Der Wildnispfad
Die Informationsschilder übertreiben nicht: Für diesen Pfad braucht man wirklich eine gute körperliche Fitness. Denn ständig muss man über dicke Baumstämme klettern – mal mit Leitern und mal ohne. Manchmal muss man auch darunter her kriechen. Und der Spalt unter dem Baumstamm war oft so schmal, dass ich immer wieder den Rucksack abnehmen musste. Die Kletterei war streckenweise richtig anstrengend. Mitte Oktober waren die Baumstämme feucht und glitschig. Auf dem vermodernden Holz wachsen Moose, Pilze und Algen. Meine Jeans war nach der Wanderung rundum versaut. Der Weg ist definitiv nichts für Schuhe mit hohen Absätzen, Nylonstrümpfe oder Sonntagshosen. Vielleicht war das mit ein Grund, warum ich den Wildnispfad ganz für mich alleine hatte. Von der Schwarzwaldhochstraße war nichts mehr zu hören. Es war still und einsam – der totale Gegensatz zum Lotharpfad, der auch Mitte Oktober noch von Touristen überlaufen ist.
Es gibt in Deutschland keine Urwälder mehr. Trotzdem gibt es Wälder, die viele Merkmale von Urwäldern haben: Der Wald, durch den der Wildnispfad führt, zählt dazu. Ein typisches Urwaldmerkmal sind die riesigen Mengen an liegendem Totholz: Es sind sicherlich weit über 100 Fm pro ha. Und hier liegt nicht nur dünnes Totholz, wie es nach einer normalen Holzernte in jedem Wirtschaftswald übrigbleibt. Hier liegen richtig dicke Baumstämme. Und zwar viele! Nebeneinander, übereinander, kreuz und quer. Und es gibt stehendes Totholz: jede Menge abgebrochener Baumstämme. 15 Jahre nach Lothar haben sich die Lücken, die der Sturm geworfen hat, längst wieder geschlossen. Unglaublich dicht wuchert überall die Naturverjüngung aus Tannen, Fichten und Buchen. Der wilde Wald räumt mit einem Vorurteil auf, das von konservativen Förstern gerne gegen Wildnisflächen in Stellung gebracht wird: nämlich, dass es Jahrzehnte dauern würde, bis ein gepflegter Wirtschaftswald wieder wie ein Urwald aussieht. Hier am Plättig hat es kaum 15 Jahre gedauert. Man muss einen Windwurf nur liegenlassen.
Was hier an Rote-Liste-Käfern kreucht und fleucht, oder welche seltenen Pilze hier das Holz zersetzen, ist bislang noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Sicherlich ist diese “Wildnis aus zweiter Hand” ((Informationsschild)) für einige Überraschungen in der Zukunft gut.
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