Wilde Wälder – Vortrag von Knut Sturm und Torsten Welle

“Unbewirtschaftete Wälder werden gegenüber bewirtschafteten Wäldern massiv unterschätzt.”
Knut Sturm

Teil 3 des Vortrags – Holzvorräte

Ergebnisse der Naturwaldforschung im Stadtwald Lübeck

[Knut Sturm:]
Ich will gleich vorweg sagen, dass sind jetzt alles – mehr oder weniger – Ergebnisse aus Lübeck aus 25 Jahren. Und ich will sie mal ein bisschen entführen in das, was uns so umtreibt im Stadtwald Lübeck.

Unterschiede zwischen bewirtschaftetem und unbewirtschaftetem Wald

Und ich möchte Sie gleich wieder mit einem Fotovergleich dazu verleiten, sich darüber mal Gedanken zu machen. Sie sehen oben ein 120 Jahre alten Buchenwald und unten drunter auch einen 120 Jahre alten Buchenwald. Der obere ist seit 25 Jahren bewirtschaftet nach unserem Konzept, der untere ist seit 100 Jahren nicht bewirtschaftet. Gleiche Verschlusszeit, gleicher Tag aufgenommen, gleiche Brennweite; also da kann man nicht türken – es ist eine Panoramaaufnahme. Und was natürlich sofort auffällt, ist, dass im oberen Wald weniger Bäume sind. Das überrascht jetzt nicht so wirklich. Wenn man in den unteren Wald reinguckt, hat man das Gefühl, da stehen auch ein paar dicke. Im oberen stehen auch ein paar dicke. Dann fällt auf, dass die Lichtstruktur in dem oberen Bestand etwas anders ist: da gibt es so größerflächige Lichtungen, die auch leicht begrünt sind. Das ist auflaufende Buchennaturverjüngung. In dem unteren Bestand gibt es am rechten Rand eine große Lücke. Die ist richtig hell, schon fast grell. Da sind zwei alte, dicke Buchen umgefallen und haben einen relativ starken Lichtschacht produziert.

Das sind nur die Beschreibungen von dem, was man da sieht und daraus leiten sich natürlich forstwirtschaftlich eine Menge Fragen ab, nämlich: Sind die Bäume in dem 100 Jahre nicht bewirtschafteten Wald dünner, weil – ich habe sie ja nicht gepflegt? Sind die oben im Umkehrschluss dicker, weil – die habe ich ja 100 Jahre lang gepflegt? Und dann müssten sie ja theoretisch einen höheren Brusthöhendurchmesser haben. Und wie ist die Baumarchitektur? Da kann man schon ein bisschen was erkennen; nämlich, wenn man sich die Zwischenständler anguckt im oberen Bild, dann sieht man, dass die so gerade abstehende Äste haben, die relativ lang sind und auch bis zum Schluss grün bekront sind, während die dünneren Bäume in dem unterem – die Äste sind eher so ganz eng anliegend und haben aber auch grüne Blätter noch dran. Also man erkennt schon ein paar Unterschiede in der Baumarchitektur. Und das ist dann natürlich so etwas, was uns dann auch bewegt.

Was, wenn man in dem Bestand drinsteht, auch gleich auffällt, ist, dass die Bäume in diesem 100 Jahre nicht bewirtschafteten Wald höher sind als in dem bewirtschafteten Wald. Wenn man eine Höhenmessung macht, kann man das auch konkret nachmessen. Da komme ich gleich noch drauf. Es gibt ein paar Dinge, die wirklich wesentliche Unterscheidungen sind. Was ich damit sagen will: Es ist wichtig, mit offenen Augen durch die Wälder zu gehen, dass man solche Flächen, die nicht bewirtschaftet sind, auch als Lernflächen nutzt und dass man die sozusagen überhaupt erst mal wieder in sein Bewusstsein mit einbringt, weil – wir haben es uns angewöhnt, in der Forstwirtschaft viel zu sehr immer durch bewirtschaftete Wälder zu laufen und Bewirtschaftungskonzepte zu vergleichen und zu wenig zu gucken, was denn die Natur eigentlich von sich aus machen würde, und das auch mit ins Kalkül zu ziehen, nämlich, wenn es darum geht, auch mit weniger Eingriffen vielleicht zum gleichen Ergebnis zu kommen.

