Der Wildnispfad des Forstamts Baden-Baden

Der Orkan Lothar und das Scheitern des Wildnisparks

Der Orkan Lothar hat am 26. Dezember 1999 2.000 ha im Stadtwald niedergemacht. 900.000 Fm Sturmholz fielen an. Der damalige Forstamtsleiter Dr. Anton Hammer erkannte sofort:

“Der Wald war bisher immer eine erfreuliche Einnahmequelle. Damit […] würde jetzt Schluss sein. […] Das finanzielle Rückgrat des Forstbetriebs war durch Lothar gebrochen.” ((Hannes Elster, Lothars böser Atem im Baden-Badener Wald, in: Arbeitskreis für Stadtgeschichte der Stadt Baden-Baden e.V. (Hg.), 175 Jahre Städtisches Forstamt Baden-Baden, Baden-Baden 2004, S. 113))

Otto Normalverbraucher hat oft keine Vorstellung davon, welch eine finanzielle Katastrophe Sturmschäden für ein Forstamt sind: Alles sei halb so schlimm, schließlich können man das Sturmholz doch verkaufen und einen ordentlichen Reibach machen. Die Wirklichkeit sah dagegen so aus:

“Zwar war das Kapital noch in Form der umgestürzten Bäume vorhanden, aber es war jetzt – eben weil die Bäume umgefallen und die Stämme teils zerborsten waren, eben nur noch knapp die Hälfte wert, das heißt: nach Abzug der […] Aufarbeitungskosten würde kein Geld mehr übrig bleiben. Das am Boden liegende Holz würde der Stadtkasse keine Einnahmen mehr bringen. Ein totales Desaster.” ((ebd.; siehe auch Fußnote 2 auf S. 113: “Eine spätere Bilanz der Orkanbewältigung ergab einen Verlust an liquiden Mitteln von 5 Mio. € und einen Vermögensschaden von 40 Mio. € Holzvorrats- und Hiebsreifeverlust, Pflege der Kulturflächen, was zu Betriebsverlusten von ca. 1 Mio. € je Jahr für mindestens 20 bis 40 Jahre führen wird, verglichen mit einer Entwicklung ohne ‘Lothar’.”))

Hinzu kamen ökologische Probleme:

“Wollte man den Wald aufräumen und sozusagen nach alter Väter Sitte ‘reparieren’, […] würde man den Jungbestand, der teils unter den großen umgefallenen Bäumen lag, extrem stark beschädigen, allein schon durch das Bergen und Herausziehen der alten schweren Baumstämme, die man ja quer durch den Jungbestand würde ziehen müssen.” ((a. a. O., S. 112))

Zwar legten Bund, Land und EU nach dem Sturm millionenschwere Förderprogramme für Wiederaufforstung auf. Aber bis die Bäume dann erntereif wären, würden Jahrzehnte vergehen und in der Zwischenzeit fielen hohe Kosten an z. B. für die Pflege der jungen Wälder:

“Die Reparatur des alten Waldes würde -zig Millionen kosten.” ((ebd.))

Nun hat der Wald aber für seinen Eigentümer viele Funktionen: Er ist mehr als nur Holzproduzent und Goldesel für klamme Stadtkassen. Viele seiner anderen Funktionen lassen sich nur schwer mit Geld aufwiegen: So kommen 50 % des Trinkwassers von Baden-Baden aus dem Wald. Das Wasser ist hochwertig und nicht mit Nitrat aus der Landwirtschaft belastet. Außerdem wirkt sich der Wald positiv auf das Stadtklima aus und filtert die Luft. Und last-but-not-least dient der Wald der Bevölkerung der Stadt und ihren Gästen zur Erholung. Schon 10 Jahre vor der Diskussion um einen NLP im Schwarzwald, spürte Forstamtsleiter Hammer, dass es ein Bedürfnis der Menschen nach Wildnis gibt und einen Trend “Zurück zur Natur”. Und so hatte er eine Idee:

“Wie […], wenn man das alles einfach liegen lässt? Der Urwald verjüngt sich doch auch?” ((a. a. O., S. 112 f.))

