Märzenbecher plattgemacht

Der Streit um die Rückegassen im Januar 2018

Im Frühjahr 2018 richtete ein Forstunternehmen bei Baumfällarbeiten schwere Bodenschäden in den Rückegassen an. Der laut Bundesartenschutzverordnung (§ 1 Satz 1 BArtSchV) besonders geschützte Märzenbecher wird erheblich geschädigt.

Immer fängt es damit an, dass Spaziergänger empört sind – weniger über die Baumfällungen an sich, sondern über die durch Forstrückeschlepper verschlammten Wanderwege. Die entrüsteten Spaziergänger wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. In ihrer Not informieren sie die Kreisgruppe des BUND. Dessen Vorsitzender inspiziert die Schäden vor Ort. Dann interveniert er bei Forstamt und Unterer Naturschutzbehörde. Das Forstamt ist verärgert über das Forstunternehmen. Es gibt aufgeregte Berichte in der Tageszeitung. Der Umweltausschuss der Stadt setzt die Schäden auf die Tagesordnung. Man spricht sich aus. Und am Ende passiert nichts.

Der damalige Vorsitzende der BUND-Kreisgruppe Hameln-Pyrmont, Ralf Hermes, hat die damaligen Vorgänge dankenswerterweise dokumentiert: Infosammlung zum Naturschutzgebiet Schweineberg in Hameln.

4.1.2018 – Ralf Hermes wird informiert

Am 4.1. wird der Vorsitzende der Kreisgruppe Hameln-Pyrmont des BUND, Ralf Hermes, telefonisch informiert: Es geht um die Bodenschäden im Naturschutzgebiet Schweineberg. In den nun folgenden Ereignissen geht es nie um die Baumfällungen als solche, sondern immer nur und ausschließlich um die Bodenschäden beim Holzrücken.

7.1.2018 – Telefonate von Hermes mit Unterer Naturschutzbehörde und Forstamt

Am 7.1. führt Hermes zwei Telefonate: eines mit Forstamtsleiter Heise und eines mit dem Leiter der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) der Stadt, Herrn Mros. Die UNB ist für das Naturschutzgebiet verantwortlich. Er ist nicht der Erste, der anruft:

“In der ersten Januarwoche ist die Untere Naturschutzbehörde der Stadt Hameln […] von Anliegern, Bürgern und dem BUND darüber informiert worden, dass es am Schweineberg im Bereich der Märzenbechervorkommen zu massiven Bodenverletzungen
und Rückeschäden gekommen ist.” ((Mitteilungsvorlage Holzerntemaßnahmen im Naturschutzgebiet “Schweineberg”))

11.1.2018 – Brief von Hermes an die Stadtverwaltung

Am 11.1 schreibt Hermes einen Brief an die Stadtverwaltung: Baumfällungen mit erheblichen Bodenschäden im Naturschutzgebiet Schweineberg in Hameln. Er verlangt eine Bewertung der Unteren Naturschutzbehörde, beantragt einen Tagesordnungspunkt des Umweltausschusses und stellt vier Fragen:

  1. Rechtliche Bewertung?
  2. Gründe für die Maßnahme? Hergang?
  3. Wie hoch ist in etwa der Nettoertrag (Gewinn) für die Stadt Hameln durch die Erträge des Holzverkaufes dieser Maßnahme?
  4. Welche Konsequenzen zieht die Stadtverwaltung Hameln? ((Brief, S. 4))

Der Vorsitzende des BUND-Kreisverbands stellt also Fragen. Zur Erinnerung: Der BUND ist neben dem NABU die größte Naturschutzorganisation in Deutschland. Er hat 593.000 Mitglieder und Spender und Jahreseinnahmen von 30,2 Mio. € ((BUND-Jahresbericht 2017, S. 30 und 41; der NABU hat 616.000 Mitglieder und 44.000 Förderer, NABU Jahresbericht 2017, S. 34)) Hermes stellt Fragen, Forderungen erhebt er keine. Dabei wären viele Forderungen naheliegend und sinnvoll gewesen, um die Märzenbecher zu schützen und ihre Ausbreitung zu fördern, z. B.:

  • Überarbeitung der Naturschutzgebietsverordnung mit Verbot von Holzrücken bei nicht gefrorenem Boden,
  • Vergrößerung des Abstands der Rückegassen auf 40 m,
  • Stopp der forstlichen Nutzung in der Märzenbecher-Kernfläche,
  • Einstellung von eigenen hauptamtlichen Forstarbeitern für den Stadtwald Hameln durch die Stadt Hameln,
  • Einstellung eines zweiten hauptamtlichen Stadtförsters durch die Stadt Hameln.

