Grunddatenerfassung für das FFH-Gebiet “Hoher Keller”

Mangelhafte Beschreibung des Ebereschen-Bergahorn-Buchen-Grenzwaldes in der Grunddatenerfassung

Die Grunddatenerfassung zu Monitoring und Management des FFH-Gebietes “Hoher Keller” sollte “relevante Daten” ((Grunddatenerfassung, S. 2)) des Schutzgebietes zusammentragen, auf deren Grundlage dann 2014 der Maßnahmenplan erstellt wurde. Im Falle des “Ebereschen-Bergahorn-Buchen-Grenzwaldes” sind die “relevanten Daten” widersprüchlich, lückenhaft und diffus. Schönmüller widmet ihm nur vier Sätze:

(1) Eine überregionale Besonderheit des Untersuchungsgebiets stellt der montan bis hochmontan geprägte (fast subalpin anmutende) Ebereschen-Bergahorn-Buchen-Grenzwald (Betulo-Sorbetum aucupariae) mit Drahtschmiele und Heidelbeere auf den Blockhalden und Rippen des südlichen Grates des „Wüstegartens“ dar. (2) Die extreme Klimalage und Bodensituation führt die Buche hier an die Grenze ihres Wuchsbereiches, was sich in skurrilen Wuchsformen und der Unterlegenheit gegenüber Eberesche und Bergahorn äußert. (3) Die insgesamt ca. 2 Hektar umfassenden, zwergstrauchreichen Bestände sind als uriges Relikt der potentiell natürlichen Vegetation dieses Gipfelgrates zu deuten, vergleichbare Formationen existieren nur in den höchsten Gipfellagen der Mittelgebirge, etwa im Harz. (4) Diese sehr spezielle Ausprägung einer Sonderwaldgesellschaft wurden (sic!) bisher weder von der Forsteinrichtung noch von der Hessischen Biotopkartierung erfasst, ihre nähere Untersuchung im Rahmen der Grunddatenerfassung wurde nicht beauftragt.” ((Grunddatenerfassung, S. 8, Nummerierung der Sätze von mir, Grammatikfehler im Original))

Kritik am Satz 1

Schönmüller beschreibt den “Grenzwald” mit einer verstörenden Ungenauigkeit. Das fängt schon an bei dem pflanzensoziologischen Fachbegriff “Betulo-Sorbetum aucupariae”. Damit ist für gewöhnlich eine Birken-Ebereschen-Blockwaldgesellschaft gemeint, also eine Gesellschaft von Hänge-Birke (Betula pendula) und Vogelbeere (Sorbus aucuparia) auf einer Halde von Gesteinsblöcken. Es könnte aber auch anstelle der Hänge-Birke die Karpaten-Birke (Betula pubescens subsp. carpatica) gemeint sein, eine Unterart der Moor-Birke (Betula pubescens). Dann wäre mit “Betulo-Sorbetum aucupariae” ein Karpatenbirken-Ebereschen-Blockwald gemeint. ((siehe der Eintrag Betulo carpaticae-Sorbetum aucupariae auf FloraWeb)) Aber weder Hänge-, noch Karpaten-, noch Moor-Birke werden im “Ebereschen-Bergahorn-Buchen-Grenzwald” erwähnt. Und Bergahorn und Buchen gehören wiederum nicht zum “Betulo-Sorbetum aucupariae”. Völlig offen bleibt auch, in welcher prozentualen Zusammensetzung die drei oder vier Bäume vorkommen: Sind sie alle gleich häufig oder dominiert die Eberesche? Oder der Bergahorn? Oder die Hänge- bzw. Moor- bzw. Karpaten-Birke?

Bei seiner Zuordnung zu den Höhenstufen bietet Schönmüller nicht weniger als drei Alternativen an: “montan”, “hochmontan” und “fast subalpin”. Dabei ist der Gipfel des Wüstegartens 675 m hoch. Also kann die Höhenstufe unmöglich “hochmontan” sein, denn diese Höhenstufe reicht in Mittelgebirgen von 800 – 1.500 m. ((siehe Höhenstufe (Ökologie) – Wikipedia)) Und “subalpin” scheidet von vornherein aus; diese Höhenstufe beginnt erst bei 1.500 m. Das ist mehr als doppelt so hoch als der Wüstegarten!

Die genaue Höhe des “Grenzwaldes” gibt Schönmüller nicht an. Genauso schwammig sind seine Angaben zur genauen Lage; es muss irgendwo südlich des Gipfels sein. Überflüssig zu erwähnen, dass Schönmüller auch keine Karte bietet, auf denen die “überregionale Besonderheit” verzeichnet ist.

Warum der Wüstegarten eine “überregionale Besonderheit” sein soll, ist nicht verstehbar. Im Kellerwald gibt es über 50 – in Worten: fünfzig – Berge, die höher sind als 500 m. ((siehe Liste von Bergen des Kellerwalds – Wikipedia)) Der Hunsrück (635,9 m), die Sauklippe (584,4 m) und der Jeust (585 m) liegen in unmittelbarer Nachbarschaft.

