Das Forstmärchen vom Birken-Ebereschen-Blockwald
Die beiden Informationsschilder, die am Kellerwaldturm direkt neben dem Kahlschlag aufgestellt wurden, erzählen ein typisches Forstmärchen. ((vgl. Bibelriether, Hans: Forst- und Holzmärchen heute, in: Nationalpark 2, 2008, S. 14-16)) Nach dem Kahlschlag der Fichtenwälder werde folgendes passieren:
“Birken und Ebereschen werden übernehmen und lichte Wälder bilden. Dann werden Buche und Ahorn versuchen, Fuß zu fassen. Wenn es ihnen nicht gelingt, wird ein Birken-Ebereschen-Blockwald die natürliche Waldgrenze anzeigen und auf Grund der Höhenlage den nordisch-alpinen Charakter des Wüstegartengrates unterstreichen.” ((Hervorhebungen von mir))
Es fehlt eigentlich nur noch die gute Fee, die die Birken und Ebereschen pflanzt, und die böse Hexe, die die Buchen herausreißt.
1. Fehler: Waldgrenze
Es gibt in deutschen Mittelgebirgen nur einen einzigen Berg mit einer natürlichen Waldgrenze. Und das ist nicht der Wüstegarten im Kellerwald, sondern der Brocken im Harz. Und dessen Waldgrenze liegt nicht bei 675 wie angeblich am Wüstegarten, sondern bei 1.100 m. ((siehe Der Nationalpark Harz – Eine besondere Landschaft)) Nicht am Wüstegarten, sondern in den Hochlagen des Harzes herrschen in der Tat “extreme Witterungsverhältnisse […] eisige Kälte, sprühende Nässe und tosender Sturm”. ((ebd.))
Und selbst unter diesen widrigen Klimaverhältnissen wachsen reine Buchenwälder am Brocken bis zu einer Höhe von 700 m, Buchen-Fichtenwälder sogar bis 800 m. Und in den Hochlagen der Brockenkuppe wachsen bis zur Waldgrenze keine Birken-Ebereschen-Blockwälder sondern Bergfichtenwälder. ((siehe Vegetationsprofil der Brockenkuppe))
2. Fehler: Nordisch-alpiner Charakter
Es ist der Brockengipfel und nicht der Wüstegarten, dessen Flora Ähnlichkeiten aufweist mit der von Nordskandinavien und den Alpen. ((siehe Wikipedia: Brocken – Fauna)) Auf den Informationsschildern am Wüstegarten findet sich kein einziger Hinweis auf ähnliche alpine Kostbarkeiten, wie sie am Brockengipfel wachsen: die Brocken-Anemone und das Brocken-Habichtskraut. ((siehe Die Zwergstrauchheide auf der Brockenkuppe))
Brocken-Anemone oder Kleine Alpen-Kuhschelle
3. Fehler: Blockhalden
Auf den Fotos des Kahlschlags am Wüstegarten sieht man nirgendwo eine Blockhalde. Es gibt dort zwar einzelne kleine Felsbrocken und auch die vor über 1.000 Jahren künstlich zum Ringwall aufgeschichteten Steine der Heidelburg, aber keine Halde von Felsblöcken. ((siehe Wikipedia – Blockhalde)) Die einzige Blockhalde des Wüstegartengrates liegt 500 m weiter südlich an einer markanten Felsformation, die im Volksmund “Mausefalle” heißt. Im Internet gibt es fünf Fotos einer Wanderung zur Mausefalle. Die Birken, die dort wachsen, wurden 1971 künstlich gepflanzt, indem Birkensamen auf den Schnee gestreut wurden. ((mündliche Mitteilung vom Geo- und Naturparkführer Lothar Klitsch am 6.3.2017)) Östlich der Blockhalde wachsen Buchen.
Entfernung zwischen Wüstegarten und Mausefalle, © OpenStreetMap-MitwirkendeAn der Mausefalle wurde vom Naturschutzgroßprojekts ein Bohlensteg neu gebaut, um “die Blockhalde und die sensiblen Flechten und Moose” ((Bohlensteg am Wüstegarten)) vor Begehung zu schützen. Der Bericht darüber gibt unfreiwillig zu, dass es so viele “empfindliche” und “hoch wertvolle” Blockhalden am Wüstegarten nicht geben kann: Denn es wurde nur ein einziger Bohlensteg gebaut. Von diesem Bohlensteg hält Geo- und Naturparkführer Lothar Klitsch übrigens gar nichts: Die Hälfte des Jahres sei es lebensgefährlich, über ihn zu gehen. Im Winter sei er rutschig wegen Schnee und Eis und im Herbst wegen der Blätter. ((Mündliche Mitteilung von Lothar Klitsch am 6.3.2017))
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