Antwort von Prof. Scherzinger
Prof. Scherzinger hat mir umgehend am 25. Januar 2014 geantwortet und mir erlaubt, seine Antwort zu veröffentlichen:
Sehr geehrter Herr Adrian,
Ihre Anfrage vom 23.01.2014 kann ich nur partiell beantworten, da mir das Vortrags-MS vom Mai 2006 nicht mehr vorliegt. – Mit dem Übertritt in die Rente musste ich übersiedeln, und sehr viel Material im Bayerischen Wald zurücklassen.
Soweit ich mich erinnere, gab es 4 „Brennpunkte“ bei dem Experten-Begang im NP Eifel:
- Fichtenaufforstung auf ehemaligen Talwiesen längs dem Bachbett; Entfernung zu Gunsten der wilden Narzissen und artenreicher Feuchtwiesen
- Fichten-Baumhölzer auf Laubholz-Standorten, mit der Frage: Zuwarten, dass die gebietstypische Buche sich von selbst wieder etabliert, oder Eingreifen (z. B. Freistellen von Altbuchen als Samenbäume, direkter Waldumbau mit horstweiser Buchenpflanzung)
- autogenes Eindringen von Douglasien-Sämlingen im Altbestand von Laubmischwäldern; Eingreifen oder Laufenlassen?
- Abtrieb junger Douglasien-Pflanzungen und Einleitung einer natürlichen Sukzession.
Die Entscheidungen für das Management können dabei sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welche „Zone“ des NP betroffen ist, und vor allem, welche Chancen einer natürlichen Regeneration standorts-heimischer Waldgesellschaften eingeräumt erden können. – Da kann es für jede Einzelfläche unterschiedliche Antworten geben.
Ein Vergleich mit dem großteils erfolgreichen Leitbild „Natur Natur sein lassen“ im NP Bayerwald ist hier nicht angebracht, weil die Waldbestände im Bayerischen Wald großteils der naturgegebene Artenausstattung entsprechen, wiewohl die Fichte auch hier massiv gefördert wurde – zu Lasten eines vitaleren Mischwaldes. Aber während die Wahrscheinlichkeit einer autogenen Rückkehr der vorübergehend verdrängten Pionierbäume und Laubbaumarten in der Montan- und Hochmontanstufe dieses Mittelgebirges sehr hoch ist (was die Sukzession auf den Sturm- und Borkenkäfern auch in weiten Teilen bestätigt), sind die Fichtenbestände in der Eifel durchwegs als anthropogen einzustufen. Ein Belassen ausgereifter Fichten würde hier eine laufende Verjüngung der Fichten über Samenflug riskieren, so dass die ohnehin in der Minderzahl eingesprengten Laubbäume wegen des erheblichen Konkurrenzdrucks durch schnellwüchsige und anspruchslose Fichten kaum zur Wieder-Ausbreitung kämen.
Ziel des NP-Managements in der Eifel muss es sein, die Rückkehr der autochthonen Laubwaldgesellschaften zu ermöglichen und zu unterstützen. Welche Methodik dabei angewandt wird, muss im Rahmen des NP-Managementplans abgestimmt und entschieden werden. Dazu fehlen mir aktuelle Informationen.
Ich habe Ihnen in den Anhang eine Tabelle mit einer Zitaten-Auswahl zum Thema Prozessschutz und Wildnis gestellt.
Mit freundlichen Grüßen
Das Original des Antwortbriefes können Sie hier herunterladen: Brief Scherzinger. Und hier geht es zur Tabelle mit Arbeiten von Scherzinger zu Prozessschutz und Wildnis: Veröffentlichungen Scherzinger.
Kommentar zur Antwort von Prof. Scherzinger
Bedeutsam erscheint mir der erste “Brennpunkt”, den Scherzinger erwähnt. Den Experten wurde bei den mit der Tagung verbundenen Exkursionen gesagt, das Ziel der Fichtenentfernungen in Bachtälern sei die Begünstigung von Narzissen-Wiesen und von artenreichen Feuchtwiesen (vergleiche zu diesem Argument: Alles so schön bunt hier). Von Auenwäldern war nicht die Rede. Scherzinger erwähnt sie im ganzen Brief nicht mit einem Wort.
Scherzinger drückt sich um eine klare Antwort für oder gegen Kahlschläge herum: “Dazu fehlen mir aktuelle Informationen.” Aber er plädiert ausdrücklich gegen ein “Belassen ausgereifter Fichten” im Wald mit dem Argument, dass die “schnellwüchsigen und anspruchslosen Fichten”, die sich durch Samen weiträumig verbreiten, die wenigen Laubbäume niederkonkurrieren würden. Das Argument sticht aber nicht: Kahlschläge lösen das Problem der Naturverjüngung der Fichte gerade nicht. Im Gegenteil: Sie verschärfen es, weil die Buche keine direkte Sonneneinstrahlung verträgt und die Fichte auf Kahlschlägen schneller wächst als die anderen Bäume. Andere Pionierbäume wie z. B. die Vogelbeere werden von Rehen und Hirschen verbissen und geschält.
Interessanterweise erwähnt Scherzinger, der den NP Bayerischer Wald ja wie seine Westentasche kennt, nicht den Borkenkäfer, der in der Entwicklungszone am Lakaberg ein Riesenproblem darstellt (siehe zu diesem Problem die Webseite: Waidlerherz – Brennpunkt Borkenkäfer). Mit dem “erheblichen Konkurrenzdruck” der “anspruchslosen” Fichte ist es in Zeiten des Klimawandels mit frühsommerlichen Temperaturen schon Ende Februar wie im Jahr 2014 nicht weit her. Die Fichte stellt sehr wohl Ansprüche: Sie braucht Kälte und sie braucht Feuchtigkeit. Beides wird sie in der Eifel in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr haben.
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