Wenn Sie irgendeinen beliebigen Förster fragen, warum die Fichten im Sauerland abgestorben sind, dann wird er Ihnen 4 Gründe nennen: Stürme, Hitze, Trockenheit und Borkenkäfer. Oder in den Worten von NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen: „Grund dafür ist in großem Maße der Klimawandel.„1Waldzustand NRW 2023
Wie aber ist es dann möglich, dass in Nordrhein-Westfalen prozentual gesehen 5-mal mehr Fichten abgestorben sind als in Bayern?2siehe Tabelle unten War die Hitze in NRW etwa schlimmer als in Bayern? Hat es in Bayern vielleicht mehr geregnet? Oder haben Frank Thonfeld3Thonfeld, F.; Gessner, U.; Holzwarth, S.; Kriese, J.; da Ponte, E.; Huth, J.; Kuenzer, C. A First Assessment of Canopy Cover Loss in Germany’s Forests after the 2018–2020 Drought Years. Remote Sens. 2022, 14, 562. https://doi.org/10.3390/rs14030562, CC BY 4.0 Deed und sein Team vielleicht die Satellitenbilder falsch ausgewertet und das sind in Bayern gar keine Nadelwälder mehr, sondern bereits die „klimaangepassten Mischwälder“, die in NRW erst noch gepflanzt werden?4Waldzustand NRW 2023
Dieselben Fragen drängen sich auf, wenn man Hessen mit Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt mit Schleswig-Holstein vergleicht. In der Mitte Deutschlands sterben die Nadelwälder. Im Norden und Süden aber traten Verluste von über 6 % wie in Hessen oder NRW überhaupt nicht auf – schon gar nicht zwei Jahre hintereinander. Und Spitzenwerte wie der Verlust von 12 % in NRW für 2019 sind geradezu astronomisch hoch und außerhalb von NRW völlig unbekannt.5siehe unten
Seit wann ist der Klimawandel auf die Mitte Deutschlands beschränkt?
Die folgende Abbildung macht die erheblichen Unterschiede zwischen den Bundesländern in der Mitte und denen im Norden und Süden deutlich. Zu beachten ist, dass die Einheiten der Y-Achsen höchst unterschiedlich sind: in Grafik A (Nadelwald) reicht der prozentuale Verlust von 0 bis 12 %, in Grafik B (Laubwald) nur von 0 bis 0,5 %!
Abb. 10: Verlust der Baumkronenbedeckung pro Bundesland pro Jahr für (A) Nadelwald, (B) Laubwald und (C) alle Waldtypen.6Thonfeld, a. a. O.
Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man nicht die einzelnen Jahre, sondern die Summe der Verluste an Nadelwaldfläche von Januar 2018 bis April 2021 vergleicht:7Zusatzmaterialien zum Artikel von Thonfeld
Bundesland | Nadelwald (ha) | Verlust (ha) | Verlust (%) |
Nordrhein-Westfalen | 330.586 | 85.084 | 26 |
Hessen | 273,771 | 54.269 | 20 |
Sachsen-Anhalt | 243,723 | 42.242 | 17 |
Bayern | 1.352.143 | 67.174 | 5 |
Baden-Württemberg | 618.716 | 30.530 | 5 |
Schleswig-Holstein | 42.358 | 1.970 | 5 |
Alle 8 Landkreise mit den höchsten jährlichen Verlusten lagen ausnahmslos in der Mitte Deutschlands. Den unrühmlichen Spitzenplatz belegte der Landkreis Soest: er hatte gleich zweimal hintereinander Verluste von 25 % und mehr.
„In 2018, the districts of Göttingen (19%), Leipzig (18%) and Sömmerda (18%) had the highest percentages of coniferous canopy cover loss. Sömmerda (28%) and Soest (25%) took the lead in 2019, with Altenkirchen (Westerwald) (26%), Oberbergischer Kreis (25%), and Westerwaldkreis (25%) catching up in 2020. Soest (27%) still had the highest coniferous forest loss rates in 2020.“8Thonfeld u. a., a. a. O.
Alle Fotos dieses Adventskalenders wurden nördlich von Bestwig im Hochsauerlandkreis aufgenommen. Dieser ist für Thonfeld und sein Team kein Unbekannter, denn:
„In absolute numbers, the districts of Harz (located in Saxony-Anhalt, 19,620 ha), Hochsauerlandkreis (North Rhine-Westphalia, 12,462 ha), Siegen-Wittgenstein (North Rhine-Westphalia, 11,794 ha), Goslar (Lower Saxony, 10,053 ha), Märkischer Kreis (North Rhine-Westphalia, 9317 ha), and Oberbergischer Kreis (North Rhine-Westphalia, 8927 ha) experienced the greatest losses of coniferous forests“9ebd., Hervorhebungen von F.-J. A.
Überflüssig zu sagen, dass auch diese 6 Landkreise alle in der Mitte Deutschlands liegen. Nicht im Norden. Nicht im Süden. Deshalb noch einmal die Frage:
Seit wann ist der Klimawandel auf die Mitte Deutschlands beschränkt?
Wenn das aber nicht so ist, dann ist er keine hinreichende Bedingung für das Sterben der Nadelwälder. Vielleicht ist er nicht einmal eine notwendige Bedingung. Wenn man eine Sibirische Zirbelkiefer im Garten anpflanzt, kann das lange gut gehen. Wenn sie dann aber irgendwann eingeht, ist dafür nicht der Klimawandel verantwortlich.