Er wollte die 2.000 ha Windwürfe außer Betrieb nehmen und einen 3.000 ha großen “Wildnispark” errichten. Zu diesem Zweck wollte er nur Wege und Seitenstreifen mit Vollerntemaschinen von Sturmholz befreien und dann die riesige Fläche einzäunen:

“[Sein Plan war] einen Wildnispark auf etwa 30 Quadratkilometern einzurichten, das heißt: einen eingefriedeten Urwald mit heimischen Tierbeständen, die nicht mehr bejagt würden und deshalb wieder zu Tagtieren (wie beispielsweise Rehe, Hirsche und Wildschweine) werden würden […].” ((a. a. O., S. 114))

Beim Telefonat präzisiert Hammer, dass er innerhalb des Zauns nur die konventionelle Jagd abschaffen wollte. Stattdessen wollte er ein Wildtiermanagement einführen wie in einem NLP: Nur an einigen wenigen Tagen im Jahr sollte das Wild bejagt und auf ein waldverträgliches Maß reduziert werden, ansonsten sollte es in Ruhe gelassen werden. Der Verhau aus umgestürzten Bäumen hätte die natürliche Verjüngung vor Wildverbiss geschützt und außerdem hätte das Wild auch genügend Futter auf den zahlreichen Wiesen des Schutzgebietes gefunden. Besucher hätten das Wild bei Tag beobachten können. Es wäre ein kleiner NLP geworden. ((Regelmäßige Leser meiner Webseite wissen, dass ich beim Wort “Wildtiermanagement” Bauchschmerzen bekomme. Denn in mindestens 3 NLPs versagt dieses kläglich: Eifel, Harz und Jasmund. Und auch im NLP Kellerwald gibt es kurz und klein gebissene Täler. Das Problem ist immer, wer die Jagd ausübt: ob Profis wie von der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft oder eine Monty-Python-Truppe. Wenn Trophäenjäger die Jagd übernommen und das Wild auch noch im Winter gefüttert hätten, wäre der Wildnispark zu einem Wildpark verkommen. Zum Thema, wie Rothirsche gerade junge Bäume zu Krüppeln verbeissen können, siehe meine aktuellen Dokumentationen über Rothirschzucht im Eggegebirge und Wildschäden durch Rothirsche in Lichtenau und die aktuelle Arbeit von Michael Kunkel über den Rotwildskandal im Forstamt Jossgrund))

Hammer ist sich sicher, dass der Wildnispark eine Besucherattraktion geworden wäre. Aber er und seine Kollegen waren der Zeit 10 Jahre voraus. Damals gab es “leidenschaftliche Diskussionen” ((a. a. O., S. 114)) im Gemeinderat: Der Schutzzaun wurde zum Zankapfel. Er hätte 2,5 Mio DM gekostet und sollte mit Eintrittsgeldern refinanziert werden. Viele störten sich an der Idee, dass man durch den Zaun aus dem Stadtpark ausgesperrt würde. Den Park durch Tore im Zaun betreten und Eintritt zahlen? Der konservative Ortsteil Oberbeuern stellte sich im Gemeinderat quer. Hammer meint heute, diese Bedenken hätte er ausräumen können: So hätte man auf Eintrittsgelder auch verzichten und den Zaun anders finanzieren können. Das Projekt scheiterte letztendlich am Veto der Landesregierung in Stuttgart. ((siehe Elster, S. 114)) Es gab sogar ein Gegengutachten der Landesforstverwaltung, das auf die Borkenkäfergefahr hinwies und die freie Zugänglichkeit des Waldes forderte. Der damalige Chef der Landesforstverwaltung, Landesforstpräsident Fridolin Wangler, erschien persönlich vor dem Gemeinderat und erklärte, das Projekt sei rechtlich nicht zulässig: Es herrsche Bewirtschaftungszwang – kommunaler Wald müsse planmäßig bewirtschaftet werden! ((§ 20 Waldgesetz für Baden-Württemberg))

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