Kritik an Satz 2

Schönmüller präsentiert keine Fotos von “skurrilen Wuchsformen” und auch für die behauptete “Unterlegenheit” der Buche gegenüber Eberesche und Bergahorn bietet er keine Belege. Über eine “Grenze des Wuchsbereiches” für die Buche zu spekulieren, ist wissenschaftlich unredlich. Im Harz steigt die Buche bis 800 m, ((siehe Vegetationsprofil des Nationalparks Harz)), im Bayerischen Wald bis 1.200 m ((siehe Herbstwanderung zum Rachel)) und im Buchenurwald von Uholka-Schyrokyj-Luh in der Ukraine bis 1.250 m. Und dort läge die Waldgrenze sogar noch 100 – 200 m höher, hätte es in früheren Jahrhunderten keine Beweidung gegeben. ((Brändli, U.-B.; Dowhanytsch, J. (Red.) 2003: Urwälder im Zentrum Europas. Ein Naturführer durch das Karpaten-Biosphärenreservat in der Ukraine. Birmensdorf, Eidgenössische Forschungsanstalt WSL; Rachiw, Karpaten-Biosphärenreservat. Bern, Stuttgart, Wien, Haupt., S. 79)) Es ist pure Fantasie, dem nur 675 m hohen Wüstegarten eine “extreme Klimalage” anzudichten. Wirklich extrem ist das Klima am 1.141 m hohen Brocken im Harz oder am 1.453 m hohen Großen Rachel oder am 1.373 m hohen Lusen im Bayerischen Wald. Und mit Schneedecken von 40 – 60 cm und stellenweise 50 -100 cm wie in Transkarpatien in der Ukraine ((a. a. O., S. 78)) kann der Wüstegarten sowieso nicht mithalten.

Kritik an Satz 3

Mit “potentiell natürlicher Vegetation” meinen Ökologen “den Endzustand der Vegetation, den man ohne menschliche Eingriffe im jeweiligen Gebiet erwarten würde.” ((siehe Potenzielle natürliche Vegetation – Wikipedia)) Für seine “Deutung” bietet Schönmüller keinen Beweis. Er müsste beispielsweise mit Hilfe historischer Quellen belegen, dass die “ca. 2 Hektar umfassenden, zwergstrauchreichen Bestände” in der Vergangenheit nicht von Menschen genutzt worden sind. Das wird schwierig – an anderer Stelle listet Schönmüller eine Fülle von “massiven Beeinflussungen” des Hohen Kellers in der Vergangenheit auf: Hüttenwerke, Schmieden, Köhlereien, Brenn- und Bauholznutzung, Waldweide, Laubstreunutzung, Niederwaldbetrieb usw. etc. pp. ((Grunddatenerfassung, S. 5)) Und er gibt offen zu:

“Die Geschichte des Gebietes nach Einführung der geregelten, nachhaltigen Forstwirtschaft Ende des 17. – Anfang des 18. Jahrhunderts kann mangels verfügbarer historischer Quellen nur grob nachgezeichnet werden.” ((ebd.))

Und es kommt noch schlimmer:

“Nach Angaben von Gebietskennern (H. Langefeld, mdl.) waren zumindest die Hochlagen im Gratbereich bis vor ca. 100 Jahren waldfrei.” ((ebd.))

Warum also meint Schönmüller, dass ausgerechnet das von ihm entdeckte Waldstück ein “uriges Relikt” darstellt? Etwa wegen der “skurrilen Wuchsformen”? Skeptisch machen müsste allein der Reichtum an Zwergsträuchern. Denn diese sind “Ausdruck intensiver Waldweide”. ((ebd.))

Die Spekulation von der “potentiell natürlichen Vegetation” verbietet sich nicht nur, weil am Gipfelgrat immer ein “hoher Holznutzungsdruck” ((a. a. O., S. 5)) herrschte. Zusätzlich lastet der hohe Verbiss durch unnatürlich überhöhte Wildbestände wie ein Alpdruck auf dem Hohen Keller. Es bräuchte große wilddicht abgezäunte Gebiete am Wüstegarten um zu überprüfen, was dort alles wachsen würde, wenn die Rehe es nicht auffressen würden.

“Vergleichbare Formen” finden sich nicht im Harz. Dort wächst in den “höchsten Gipfellagen” ein Bergfichtenwald. ((siehe Vegetationsprofil des Nationalparks Harz))

Kritik an Satz 4

Mit seiner Entdeckung betritt Schönmüller absolutes Neuland, denn der Wald ist kein Biotoptyp wie beispielsweise ein bodensaurer Buchenwald (Biotoptyp 01.120). Er ist aber auch kein Lebensraumtyp wie der Waldmeister-Buchenwald (LRT 9130). ((zu den Fachbegriffen “Biotoptyp” und “Lebensraumtyp” siehe Lexikon der Fachbegriffe)) Er ist eine “Sonderwaldgesellschaft”, womit vermutlich eine besondere Gesellschaft von Pflanzen in einem Wald gemeint ist. Damit aber nicht genug: Schönmüller nennt ihn eine “sehr spezielle Ausprägung einer Sonderwaldgesellschaft”. ((S. 8)) Der Wald ist offenbar also nicht nur etwas Besonderes, er ist etwas ganz besonders Besonderes.

Es ist merkwürdig, dass eine solche Kostbarkeit bislang noch nie entdeckt wurde: nicht von den Forstwissenschaftlern, die die Forsteinrichtung durchgeführt haben, und auch nicht von den Ökologen, die die hessischen Biotope kartiert haben. Es ist auch merkwürdig, dass selbst für die wichtige Grunddatenerfassung keine “nähere Untersuchung” veranlasst wurde. Zumindest erklärt das, warum die Beschreibung der “überregionalen Besonderheit” so voller Mängel ist.

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