Die Verdopplung der Borkenkäferschutzzone 1997

Chronologie der Ereignisse August 1997 bis Dezember 1998

Der folgende Text stammt von Dr. Hans Bibelriether. Die Fußnoten stammen von mir. ((Sie können den Text auch als PDF-Datei herunterladen: Der Nationalpark Bayerischer Wald in der Krise.))

 

Der Nationalpark Bayerischer Wald in der Krise

August 1997 – Dezember 1998
Eine Zusammenfassung von Fakten und Ereignissen

Die rechtliche Situation

Mit Inkrafttreten der Rechtsverordnung für den Nationalpark Bayerischer Wald vom 22. Juli 1992 wurde die Randzone des Nationalparks, in der zum Schutz benachbarten Privatwaldes der Borkenkäfer bekämpft wird, auf 500 Meter und damit auf unter 20 % der Nationalparkfläche begrenzt. Seit Jahrzehnten hatten sich bundesweit 500 Meter breite Schutzzonen zu benachbartem Wald bewährt.

Am 1. August 1997 trat die neue Rechtsverordnung für den erweiterten Nationalpark in Kraft. Erneut wurde als vorrangige Naturschutzzielsetzung in § 3 unverändert festgeschrieben: „das Wirken der natürlichen Umweltkräfte und die ungestörte Dynamik der Lebensgemeinschaften zu gewährleisten.” In § 13 heißt es ergänzend: „Innerhalb eines mindestens 500 Meter breiten Randstreifens ist Borkenkäferbekämpfung durchzuführen” und: diese „Waldpflege- und Walderhaltungsmaßnahmen” hätten sich „ausschließlich nach dem Zweck des Nationalparks” zu richten.

Die Zielsetzung wird unterlaufen

9. August 1997
Der für den Nationalpark zuständige Ministerialrat im bayerischen Forstministerium, Wolfgang Sailer, besucht mit Minister Reinhold Bocklet, dem damals für den Nationalpark zuständigen Landwirtschaftsminister, den Nationalpark Bayerischer Wald. Als Leiter der Nationalparkverwaltung wurde ich über den Besuch nicht informiert. Auf meine telefonische Rückfrage einen Tag vorher – gerüchteweise war der Besuch bekannt geworden – leugnete Sailer, dass dieser Besuch geplant sei. Offensichtlich sollte Minister Bocklet nicht mit mir ins Gespräch kommen und damit nicht riskiert werden, dass der Plan von Sailer, nämlich eine Verdoppelung der Borkenkäferbekämpfungsfläche zu erreichen, wie sich nachher herausstellte, von mir in Frage gestellt würde.

11. August 1997
Sailer verfasst als Ergebnis seines Besuchs mit Minister Bocklet eine Pressemeldung – erneut ohne mit mir darüber eine Absprache zu treffen – in der die bisher 500 Meter breite Bekämpfungsfläche ab sofort im Durchschnitt als doppelt so breit öffentlich angekündigt wurde. Diese Entscheidung, argumentiert Sailer, hätte Minister Bocklet aufgrund seines Besuchs am 9. August 1997 getroffen. Gleichzeitig wurde ein „Einsatzleiter” der Oberforstdirektion Regensburg für die Borkenkäferbekämpfung im Nationalpark bestellt.

13. August 1997
Die Bestellung dieses Einsatzleiters ebenso wie die Verdoppelung der Bekämpfungsfläche erfährt die Nationalparkverwaltung aus der örtlichen Presse. Einen Tag später trifft das entsprechende Schreiben aus dem Ministerium ein.

15. August 1997
Von der Nationalparkverwaltung wird als Gegenvorschlag eine Karte des Nationalparks mit einer nur begrenzt über 500 m ausgeweiteten Borkenkäferbekämpfungszone dem Ministerium vorgelegt.