Wenn es eine großen und lebendigen Kreisverband mit vielen aktiven Mitgliedern gegeben hätte, hätte dieser auch politische Aktionen durchführen können, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, z. B.:

  • eine Demonstration vor dem Rathaus zum Zeitpunkt der Sitzung des Umweltausschusses,
  • Mahnwachen mit Protestschildern vor dem Rathaus oder in der Fußgängerzone,
  • Verteilung von Flugblättern an den Wanderparkplätzen am Schweineberg.

Aber aktiv wird nicht der Kreisverband, sondern die Stadt Hameln.

12.1.2018 – Pressemitteilung der Stadt Hameln

Veranlasst durch den Brief von Hermes gibt der Pressesprecher der Stadt Hameln, Thomas Wahmes, noch am Tag des Briefeingangs eine Pressemitteilung heraus: Erhebliche Schäden am Schweineberg – Forstamt stoppt Arbeiten von Fremdunternehmen.

Die Stadt geht in die Offensive. Es macht keinen Sinn, die Schäden zu leugnen, die für jeden Laien deutlich sichtbar und erkennbar sind. Jeder Hamelner Bürger kann sich selbst beim Sonntagsspaziergang ein Bild davon machen. Und so gibt die Stadt offen zu, dass die Schäden “erheblich” und “beträchtlich” seien: “tiefe Fahrspuren im Waldboden und teilweise offen liegende Märzenbecherzwiebeln”.

Aber die Schuld dafür weist die Stadt im Verein mit dem städtischen Forstamt weit von sich. Zum Sündenbock wird die Fremdfirma, die mit den Baumfällungen beauftragt worden war. Forstamtsleiter Ottmar Heise versichert, dass bei der Ausschreibung extra darauf hingewiesen wurde, dass das Holzrücken bei mildem und regnerischen Wetter nur nach Rücksprache mit dem Forstamt erlaubt gewesen sei. Genau das, was dann später passiert ist, sollte verhindert werden: Dass sich die tonnenschweren Rückeschlepper tief in den weichen Waldboden eingraben. Am besten für das Holzrücken wäre ein hart gefrorener Waldboden nach starkem Frost gewesen. Dann wären “größere Bodenschäden zu vermeiden” gewesen. Kleinere auch dann nicht.

Forstamtsleiter Heise beklagt, dass sich das Forstunternehmen nicht an die Absprachen gehalten und bei schlechtem Wetter Holz gerückt habe:

“Es ist bitter zu sehen, dass diese Vorgaben missachtet wurden. […] Wir hätten die Arbeiten bei dieser Witterung niemals erlaubt.”

12.1.2018 – Bericht vom Lokalradio radio-aktiv

Am selben Tag sendet das Lokalradio radio-aktiv ein Interview mit dem städtischen Pressesprecher Wahmes, das die BUND-Kreisgruppe zusammen mit verstörenden Fotos der Schäden auf YouTube einstellt:

13.1.2018 – Bericht in der Deister- und Weserzeitung

Einen Tag später titelt die Deister- und Weserzeitung den bereits in der Einleitung erwähnten Artikel “Gehörig aus dem Ruder gelaufen” . Einen Tag vorher war bereits auf der Homepage der DEWEZET der Artikel Märzenbecher plattgemacht erschienen:

Reporter Lars Lindhorst stellt keine eigenen Recherchen an. Er stellt keine Fragen an das Forstamt oder die Untere Naturschutzbehörde. Er übernimmt einfach den Text der Pressemitteilung. Auch eigene Fotos der Schäden veröffentlicht die DEWEZET nicht.

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