“Der Wald entwickelt sich nach Ela prächtig” – WAZ vom 7. Juni 2017
Einen Tag nach dem Bericht in der Lokalzeit Ruhr des WDR erscheint am 7. Juni 2017 in der WAZ der Artikel: Drei Jahre nach Sturm Ela: „Der Wald entwickelt sich prächtig“. Wieder geht es um den Schellenberger Wald. Und wieder spielt Tobias Hartung, Förster von Grün und Gruga, die Hauptrolle. Offiziell ist Hartung in der Operativen Leitung zuständig für “Waldnaturschutz, Reitwege, Forsteinrichtung und Wirtschaftsplanung”. Inoffiziell kümmert er sich auch um die “forstliche Öffentlichkeitsarbeit”. Diese hat laut Tobias Hartung eine ganz bestimmt Aufgabe:
“Zukünftig muss es Aufgabe der forstlichen Öffentlichkeitsarbeit sein, darzustellen, wie die Bestandsbilder [heller Waldstrukturen und Mischwälder] durch forstwirtschaftliche Maßnahmen erreicht werden und dass dazu wiederkehrende Durchforstungen erforderlich sind.” ((Tobias Hartung, Meine Stadt. Mein Wald!, in: AFZ – Der Wald 8 / 2017, S. 15, Hervorhebungen von F.-J. A.))
Die Öffentlichkeitsarbeit muss die Forstwirtschaft vor Kritik in Schutz nehmen, denn:
“Nicht selten wird das Agieren der Forstwirtschaft über Einzelmeldungen in der Medienlandschaft mitunter durch destruktive Kritik hinterfragt.” ((a. a. O., S. 14))
Eine solche “destruktive Kritik” war beispielsweise die “Einzelmeldung” in der WAZ vom 12. Mai 2016: Umweltinitiativen kritisieren Forstbetrieb in Essen.
Deshalb ist es wichtig für Grün und Gruga, sich durch viele Meldungen in der WAZ und im WDR immer und immer wieder positiv darzustellen. Deshalb erscheint bereits einen Tag nach dem Bericht in der Lokalzeit des WDR der WAZ-Artikel mit der bezeichnenden Überschrift “Der Wald entwickelt sich nach Ela prächtig”. Selbstverständlich gibt es über die “forstwirtschaftlichen Maßnahmen” von Grün und Gruga nur Erfolgsmeldungen:
- “Der Wald entwickelt sich nach Ela prächtig.”
- “Auch für den Laien ist es nicht zu übersehen, dass sich der Wald an vielen Stellen langsam erholt.”
- “Ela hat dafür gesorgt, dass sich der Wald fantastisch verjüngt. Vor allem dort, wo wir vorgesorgt haben.”
- Das Grün “schießt […] förmlich in die Höhe”.
- “Beim Ahorn haben wir einen Zuwachs von einem Meter pro Jahr. Sonst wäre es vielleicht nur ein halber Meter gewesen.”
- “Auch die Buche entwickelt sich prächtig”.
Am “absolut schockierenden Anblick” war einzig und allein die “Katastrophe” Ela schuld.
Die Vorsorge von Grün und Gruga
Tobias Hartung ist stolz auf das Forstamt. Denn “wir” hatten “vorgesorgt”. Hartung behauptet, er fälle Bäume, um für den nächsten Sturm “vorzusorgen” und “damit nachfolgende Baumgenerationen genügend Platz haben, um zu wachsen”. Genauso gut könnte Hartung behaupten, dass er Bäume fälle, damit der Rote Fingerhut genügend Platz hat. Oder damit der Zilpzalp genügend Futter findet. Oder dass er Rückegassen anlegt, damit in deren Pfützen Bergmolche und Erdkröten leben können. ((siehe Kritische Analyse des Audit-Berichts – Übersehen von Bodengleisen in Rückegassen)) Ich behaupte, Förster fällen Bäume nur aus einem einzigen Grund: um das Holz gewinnbringend zu verkaufen und ihren Arbeitsplatz zu sichern.