21. August 1997
Ein ganztägiger Begang im Nationalpark zur Borkenkäferfrage mit dem Leiter der Staatsforstverwaltung, Ministerialdirektor Dr. Schreyer, und Ministerialrat Sailer im Beisein der GEO-Redakteurin Uta Henschel ((siehe Zeitschrift “Geo”: Singende Sägen)) findet statt. Dabei wurde – von Sailer nicht widersprochen – Übereinstimmung erzielt, dass die Verhältnismäßigkeit bei der Borkenkäferbekämpfung gewahrt werden müsste. So wurde vereinbart z. B. um die Enklave Altschönau, keine Bekämpfung durchzuführen, da dort insgesamt nur etwa 30 Fichten im Privatwald potentiell gefährdet waren. Außerdem bestätigte Dr. Schreyer, dass sich die 500-Meter-Zone im Großen und Ganzen als tauglich erwiesen hätte.

Für die Nationalparkverwaltung bestand nach den Aussagen von Dr. Schreyer, als dem Chef der Forstverwaltung, am 21. August 1997 die begründete Annahme, dass die opportunistische Ankündigung vom 11. August über eine Verdoppelung der Bekämpfungsflächen korrigiert würde.

Die Vertreter des Ministeriums wurden beim Ortstermin am 21. August 1997 von mir außerdem dringend gebeten, sich dafür einzusetzen, Geldmittel für Entschädigungszahlungen für die potentielle Gefährdung kleiner Privatwaldflächen in den Privatwald-Enklaven im Nationalpark bereitzustellen. Dadurch würden keine Präzedenzfälle für außerhalb geschaffen. Sailer sollte sich um Unterstützung durch das Finanzministerium bemühen. (Ob er das wirklich tat, ist zweifelhaft. – Am 8. Dezember 1997 teilte Sailer Nationalparkmitarbeitern in einer Dienstbesprechung mündlich mit, dass vom Finanzministerium eine „Vorab-Entschädigung” abgelehnt worden sei.) Anzumerken ist, dass die langjährige erfolgreiche Ankaufspolitik von Privatwald am Nationalpark ab 1991 vom Ministerium untersagt worden war.

25. August 1997
Wegen einer Krebsoperation war ich vom 25. August bis 24. September im Krankenhaus und in der Reha und bis Anfang Oktober 1997 nicht mehr im Dienst. Während dieser Zeit wurde der Vorschlag der Nationalparkverwaltung vom 15. August 1997 für eine reduzierte Randzone von Ministerialrat Sailer abgelehnt. Von der Landesanstalt für Wald- und Forst-wirtschaft wurde eine Karte mit der erweiterten Randzone der Nationalparkverwaltung übermittelt. Für das Jahr 1997 war jedoch die Borkenkäferbekämpfung Anfang Oktober beendet.

22. Oktober 1997
Ministerpräsident Dr. Stoiber besucht den Nationalpark Bayerischer Wald. Er bestätigt die Zielsetzung des Nationalparks und kündigt die Einsetzung eines internationalen Experten-gremiums zur Borkenkäferfrage an, die sich auch mit der Breite der Bekämpfungszone befassen sollte.

23. November 1997
Von Horst Stern – um Unterstützung gegen das unmäßige Vorgehen zu Hilfe gerufen – wird im Fernsehen ein halbstündiger äußerst kritischer Bericht über das Vorgehen der Forstverwaltung ausgestrahlt. ((siehe Horst Stern: Bemerkungen über einen sterbenden Wald))

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Das Vorgehen 1998

20. Februar 1998
Meine aktive Dienstzeit endet. Nach Einbringung des Resturlaubs beginnt mit dem 1. April 1998 der Ruhestand.

April 1998
Das Ergebnis des von Sailer ausgewählten Borkenkäfer-Spezialisten-Beratungs-gremiums, in das – ob zufällig oder nicht – radikale Borkenkäferbekämpfungsvertreter aus anderen Bundesländern berufen worden waren, wird vorgestellt. ((siehe Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (Hg.), Borkenkäferproblematik im Nationalpark Bayerischer Wald – Ergebnis des internationalen Expertengremiums, Freising 1998))

Die Anordnung der Bekämpfung auf durchschnittlich 1.000 Meter Tiefe vom August 1997 wurde vom Expertengremium so nicht bestätigt. Es stellte fest, dass im allgemeinen „eine Tiefe der Waldschutzzone von 500 (bis 1.000 m)” als ausreichend betrachtet wird. Prof. Skatula aus Freising, erfahrener und anerkannter bayerischer. Fachmann für Borkenkäferbekämpfung, hatte völlig eindeutig noch am 8. Dezember 1997 auf einer Mitarbeiterbesprechung im Nationalpark im Beisein von Sailer festgestellt, dass eine 500 Meter breite Schutzzone ausreicht.

