessene Totholzmenge erheblich variieren.

“Verschiedene Inventurmethoden können die Menge des gemessenen Totholzes beeinflussen.” ((ebd., Hervorhebungen von F.-J. A.))

Ein aussagekräftiges Beispiel für den Einfluss der Inventurmethode bietet die Bundeswaldinventur 3 (BWI3):

“Von der BWI2 zur BWI3 wurde die Erfassungsschwelle für stehendes und liegendes Totholz von 20 cm auf 10 cm Durchmesser abgesenkt, und auch die Erfassungskriterien für Wurzelstöcke wurden verändert.” ((Michiels Hans-Gerhard, Cullmann Dominik (2015): Naturschutzfachliche Ergebnisse der BWI3 – Biodiversität, Naturnähe, Totholz. FVA-einblick 1/2015, S. 14-17, Hervorhebungen von F.-J. A.))

Dies führt dazu, dass die Totholzmenge im Staatswald 24 m3/ha beträgt, wenn man sie mit der Methode der BWImisst. Fast 50% höher ist sie mit der Methode der BWI3; sie beträgt dann 34 m3/ha. ((a. a. O., Abb. 9)) Lachat und Müller weisen auf ein weiteres Problem hin:

“Hinzu kommt, dass sowohl die Größe als auch die Anzahl der Stichprobenflächen die Ergebnisse einer Totholz-Inventur erheblich beeinflussen, besonders weil Totholz normalerweise sehr unterschiedlich verteilt ist. Deshalb ist Vorsicht angebracht, wenn man unterschiedliche Totholzmengen verschiedener Studien vergleicht.” ((ebd., Hervorhebungen von F.-J. A.))

Am Ende ihres Kapitels präsentieren die beiden Autoren dann Zahlen zur minimalen und zur maximalen Menge an Totholz in Ur- bzw. Naturwäldern (engl. primary or natural forests). Für die Wälder der gemäßigten Klimazone beträgt der untere Bereich (engl. Deadwood lower range) 32 und der obere Bereich 345 m3/ha (engl. Deadwood upper range). Beide Zahlen machen überdeutlich, wie sehr sich bewirtschaftete Wälder von Urwäldern unterscheiden: Im Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald ((Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg (Hg.), Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald. Naturschutzziele und Bewirtschaftungsempfehlungen für reife Buchenwälder Nordostdeutschlands, 22016, S. 142, Hervorhebungen von F.-J. A.)) stellen Susanne Winter und ihre Mitautoren die u. a. beiden folgenden “Bewirtschaftungsempfehlungen” auf:

  • “Im Durchschnitt über 20 m3 […] Totholz pro ha […] vorhalten […].
  • In FFH- und Naturschutzgebieten mindestens 40 m3 Totholz pro ha vorhalten.”

Auch Landesforstbetriebe wie z. B. Wald und Holz NRW oder die Bayerischen Staatsforsten arbeiten mit genau diesen Zahlen. ((siehe Kerninhalte der Biotopholzstrategie “Xylobius” und Naturschutzkonzept der Bayerischen Staatsforsten)) Aber selbst mit 40 m3 Totholz bewegt man sich ganz am unteren Rand der Mengen, die in Urwäldern der gemäßigten Klimazone gemessen wurden. So beträgt die Totholzmenge, die im Buchenurwald von Uholka ermittelt wurde, 180,5 ± 12,9 m3 ((B.; Brändli, U.-B.; Hamor, F.; Lavnyy, V. (eds), 2013: Inventory of the largest primeval beech forest in Europe. A Swiss-Ukrainian scientific adventure. Birmensdorf, Swiss Federal Research Institute WSL; L’viv, Ukrainian National Forestry University; Rakhiv, Carpathian Biosphere Reserve, Tab. 6.4, S. 46)) Niemand käme auf die Idee, für ein Aquarium mit tropischen Fischen eine Temperatur von 6°C zu empfehlen. Aber so ähnlich kommt es mir vor, wenn für Totholzkäfer die Menge von 40 m3 Totholz als “Naturschutzziel” ausgegeben wird.

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