Wir haben daraus auch ein Konzept entwickelt. Das ist – wie ich vorhin schon gesagt habe, viel auch mit den Lübeckern diskutiert worden. Wir haben dann ökologische Ziele – nämlich Naturwald als Vorbild. Wir wollen die Holzvorräte in Anlehnung an die Naturwälder auch in unseren Wirtschaftswäldern entwickeln. Wir wollen Wachstumsvorgänge, die für die Naturwälder kennzeichnend sind, auch in die bewirtschafteten Wälder wieder stärker mit einbinden. Wir haben dazu ökologische Indikatoren entwickelt, an denen wir das vergleichen, auf die ich dann gleich nochmal kommen werde, die sich aus der Naturwalddynamik ableiten.

Was machen wir? Hier mal ein Ergebnis des sogenannten Laserscannings. ((zum Laserscanning im Stadtwald Lübeck siehe Zoff im deutschen Forst)) Da sind am rechten Bildrand zwei Bilder: das untere ist wieder der 100 Jahre nicht bewirtschaftete Buchenwald und darüber ist ein relativ stark durchforsteter Buchenbestand, gleich alt. Sie können gleich auf den ersten Blick sehen: Da sind wieder im oberen deutlich weniger Bäume, die Lücken in der Krone sind deutlich größer. Also die obere Schicht ist viel stärker geschlossen in dem unteren Bestand. Da interessiert uns jetzt: Wie wirkt sich das auf das Baumwachstum aus? Und nebenan habe ich Ihnen mal gezeigt, wie so etwas aussieht, wenn man so etwas ganz wissenschaftlich angeht. Dazu haben wir nicht die Kapazitäten, aber die TU Dresden – auch in Zusammenarbeit mit der Naturwaldakademie. Und da haben wir mal sehr genau geguckt, wie sich diese Bäume entwickeln.

Baumhöhe

Zwei Faktoren haben wir mal herausgegriffen, die ich Ihnen hier vorstellen will: nämlich einmal am rechten Rand die Höhe und links die Abholzigkeit. Und Sie sehen, dass der sogenannte Schattin ((siehe Totalreservat Schattiner Zuschlag und Exkursion in den Schattiner Zuschlag mit Revierleiter Baeskow))  – das ist der Wald, der die größte Höhe erreicht, der 100 Jahre nicht bewirtschaftet ist. Dann kommt der Hevenbruch ((siehe Totalreservat Hevenbruch)) – das ist einer, der seit 25 Jahren Referenzfläche ist, nicht bewirtschaftet wird. Dann kommt ein Wald, der nach unserem Konzept bewirtschaftet wird, und dann kommt einer aus dem Nachbarforstamt aus den Kreisforsten Ratzeburg, der nach der Hochdurchforstung bewirtschaftet worden ist. Und Sie sehen, dass die Höhe in dem nicht bewirtschafteten Wald sich ungefähr in einer Größenordnung von fünf Metern unterscheidet gegenüber dem anderen. Die Unterschiede sind – bis auf bei den beiden mittleren – signifikant, also sind so, dass sie gesichert sein können.