Anfang Mai 1998
Unter dem seit 1. April 1998 zuständigen neuen Leiter der Nationalparkverwaltung, Herrn Sinner, wird in der auf 3.500 Hektar verbreiterten Randzone des alten Parkgebietes, also in durchschnittlich knapp 1.000 m Breite, Borkenkäferbekämpfung durchgeführt.

Die Situation für den Nationalpark hat sich im Vergleich zu August / September 1997 im Jahr 1998 insgesamt erheblich weiter verschlechtert:

  • Die am tiefsten im Nationalpark liegenden Bekämpfungsflächen waren 1998 fast zwei Kilometer vom nächsten gefährdeten Privatwald entfernt.
  • Anders als 1997 wurden auf Kosten schonenderen Vorgehens die Borkenkäferbäume im Akkordlohn aufgearbeitet.
  • Selbst aus relativ kleinen Befallsflächen wurde das Holz bis zu 20 m lang als Stammholz abtransportiert und verkauft – mit entsprechenden massiven Schäden an Boden und Jungwald.
  • Auch bei angrenzendem Staatswald wurde der Borkenkäfer im Nationalpark bekämpft.
  • In das wertvolle Naturschutzgebiet „Klosterfilz”, das erst im August 1997 in die streng geschützte Kernzone des Nationalparks eingegliedert und damit rechtlich aufgehoben wurde, erfolgte der Ausbau von Rückwegen mit Mineralbeton; in einem Fall, ohne dass im Einzugsbereich des Weges überhaupt Borkenkäferbefall aufgetreten war.
  • Um die Ortschaft Altschönau wurden wegen rund 30 Privatwaldfichten, entgegen der Absprache mit Ministerialdirektor Dr. Schreyer vom 21. August 1997, großflächig über tausend Fichten im Nationalpark gefällt und verkauft.
  • Durch die Erweiterung der Borkenkäferbekämpfungszone (siehe Karte im Nationalparkplanentwurf), die hinzuzuzählenden vor allem touristischen Ziele dienende Flächen wie Gehegezone und öffentliche Straßen sowie die Wintergatter wurde die Fläche mit Managementmaßnahmen auf rund 4.000 Hektar ausgedehnt und damit die streng geschützte Fläche des alten Nationalparkgebietes auf rund 70 % reduziert.
  • Noch Anfang Dezember 1998, lange nach Ende der Borkenkäfersaison, wurde aus Weichbödengebieten im Klosterfilz unter massiven Bodenzerstörungen Nutzholz (Stammholz und Abschnitte) herausgeholt. ((siehe Drei historische Fotos der Borkenkäferbekämpfung 1998))

10. Oktober 1998
Im Rückblick äußerte Herr Sinner in einem Interview in der Passauer Neuen Presse, dass das Holz – über 35.000 m3 im Altnationalpark „durchaus finanziell lohnend” verkauft werden konnte. Dabei ist daran zu erinnern, dass nach Art. 8 des Bayerischen Naturschutzgesetzes von 1973 Nationalparke „keine wirtschaftsbestimmte Nutzung” bezwecken.

Schluss

Abschließend ist festzustellen: Die Hauptverantwortung für das, was ab August 1997 und im Jahr 1998 über die 500-Meter-Randzone hinaus an Borkenkäferbekämpfung, Boden- und Waldzerstörungen im Nationalpark Bayerischer Wald geschah und was im erheblichen Maß gegen die international gültigen Richtlinien der IUCN verstößt, trägt in erster Linie Ministerialrat Sailer, damals zuständiger Referent im bayerischen Landwirtschaftsministerium. Von Herrn Sinner wurden 1998 vor Ort das Vorgehen und die Maßnahmen veranlasst, und in der Öffentlichkeit ohne jede Einschränkung bis heute mit allem Nachdruck als richtig und nationalparkkonform verteidigt.

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