Drei Beispiele deutscher Selbstgerechtigkeit
Einige Umweltschützer werden vielleicht nach der Lektüre der vier polnischen Artikel sagen:
“So einen Minister wie Szyszko gibt es in Deutschland nicht! In Deutschland würde kein Minister in einem Natura 2000-Gebiet den Borkenkäfer bekämpfen!”
Vorsicht! Dünnes Eis! Deutsche Minister haben ganz ähnlich wie Szyszko reagiert: siehe z. B. die Antwort von Ministerpräsident Stoiber auf die Kritik an der Borkenkäferbekämpfung im NLP Bayerischer Wald durch den WWF. Auch im NLP Harz, ebenfalls ein Natura 2000-Gebiet, kam es zu riesigen Kahlschlägen zur Borkenkäferbekämpfung. ((siehe meine umfangreiche Dokumentation Ödland)) Die zuständigen Umweltminister aus Hessen und Niedersachsen verteidigten die Kahlschläge: siehe Umweltministerien zu Kahlschlägen.
Andere Umweltschützer werden vielleicht sagen:
“So einen Professor wie Szyszko gibt es in Deutschland nicht! In Deutschland würde kein Professor die Borkenkäferbekämpfung in einem Natura 2000-Gebiet rechtfertigen.”
Vorsicht! Ganz dünnes Eis! Nicht nur im NLP Bayerischer Wald gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, der mit Doktoren und Professoren gespickt ist und der nie gegen die Borkenkäferbekämpfung protestiert hat. Auch im NLP Harz gibt es einen solchen Beirat, der ebenfalls nie Protest eingelegt hat. Alle Borkenkäfermaßnahmen im NLP waren außerdem mit der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) abgestimmt. ((siehe Nationalparkplan, Kapitel 2.2.4., S. 77)) Insider sprechen von den “Forstschützern”, die an Universitäten oder Anstalten wie der oben erwähnten NW-FVA oder der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) sitzen und in Deutschland einen sehr großen Einfluss – u. a. auch auf die Ausbildung von Förstern – haben.
Und wieder andere Umweltschützer werden vielleicht sagen:
“Ja, aber in Białowieża handelt es sich um einen Urwald! Das sind die deutschen Natura 2000-Gebiete ja nicht. Da es sich nicht um Urwälder handelt, macht die Bekämpfung des Borkenkäfers in deutschen Natura 2000-Gebieten Sinn!”
Vorsicht, das Eis bricht! Im Artikel Increasing disturbance demands new policies to conserve intact forest (= Zunehmende Störungen erfordern neue Richtlinien zur Erhaltung intakten Waldes), erschienen 2018 in der Zeitschrift Conservation Letters, fordern die sechs Wissenschaftler Jörg Müller, Reed F. Noss, Simon Thorn, Claus Bässler, Alexandro B. Leverkus und David Lindenmayer folgende “politische Schlüsselreform”:
“Sanitärhiebe [= Kahlschläge zur Borkenkäferbekämpfung, siehe Lexikon] müssen aus Schutzgebieten verbannt werden […].”
Und zwar aus allen Schutzgebieten! Es gibt keine Schutzgebiete erster und zweiter Klasse. Zahlreiche Rote-Liste-Arten und sogar Urwaldreliktarten haben nachgewiesenermaßen im NLP Bayerischer Wald unter den Sanitärhieben gelitten: siehe Namen der Totholzkäfer, die vom Verzicht auf Kahlschlag profitieren. Auch die durch die FFH-RL geschützte Mopsfledermaus profitiert vom Verzicht auf Sanitärhiebe; das Belassen vom Borkenkäfer befallener Bäume schafft für sie Lebensräume. ((siehe https://doi.org/10.1111/acv.12359))
Schluss
Damit keine Missverständnisse auftreten: Ich bin ein Gegner von Sanitärhieben in Schutzgebieten, ((siehe z. B. meinen 45-minütigen Film zur Borkenkäferbekämpfung im NLP Harz)) also auch ein Gegner der Sanitärhiebe in Białowieża. Prof. Szyszko liegt falsch, wenn er diese fordert. Aber wir Deutschen haben überhaupt keinen Grund zu Hochmut und Überheblichkeit: Wir gehen mit unseren Schutzgebieten keinen Deut besser um als die Polen. Und deshalb hat Prof. Szyszko recht, wenn er der EU Doppelmoral vorwirft.
Nachwort
In dem Artikel Greenpeace – der Discounter für ein gutes Gewissen hatte ich Ihnen am Ende vorgeschlagen, selbst mit dem Auto nach Białowieża zu fahren, sollte die polnische Regierung die Sanitärhiebe wieder aufnehmen. Heute halte ich diesen Vorschlag für Unsinn! Zum einen wegen Ihrer persönlichen Klimabilanz: ((siehe Der Klimakiller)) Die Fahrt mit dem Auto hin und zurück produziert ca. 0,5 t CO2. ((Hin- und Rückfahrt Porta Westfalica – Białowieża: 2.250 km, 8 l/100 km → 180 l Benzin ≅ 0,5 t CO2, Berechnung der CO2-Emissionen mit Hilfe der Excel-Tabelle des bayerischen Umweltministeriums)) Zum anderen: Sie müssen gar nicht so weit fahren! Wenn Sie sich – wie die “Umweltaktivisten” von Greenpeace – an einen Harvester ketten wollen, der in einem Natura 2000-Gebiet Fichten zur Borkenkäferbekämpfung fällt, fahren Sie doch einfach in den NLP Harz! ((siehe Erst die Stürme, jetzt der Käfer – Nationalpark Harz steckt mitten im Umbruch, Mitteldeutsche Zeitung vom 28.6.2018)) Und überhaupt: Die polnischen Umweltschützer schaffen das auch ganz prima ohne deutsche Unterstützung. Auch die Vorstellung, sie bedürften ganz dringend deutscher Hilfe, zeugt von deutscher Überheblichkeit.