Kahlschlag im FFH-Gebiet “Wälder bei Porta Westfalica”

Sonntag, der 12.11.2023

Sonntagmorgen um 10 Uhr fahre ich wieder zur B482. Diesmal parke ich auf dem großen Parkplatz am Bahnhof. Niemand ist zu sehen: kein Arbeiter vom Bauhof, keine Waldarbeiter und auch keine Absperrungen. Nichts. Dabei sollte doch heute folgendes passieren:

“An diesem Wochenende werden die schweren Holzstämme aus dem Hang gezogen und an die dafür vorgesehenen Stellen verräumt.”

So hatte es das Mindener Tageblatt bzw. “die Stadt Porta Westfalica” bzw. “die Verwaltung” noch am 10.11. angekündigt.1Großflächiger Pilzbefall: Mehr Bäume als geplant an der B482 in Porta gefällt.

Und so bleiben “die schweren Holzstämme” auf dem Hang liegen. Von ihnen geht offensichtlich keine Gefahr aus. Sie rutschen nicht den Hang hinunter. Gefährlich sind Bäume offenbar immer nur dann, wenn sie stehen. Liegen sie dagegen am Boden, ist alles gut.

Was das Mindener Tageblatt nicht schreibt und auch “die Verwaltung” mit keinem einzigen Wort erwähnt, ist, dass der “Steilhang zwischen der B482 und der Portakanzel am Jakobsberg” zum FFH-Gebiet “Wälder bei Porta Westfalica” gehört”. Es gehört also zu einem Naturschutzgebiet2Für weitere Informationenn siehe z. B. Bundesamt für Naturschutz – Natura-2000-Gebiete oder Natura 2000-Gebiete in Nordrhein-Westfalen und ist gut untersucht.

Natura 2000-Gebiete in Nordrhein-Westfalen – Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW)

Die rot gefärbten Flächen gehören zum Schutzgebiet – und das reicht zweifelsohne bis an die B482 heran. Die Karten des LANUV sind eine wahre Fundgrube:

“Weitere Kartenlayer können Sie über den Button “Themen” hinzuladen.”

Klickt man rechts oben bei “Themen” unter “Landschaftsinformationen” die “FFH-Lebensraumtypen” an, ergibt sich folgendes Bild:

Klickt man “Legende” an wird deutlich, welche Lebensraumtypen an dem Hang an der B482 vorkommen:

  • Die hellgrünen, weiß gepunkteten Flächen stehen für den Lebensraumtyp mit der Nummer 9130: Waldmeister-Buchenwald.
  • Die olivgrünen Flächen zeigen den Lebensraumtyp 9180 an: Schlucht- und Hangmischwälder.

Die Karte bietet noch mehr und noch detailliertere Informationen: dazu muss man bei “Themen” die “Biotoptypen” anklicken. Danach wählt man links oben das kleine “i” für “Gebietsinformationen” aus und klickt dann auf die Fläche, die einen interessiert. Oben links öffnet sich ein kleines Fenster mit “Gebietsinformationen”. Dort klickt man auf den Biotoptyp und schon erhält man tatsächlich eine Fülle von Informationen:

Der Biotottyp mit der Abkürzung “Bt-3719-0051-2012” umfasst die untere Hälfte des Hanges. Dort wachsen laut LANUV nicht weniger als 10 verschiedene Bäume:

  1. Acer platanoides ( Spitz-Ahorn) (dl)
  2. Acer pseudoplatanus ( Berg-Ahorn) (fl)
  3. Quercus petraea ( Trauben-Eiche) (fl)
  4. Tilia platyphyllos ( Sommer-Linde) (fl)
  5. Acer campestre (Feld-Ahorn) (l)
  6. Carpinus betulus ( Hainbuche) (l)
  7. Fagus sylvatica ( Rotbuche) (l)
  8. Fraxinus excelsior ( Esche) (l)
  9. Ulmus glabra ( Berg-Ulme) (l)
  10. Prunus avium ( Süss-Kirsche) (s)

Die Abkürzungen dl, fl, l und s stehen für:

Wichtig ist, wie das LANUV den Erhaltungszustand dieser Fläche bewertet: ganz unten im gelben Kästchen mit den Informationen finden wir den Buchstaben “B” und der steht für “gut”.4siehe Biotop- und Lebensraumtypenkatalog inkl. Erhaltungszustandsbewertung von FFH-Lebensraumtypen – Stand: April 2019, S. 197 Bei Beeinträchtigungen steht sogar ein “A” für “sehr gut”, was bedeutet, dass es keine Beeinträchtigungen gibt.

Es wäre ja sehr interessant, wenn sich das LANUV auch zur Verkehrssicherheit äußern würde. Wenn man genau hinschaut, tut es das sogar: nämlich im Feld 3 der lebensraumtypischen Strukturen – dort steht ein “C” für “mittel bis schlecht”. Was bedeutet das ganze Fachchinesisch? Die Seite 197 der “Erhaltungszustandsbewertung” klärt auf: Ein “C” im Feld 3 der lebensraumtypischen Strukturen steht für “0 – <1” stehende oder liegende Totholzbäume mit einem Durchmesser von ≥ 50 cm und einer Länge von ≥ 2m pro ha. Der gesunde Menschenverstand würde annehmen, dass nur Totholzbäume die Verkehrssicherheit gefährden können – und von denen auch nur die stehenden, denn die liegenden sind ja schon umgefallen und haben offenbar niemanden geschädigt.

Dem aufmerksamen Leser wird es aufgefallen sein: Was gut für die Verkehrssicherheit ist, ist schlecht für den Naturschutz. Wenige Totholzbäume sind gut für die Verkehrssicherheit, aber schlecht für den Naturschutz. Denn “Totes Holz ist voller Leben”. Das wird so an den Unis für Forstwirtschaft gelehrt, jeder Förster weiß das. Und für die meisten ist es mehr als ein Lippenbekenntnis.

Für den Naturschutz ist der untere Hang an der B482 also nicht besonders interessant: wenig Totholzbäume. Also könnte das Bauamt der Stadt eigentlich ganz entspannt sein. Ist es aber nicht. Es gibt gleich mehrere Gründe dafür, dass das Bauamt Sicherheitsbedenken anmelden kann: Es könnte zum einen behaupten, dass schon ein stehender Totholzbaum einer zuviel ist. Zum anderen könnte es sagen, dass auch schon kränkelnde oder absterbende eine Gefahr darstellen – und die werden vom LANUV nicht erfasst.

Das beste Argument aber wird sein, dass die Daten des LANUV veraltet sind; die Kartierung fand bereits vor über 10 Jahren statt.

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