Großkahlschlag am Heinrich-Heine-Weg

Fortsetzung: Kritik an der offiziellen Begründung des Kahlschlags

Der Großkahlschlag liegt aber nicht in der 500 m breiten Borkenkäferschutzzone. Die Nationalparkgrenzen sind kilometerweit entfernt. Aber die Nationalparkförster belassen es nicht bei der Einrichtung von “Sicherungsstreifen”: Gibt man einem Förster den kleinen Finger, nimmt er die ganze Hand. Das Nationalparkforstamt hat es sich in den Kopf gesetzt, zusätzlich große Fichtenkomplexe in der Naturentwicklungszone zu schützen: “In der Naturentwicklungszone wird mit abgestufter Intensität und in Abstimmung mit der NW-FVA ((= Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt, F.-J. A.)) vorgegangen: größere Fichtenkomplexe sollen geschützt werden”. ((Nationalparkplan, S. 77)) Es heißt zwar: “Außerhalb des Sicherheitsstreifens dürfen Bekämpfungsmaßnahmen nicht zum vollständigen Abräumen der Fläche führen”. ((Nationalparkplan, S. 52)) Aber 2008 brechen nach Kyrill sämtliche Dämme und man macht genau das. Dies führt zum worst-case: zu “aufgerissenen und dauerhaft instabilen Bestandesstrukturen”. ((a. a. O.))

Man hätte die Rinde, in der sich die Borkenkäfer entwickeln, schälen und die geschälten Bäume einfach liegen lassen können. So hätte man “wertvolle Alt- und Totholzentwicklungen” fördern und “zur Strukturierung des Nachfolgebestandes” beitragen können. ((Nationalparkplan, S. 51)) Aber gute Vorsätze wie “Totholz, sofern es nicht mehr borkenkäferträchtig ist, wird grundsätzlich im Wald belassen.” ((ebd.)) zählten 2008 plötzlich nicht mehr.


Das Forstamt will sich das Heft des Handelns nicht von diesem winzigen Biest aus der Hand nehmen lassen: “Befall kann durch frühzeitiges Eingreifen saniert bzw. Gradationen können mit dem im Schutzgebiet anwendbaren Bekämpfungsmethoden in ihrem Fortschritt verlangsamt werden. Phytosanitäre Hiebsmaßnahmen können zu kahlschlagartigen Freiflächen führen, auf denen ein Bestockungsumbau ungleich schwieriger zu begründen ist”. ((Nationalparkplan, S. 51))

Alles klar? Keine Sorge: Wenn Sie diese Texte nicht verstehen, so liegt das nicht an Ihnen. Diese Texte soll niemand verstehen. Förster bemühen sich “nicht unerfolgreich um eine gewisse Unverständlichkeit.” ((Stefan Niggemeier, Was mit “Wetten dass” stirbt: Das Genre der “Wetten dass”-Kritik, im Original lautet das Zitat: “Allerdings bemühte sich auch die FAZ nicht unerfolgreich um eine gewisse Unverständlichkeit.”)) Sie kennen dieses Phänomen von Chefärzten: Geheimsprache ist eine Form der Machtausübung. Ich will einmal versuchen, Ihnen das Fachchinesisch zu übersetzen: “Gradation” bedeutet explosionsartige Massenvermehrung. ((siehe Wikipedia)) Pestizide scheiden als Bekämpfungsmethoden aus: Es bleiben “phytosanitäre Hiebsmaßnahmen”, sprich: Kahlschläge, denn bei exponentieller Vermehrung von Insekten reicht das Fällen einzelner Bäume nicht aus.

Was aber ist mit den Schwierigkeiten beim “Bestockungsumbau” gemeint? Wenn ein Förster davon spricht, dass eine Fläche mit Fichten “bestockt” ist, meint er, sie sei mit Fichten bewachsen. “Bestockungsumbau” meint im NLP Harz, dass man die Fichtenforste in Misch- bzw. Buchenwälder umbauen will. Das Nationalparkforstamt gibt also selbst zu, dass dieser Waldumbau auf Kahlschlägen sehr schwierig ist. Auf Kahlschlägen drohen den jungen Laubbäumchen zahllose Gefahren: Vergrasung, Verkrautung, Frost, Dürre, Nässe, Konkurrenz durch junge Fichten, Verbiss durch Mäuse, Hasen und Rothirsche. ((vergleiche Vor- und Nachteile von Kahlschlägen))

Das alles ist aber nicht weiter schlimm. Denn: “Das Erreichen von Dichtstand hat im Nationalpark allerdings auch keine Bedeutung …”  ((Nationalparkplan, S. 51)) Das ist nun wirklich dreist: Der Fachbegriff “Dichtstand” meint, dass die Bäume dicht beieinander stehen. Das sei im Nationalpark nicht wichtig. Ein Grund dafür wird nicht genannt. Derartige Sätze haben praktische Konsequenzen: Die Buchensetzlinge werden auf dem Kahlschlag mit weitem Abstand voneinander gepflanzt. Das spart Kosten, ist aber völlig unnatürlich: Normalerweise wachsen Jungbuchen zu Zehntausenden auf einem Hektar.

Und weiter: “… und eine Vergrasung anstelle einer artenreichen Wiederbewaldung ist nur in den seltensten Fällen zu befürchten.” Dumm nur, dass Sie genau über diese “seltensten Fälle” überall im Nationalpark stolpern. Wenn die Kahlschläge überhaupt wiederbewaldet werden, dann mit artenarmen Birkenwäldern, in denen man andere Pionierbaumarten wie Vogelbeere, Weiden, Zitterpappel und Vogelkirsche mit der Lupe suchen muss, weil sie von den Rothirschen gefressen werden. ((siehe Das Versagen der Jagd im NLP Harz)) In vielen Fällen tritt genau das ein, was angeblich nicht zu befürchten ist: die Vergrasung.

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