Alles so schön bunt hier

Romantisierung des Mittelalters

Das Desinformationsschild romantisiert das Mittelalter: Vor dem geistigen Bild des Lesers entsteht das Bild von glücklichen Bauern, die in “reizvollen Tälern” die “blumenbunten Wiesen” schonen, den Boden der “schönen Landschaft” bewässern, Gräser und Kräuter mähen und ihr Vieh füttern.

Die Wirklichkeit sah völlig anders aus. Ulrike Herrmann beschreibt sie in ihrem Buch “Sieg des Kapitals” auf Seite 153:

Es gab “Hungersnöte, und es herrschte bittere, archaische Armut. Selbst in guten Zeiten lebten die Menschen nur knapp oberhalb des Existenzminimums. Im Jahr 1500 sah der typische Verbrauch eines typischen Europäers wie folgt aus: Er aß 180 Kilo Brot im Jahr und trank 180 Liter Bier, das damals weniger Alkohol enthielt … Hinzu kamen 26 kg Fleisch, fünf Kilo Butter und Käse sowie 52 Eier. Die Nahrungsmittel verschlangen schon 80 Prozent des gesamten Einkommens. … Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung arbeiteten in der Landwirtschaft und produzierten gerade so viel, dass es knapp für alle reichte.”

In der Eifel kam es noch im 19. Jahrhundert wiederholt zu Hungersnöten: 1816/17, 1847 und 1879/80:

„Sehr viele Eifelbewohner kennen keine andere Nahrung als Kartoffeln und Brot, das aus einer Mischung von Hafermehl und Kartoffeln besteht. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass zwei Dritteile der gesamten Bevölkerung nur einmal im Jahre Fleisch genießen. Alle Bauern sind verschuldet, in den großen Dörfern sind 4 – 5 und in den kleineren keiner ausgenommen.“ (Denkschrift des Landtagsabgeordneten Braun aus dem Jahr 1853, zit. n. Hans-Dieter Arntz, Naturkatastrophen und Notstände in der Eifel)

Ulrike Hermann schriebt:

“Noch im 18. Jahrhundert … starben die Menschen im Durchschnitt nach nur 28 Jahren, denn 40 Prozent aller Neugeborenen vollendeten noch nicht einmal ihr erstes Lebensjahr. Meist waren es Magen- und Darmkrankheiten, die sie dahinrafften. Aber auch Infektionskrankheiten wie Diphterie, Scharlach, Masern, Tuberkulose oder Pocken stellten eine tödliche Bedrohung dar. Umgekehrt wurden nur wenige Menschen alt. Im Jahr 1755 erreichten von 1000 Geborenen in Berlin ganze 74 Menschen den 70. Geburtstag.” (Der Sieg des Kapitals, S. 15)

Die Stiftung NRW meint, die künstlich mit großem Aufwand rekonstruierte Kulturlandschaft sei ein “Zeugnis alter bäuerlicher Wirtschaftsformen” (Flyer). In Wirklichkeit ist sie Zeugnis von Armut, Krankheit und elender Plackerei. Die Bauern selbst scheinen die “blumenbunten Wiesen” nicht gemocht zu haben: Als nach dem 2. Weltkrieg Traktoren und Kunstdünger die Landwirtschaft revolutionierten, kehrten sie den “Blütenteppichen” den Rücken. Vielleicht würde auch die “Begeisterung” von Narzissenpate Jean Pütz für die “schöne Landschaft” rasch abklingen, wenn er selbst einmal eine Woche lang die Wiesen mit der Sense mähen müsste und dazu nur Kartoffelbrot zu essen bekäme.

 

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