WWF zur Borkenkäferbekämpfung 1999

Brief des WWF-Experten Jungius an Ministerpräsidenten Stoiber

Am 21. Januar 1999 schreibt Dr. H Jungius einen Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Jungius war Mitglieder der Expertengruppe, die im Frühjahr 1998 die Borkenkäferbekämpfung im NLP Bayerischer Wald begutachtet hat. ((siehe Die Verdopplung der Borkenkäferschutzzone 1997 – Chronologie der Ereignisse – April 1998)) Er vertritt die Auffassung, dass die real praktizierte Borkenkäferbekämpfung der Nationalparkverwaltung gegen die IUCN-Kriterien verstößt.

Dr. H. Jungius
WWF-International
Avenue de Mont-Blanc
1196 Gland, Switzerland

Herrn Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
Bayerische Staatskanzlei
Franz-Josef-Strauß-Ring 1
80539 München

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
vor kurzem hat der Pressesprecher des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums, Robert Schäfer, erklärt, daß 1998 im Nationalpark Bayerischer Wald auf einer im Durchschnitt 1000 Meter tiefen Randzone der Borkenkäfer bekämpft worden sei. Hinzugefügt hat er, dies sei mit den internationalen Richtlinien für Nationalparke der IUCN vereinbar. Dies gibt mir Anlaß, als Mitglied der Expertengruppe, die sich im Frühjahr des vorigen Jahres mit dieser Frage befaßt hat, Ihnen zu schreiben und darauf hinzuweisen, daß dies nicht zutrifft.

Die Borkenkäferbekämpfung im Nationalpark, wie sie in den zurückliegenden Monaten durchgeführt wurde, ist nicht mehr mit diesen Richtlinien zu vereinbaren. Zum einen hat die Fläche, auf der bekämpft wird, inzwischen zusammen mit den anderen, nicht dem Hauptnaturschutzziel dienenden Flächen, einen Umfang von rund 30% angenommen. Zulässig sind grundsätzlich maximal nur 25 %. Außerdem ist Voraussetzung für eine internationale Anerkennung, daß auf diesem 25 % Flächenanteil, der nicht dem Schutz der natürlichen Entwicklung von Lebensgemeinschaften dient, nur solche Maßnahmen und Eingriffe stattfinden, die dem Hauptziel nicht widersprechen. Dies bedeutet, daß grundsätzlich das bei der Borkenkäferbekämpfung anfallende Holz im Nationalpark zu verbleiben hat.

Im Jahr 1998 wurden großflächig zigtausende von Festmetern Nutzholz, meist als Stammholz ausgehalten, unter schwersten Beschädigungen des Bodens und des nachwachsenden Waldes, aus dem Nationalpark abtransportiert und verkauft. Zumindest auf allen kleineren Borkenkäferbefallsflächen, wo vielleicht 100 oder maximal 150 Bäume betroffen sind, ist es bei gutem Willen und etwas höherem Einsatz von Personal durchaus möglich, das Holz im Wald zu belassen und trotzdem eine effektive Borkenkäferbekämpfung durchzuführen.

Völlig unvereinbar mit den geltenden Richtlinien ist es auch, daß Rückewege mit Mineralbeton aufgeschüttet wurden in Fällen, in denen entweder gar kein Borkenkäferbefall im Einzugsbereich des Weges vorhanden war, oder aber nur geringe Holzmengen. Die Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt. Sie ist auch nicht gewahrt, wenn um die kleinen Ortschaften im Nationalpark Tausende von Fichten umgeschnitten werden, nur um wenige Dutzend Fichten im Privatwald zu schützen. Hier müßte eine Entschädigung für den Fall, daß wirklich solche Bäume befallen werden, doch möglich sein, darauf haben ich auch im Rahmen der Expertengruppe wiederholt hingewiesen.

Der Nationalpark Bayerischer Wald galt bis 1997 als vorbildliche Einrichtung und beispielhaft für viele neu geschaffene Nationalparke in Deutschland und Mitteleuropa. Durch Eingriffe, wie im Jahr 1998, verliert er diese Qualität bzw. hat sie schon verloren. Im Frühjahr 1999 wird eine Interpretation der IUCN-Richtlinien für Europa veröffentlicht, in der auch für die einzelnen Kategorien beispielhafte Parke aufgenommen und dargestellt werden sollen. Solange nicht absolut sichergestellt ist, daß sich ein Vorgehen, wie im Jahr 1998 auf derartig großen Flächen, in derartig massivem Umfang nicht 1999 wiederholt, kann der Nationalpark Bayerischer Wald nicht mehr als Beispiel genannt werden. ((Genauso ist es gekommen: Der NLP wird nicht mehr als Beispiel genannt. Siehe: IUCN World Commission on Protected Areas – Föderation EUROPARC (Hg.), Richtlinien für Management-Kategorien von Schutzgebieten – Interpretation und Anwendung der Management-Kategorien für Schutzgebiete in Europa, Grafenau 2. korrigierte Auflage 2000, S. 34 ff.))

Dies wäre außerordentlich bedauerlich, da gerade Bayern dafür bekannt ist, daß es auf verschiedensten Feldern im nationalen und internationalen Vergleich hervorragende Leistungen bietet.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich habe dieses auch mit meinen Kollegen in der IUCN besprochen und bitte Sie auch in deren Namen sich persönlich dafür einzusetzen, daß die für den Nationalpark schädlichen Eingriffe, künftig unterbunden werden und die Naturschutzziele auch im Randbereich wieder Vorrang vor forstwirtschaftlicher Nutzung gewinnen.

Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. H. Jungius
WWF International

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