Abholzigkeit

Und das andere ist die Abholzigkeit. ((siehe Lexikonartikel abholzig)) Um Ihnen das mal zu erklären, um was es da geht: Die Wälder im Schattin, das sind also die Wälder, die nicht bewirtschaftet sind, ich zeige Ihnen das jetzt mal, die wachsen so! [hält beide Unterarme parallel] Und die Wälder in Sirksfelde, die wachsen so! [die Unterarme bilden ein Dreieck]

Wenn Sie immer den Brusthöhendurchmesser messen, dann ist natürlich der erste Wald, wenn Sie denn eine Formzahl benutzen, um hinterher die Masse des Baumes auszurechnen und immer die gleiche Formzahl machen – das machen alle Studien im Augenblick, die im Augenblick auf dem Markt sind für die Kohlenstoffbindung – dann unterschätzen Sie die Leistung des Waldes, der gar nicht durchforstet wird, um ein Vielfaches.

Vorräte

Um es mal in Worten auszurechnen – wir haben das gemacht für Schattin – wenn ich mit normalen Formzahlen, die in der Forstwirtschaft verwendet werden, in den Wald reingehe, in Schattin, in diesen 100 Jahre nicht bewirtschafteten Wald, dann komme ich auf 950 m3. Wenn ich mit dieser Methode, die wir hier angewendet haben, mit dem Laserscanning und den verbesserten Formzahlen, dann kriege ich auf einmal 1.100 Festmeter ((siehe Lexikonartikel Festmeter)) heraus. Das sind ja keine trivialen Unterschiede! Wir unterhalten uns mal locker über 15 %. Und Sie merken auch schon an den Vorratszahlen, das sind Vorräte, die man eigentlich so von deutscher Forstwirtschaft noch nie gehört hat. Die sind durchaus aber erreichbar – auch im bewirtschafteten Wäldern. Denn auch der Berkenstrükener Wirtschaftswald bei uns, der liegt so um die 800 Festmeter. Auch der wird natürlich noch unterschätzt, weil auch da die Formigkeit, wenn Sie die gleiche Zahlen nehmen, wieder auch ungefähr in einer Größenordnung um die 10 % gegenüber den Standardformzahlen unterschätzt wird.

Die Baumarchitektur bzw. die Formigkeit in unbewirtschafteten Wäldern führt im Augenblick dazu, dass die massiv unterschätzt werden gegenüber den bewirtschafteten Wäldern. Die Naturwälder werden auch viel höher, sind weniger abholzig, die Biomasse verteilt sich ganz anders als in bewirtschafteten Wäldern. Sie haben viel Biomasse im Stammholz und viel weniger im Kronenraum. Also mir ist es als Förster immer wichtig, dass ich Stammholz produziere und weniger Krone. Deshalb ist es wichtig, dass man das mal genau auswertet. Das sind auch wieder keine trivialen Unterschiede. Ich könnte Ihnen die Zahlen jetzt alle zeigen, was wir da herausbekommen haben, aber das würde jetzt zu weit führen. Und das Wichtige sind die sich daraus ergebenden Unterschiede für die Biomassefunktion sind natürlich nicht ganz unwesentlich für die Kohlenstoffspeicherfunktion des Waldes von unbewirtschafteten Wäldern.

Das waren jetzt Dinge wie Abholzigkeit. Das andere ist aber mindestens genauso interessant: wenn man durch den Wald läuft und sich mal kleine Strukturen anguckt, wo man ein Gefühl für kriegt, weil man natürlich auch gerne möchte, dass wir Mischbaumarten in unseren Wäldern drin haben. Ich habe Ihnen hier mal ein Beispiel gezeigt auch aus diesem sehr lange nicht bewirtschafteten Wald: Das ist ein alter Wurzelteller von einer Buche und auf den oberen Kanten dieses Wurzeltellers hat sich eine Eberesche und eine Birke angesiedelt. Das ist also eine Nische – ansonsten hat die Baumart keine Chance in den Buchenwäldern. Aber hier steht sie noch in einem 50 Jahre alten Buchenbestand drin – in dieser speziellen Nische, wo zwei Baumarten überlebt haben in den ansonsten ja relativ starken oder sehr dominanten Buchenbeständen. Und das sind sehr kleine Strukturen, die wir unbedingt erhalten müssen, was man vor allem lernt, wenn man mit offenen Augen durch diese Referenzflächen geht.

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