“[…] in ungezählten bunten Werbebroschüren […] wird eine heile Welt skizziert, in der eine stetige Holzentnahme aus dem Wald folgenlos bleibt und sogar hilft, den Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre zu bremsen.”
Peter Wohlleben ((Holzrausch, S. 53))
Vorwand Kupferstecher
Die Bayerischen Staatsforsten halten sich nicht an die Regel, auf nährstoffarmen Standorten nur das Derbholz und dies ohne Rinde zu nutzen. Ein solcher Standort ist der Bayerische Wald. ((siehe Kölling, C.; Göttlein, A.; Rothe, A. (2007): Energieholz nachhaltig nutzen. LWF aktuell 61, S. 32-36, Abbildung 6)) Ihm mangelt es an Phosphor, Kalium und Calcium. Nach dem Schneebruch im Winter 2005/2006 und den Stürmen Kyrill 2007 und Meikel 2011 wurde trotzdem jeweils die gesamte oberirdische Biomasse der Fichten genutzt. Hunderte Hektar gebrochener und geworfener Fichten wurden mit Rinde und vollständiger Krone, sämtlichen Ästen und selbstverständlich auch den Nadeln geräumt.
Den Vorwand lieferte die neu entdeckte Gefahr durch den Kupferstecher (Pityogenes chalcographus). Dieser befällt nämlich die dünne Rinde von Ästen und Baumkronen. Gegen den Winzling hilft angeblich nur “saubere Waldwirtschaft” und zwar “kompromisslos” und “mit allen Konsequenzen”:
“Das heißt: Schlagabraum, Kronenteile, Äste und dünnere Stammstücke müssen mittels Hacken, Mulchen oder Verbrennen unschädlich gemacht werden.” ((siehe Kupferstecher gefährlicher als gedacht))
Die markigen Worte stammen aus einem Aufsatz von Gabriela Lobinger von der LWF mit dem interessanten Titel: Kupferstecher gefährlicher als gedacht. Die Förster hielten ihn offenbar für nicht so gefährlich, denn noch nach den Stürmen Vivian und Wiebke 1990 war dessen “Massenvermehrung lokal begrenzt und brach bereits im zweiten Kalamitätsjahr wieder zusammen”. Viel gefährlicher als der Kupferstecher ist dessen großer Bruder, der Buchdrucker (Ips typographus): Er war es, der die Fichtenwälder in den Hochlagen des NLPs Bayerischer Wald zum Absterben gebracht hatte. ((siehe Das Fichtensterben am Lusen)) Der Buchdrucker taugte aber nicht als Vorwand für die Ganzbaumnutzung, weil er nur in der Rinde des Stammholzes brütet. Da hätte man Äste und Kronenholz ruhig im Wald liegen lassen können.
Lobingers Artikel erschien ganz zufällig 2007, als nach Kyrill im Wald der Ausnahmezustand verhängt und die Ganzbaumnutzung eingeführt wurde. Ein Merkblatt über Borkenkäfer, das ebenfalls von Lobinger verfasst wurde, zeigt den Förstern auch gleich einen Mobilhacker, der Hackschnitzel für das nahe gelegene Biomassekraftwerk produziert:
Das Merkblatt stammt aus dem Jahr 2004 – ein Jahr nach dem Trockenjahr 2003, welches laut Lobinger zum ersten Mal zeigte, dass “Massenvermehrungen dieser Käferart erhebliche Ausmaße annehmen.” ((Merkblatt, S. 4)) Welch ein glücklicher Zufall! Denn ab 2003 stieg auch “der Brennstoffbedarf [von Biomasseanlagen] noch deutlicher an”, weil diese “in Folge des EEG (Erlass 25.02.2000) nach einer Zeit der Planungs- und Bauphase” ((Mantau, S. 34)) 2003 fertig gestellt wurden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Der Tabubruch der Vollbaumnutzung geschah sogar im Nationalpark:
“Stärkere gebrochene Bäume bieten dem Buchdrucker, schwächere gebrochene Bäume und Gipfel dem Kupferstecher Brutraum. Deshalb war es erforderlich, die gebrochenen Bäume ebenfalls möglichst rasch aufzuarbeiten und aus dem Wald abzutransportieren.” ((Unser Wilder Wald Nr. 20, Winter 2006, S. 4))
Der NLP ist umringt von vier Biomasseheizkraftwerken: Das in Zwiesel (1,5 MW Wärmeleistung) ging schon 2003 in Betrieb. Freyung besitzt gleich drei Hackschnitzelöfen: den im Schulzentrum (0,9 MW) aus dem Jahr 2006, den in Grafenau (0,8 MW) aus dem Jahr 2007 und den am Ortmühlenweg (2,1 MW) aus dem Jahr 2013.
Vollbaumnutzung im NLP Bayerischer Wald bei Wildscheuereck im Oktober 2015Nach oben
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