Laut Zeitungsartikel hat Grün und Gruga im Schellenberger Wald in Essen-Heisingen “mehrere hundert” Bäume gepflanzt. Im Fernsehbeitrag der Lokalzeit Ruhr vom 26. Februar 2016 waren es noch wesentlich mehr: 4.000 Eichen und Winterlinden. Von denen ist im Artikel überhaupt nicht die Rede, sondern nur von Ahorn und Buche. Die aber wurden nicht künstlich gepflanzt, sondern sind das Ergebnis natürlicher Verjüngung. Vielleicht entwickeln sie sich gerade deswegen so “prächtig”.
Missbräuchliche Verwendung des Wortes “Natur”
Hartung verwendet das Wort “Natur” in missbräuchlicher Weise. Der Schellenberger Wald ist keine “Natur” und auch kein naturnaher Wald. Knut Sturm, Leiter des Forstamts des Lübecker Stadtwalds, erinnert in der Sendung scobel über den “Patient Wald – Um unsere Wälder ist es schlecht bestellt” am 27. April 2014 daran, dass wir es in Deutschland mit “verarmten Wirtschaftswäldern” zu tun haben:
“Die haben nichts mit einem naturnahen Wald zu tun.” ((scobel, Patient Wald, ab Minute 9:10, Hervorhebungen von F.-J. A.))
Und Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie an der Universität Hannover und Autor des Standardwerkes ‘Die Geschichte des Waldes’, betont in der gleichen Sendung, dass unser Wald “ein von Menschen geprägter Kulturraum, kein Naturraum” ((scobel: Patient Wald, Minute 8:10 und ab Minute 11; Hervorhebungen von F.-J. A.)) ist. Und selbst der Begriff “Kulturraum” für den Wald ist missverständlich: Bei “Kultur” denkt man normalerweise an Opern, Theaterstücke, Konzerte und Kunstausstellungen, nicht aber an Motorsägen, Rückeschlepper und Holzvollernter. Und Tobias Hartung ist auch nicht Kulturwissenschaftler sondern Forstingenieur, ein Fachmann “auf dem Gebiet der Technik“ ((Wikipedia – Ingenieur, Hervorhebung von F.-J. A.)). Seine Fachrichtung ist nicht das Bauingenieurwesen, der Maschinenbau oder die Robotik, sein Spezialgebiet ist der Forst.
“Forst ist heute eine umgangssprachliche Bezeichnung für einen abgegrenzten, forstwirtschaftlich genutzten Wald (Wirtschaftswald).” ((Gerhard Stinglwagner, Ilse Haseder, Reinhold Erlbeck, Das Kosmos Wald- und Forst-Lexikon, 5. Auflage 2016, S. 290, Hervorhebung von F.-J. A.))
Ein Aufgabengebiet von Tobias Hartung ist folglich die “Wirtschaftsplanung”. Es ist deshalb nicht die “Natur” und schon gar nicht “die” Natur, die sich “erholt” oder mit Ela “umgehen” muss, sondern ein von Forstingenieuren bewirtschafteter Wald. Und hektargroße Flächen, die mit Knöterich, Brennnesseln und Brombeeren überwuchert sind, sind auch nicht “letztlich [..] Natur”, sondern die Folgen eines Windwurfs in einem Wirtschaftswald, bei dem das gesamte Sturmholz von Forstwirten abtransportiert wurde. Ein Zyniker würde vielleicht sagen, der Schellenberger Wald sei eine Holzfabrik. Vielleicht war der “Anblick nach Ela” für Forstingenieur Hartung nur deshalb “absolut schockierend”, weil Ela seine Fabrik demoliert hat.
Nicht einmal nach dem Sturm Ela durfte sich der Schellenberger Forst von Menschen ungestört entwickeln. Er wurde “auf-” und “leergeräumt”. ((siehe Beitrag der Lokalzeit Ruhr vom 26. Februar 2016)) Das gesamte Totholz wurde entfernt. Was übrig bleibt, ist nicht “die Natur”. Die großen Felder mit Knöterich, Brennnesseln und Brombeeren – in einem Urwald gibt es sie nicht. Und auch Windwürfe sehen in einem Urwald völlig anders aus. Sie sind kleiner, viel viel kleiner und nie sind “10 bis 15 Prozent” geschädigt.