Der Streit um ein Waldschutzgebiet auf dem 1. Deutschen Naturschutztag 1925
Ausrotten ist ein böses Wort. Es ist vorbelastet durch die Nazis, die vom Ausrotten der Juden sprachen. Aber alle Synonyme sind ebenfalls durch die Nazis vorbelastet: “ausmerzen”, “ausradieren”, “auslöschen”, “ausschalten”, “vernichten”. Worauf es mir ankommt: Die Urwaldreliktarten sind nicht einfach so “ausgestorben” oder “verschwunden”. Es waren auch nicht anonyme Mächte schuld wie das Eichensterben oder der Klimawandel. Verantwortlich war die Bayerische Staatsforstverwaltung. Das letzte große Massensterben ereignete sich vor 80 – 100 Jahren ((Die Zeitangabe ist eine persönliche Mitteilung von Jörg Müller.)) :
“[Es ist] in Folge der Waldnutzung zu einschneidenden Veränderungen im kontinuierlichen Habitatangebot gekommen […]. So wurden alte Eichen (> 300jährig) im Nördlichen Steigerwald fast gänzlich aufgenutzt. Mulmhöhlenbäume sind ebenfalls im Wesentlichen auf die Reservate beschränkt.” ((J. Müller, J. Bail, H. Bussler, A. Jarzabek-Müller, F. Köhler und J. Rauh, Naturwaldreservat Waldhaus als Referenzfläche für Biodiversität von Buchenwäldern in Bayern am Beispiel der holzbewohnenden Käfer, Beiträge zu bayerischen Entomofaunistik 9, Bamberg (2009), S. 107 – 112, hier S. 117; die Arbeitsgemeinschaft bayerischer Entomologen stellt den Aufsatz als PDF-Datei auf ihrer Webseite zur Verfügung. Hervorhebungen von mir.))
Wie wertvoll diese “aufgenutzten” Alteichen waren, das wussten Naturschützer des Bund Naturschutz in Bayern schon 1925. Es ist das große Verdienst von Georg Sperber, ((siehe Georg Sperber, Waldnaturschutz auf der Verliererstraße, Nationalpark 108 (2002), S. 28 – 33. Auch Lebrecht Jeschke berichtet über den Naturschutztag in seinem Aufsatz: Wurzeln des Naturschutzes, in: Michael Succow, Hans Dieter Knapp, Lebrecht Jeschke (Hg.), Naturschutz in Deutschland, Berlin 2012, S. 25. Er macht aber gleich zwei grobe Fehler: Zum einen verwechselt er aus den Waldbauprofessor Ludwig Fabricius mit dem Förster Wilhelm Fabricius. Zum anderen erfindet er einen persönlichen Auftritt des bayerischen Finanzministers auf dem Naturschutztag.)) daran erinnert und die Vorgänge auf dem ersten Deutschen Naturschutztag vom 26 – 28. Juli 1925 in München wieder ans Tageslicht geholt zu haben:
“Die Zeitumstände weisen beklemmende Parallelen zu den heutigen auf.” ((Georg Sperber und Thomas Stephan, Frankens Naturerbe – Buchenwälder im Steigerwald, Bamberg 2008, S. 170))
Damals formulierte Hans Stadler, “ein außergewöhnlich kenntnisreicher Arzt und Naturforscher aus Lohr am Main”, ((a. a. O., S. 172; Es soll nicht unter den Tisch fallen, dass Stadler später ein “fanatischer Nazi” war. Als “Gau-Naturschutzbeauftragter” und Günstling des Gauleiters von Mainfranken Otto Hellmuth richtete er Dutzende Naturschutzgebiete ein. Siehe Dunkelbraunes Habitat – BUND arbeitet Geschichte auf, TAZ vom 7. Oktober 2013)) folgenden Antrag:
“[D]er Naturschutztag möge die dringende Bitte aussprechen, dass von den unterfränkischen Alteichenbeständen 500 ha unter Schutz gestellt werden.” ((zit. n. Sperber, Waldnaturschutz, S. 31))
Die Alteichen standen im Spessart, Steigerwald und Gramschatzer Wald:
“[I]n den noch unberührten Teilen dieser Forste lebt auch eine einzigartige Vogel- und Insektenwelt, deren Schutz selbstverständlich sein müsste. So komme hier allein, sonst fast nirgends in Deutschland, der Halsbandfliegenschnäpper und der fast überall ausgerottete Bockkäfer Hesperophanes pallidus ((Stadler meint den Bleichen Alteichen-Nachtbock (Trichoferus pallidus). Die Rote-Liste-Art wurde inzwischen mitsamt den Alteichen im Steigerwald ausgerottet. )) vor.” ((Hans Stadler, zit. n. Sperber, S. 31, Hervorhebungen von mir))
Der Botaniker Hermann Dingler unterstützte den Antrag mit Argumenten, die auch 90 Jahre später nichts von ihrer Aktualität verloren haben:
“Leider sind schon sehr starke Eingriffe in die schönsten Altbestände geschehen, die nicht immer glücklich waren, sodass der heutige Notschrei nach einem ausgiebigen, absolut und dauerhaft geschützten Reservat und dem Schutz seines ganzen Organismenkonsortiums voll berechtigt ist. […] In dieser nationalen Frage muss sich das Gewissen rühren. Ist es wirklich denkbar, dass der ganze lebende Rest des sagenumwobenen Spessartwaldes dem Geldbedürfnis geopfert werden könnte? Wäre das nicht eine Schande? Wir geben Millionen aus für Museen und können die letzten Reste eines großen Naturmuseums, welches seit Jahrhunderten sich selbst verjüngend erhalten hat, vernichten, um schließlich ‘Baumäcker’ an seine Stelle zu setzen. Nein, das kann nicht sein!” ((zit. n. Sperber, S. 31))
Konnte es doch! Gegner der beiden ehrenamtlichen Naturschützer war Ludwig Fabricius, Professor für Waldbau an der Universität München. Er hielt die Festrede und bedient sich einer geradezu schockierenden Offenheit:
“[Es ist die Frage gestellt worden, warum gerade die Forstleute,] denen man doch ein besonderes Maß an Natursinn nicht absprechen kann, sich oft an der Schönheit des Waldes versündigen. […] Die Antwort ist in den meisten Fällen einfach. Das eherne Ertragsgesetz, das ihre Pflicht ist, zwingt sie dazu. Denn Waldbau ist eben nicht Naturschutz, sondern nachhaltige Werterzeugung. […] der Forstmann muss rechnen.” ((zit. n. Sperber, S. 29))
Ganz gemäß der Bodenreinertragslehre von Max Pressler betrachtet Fabricius den Baum als Kapitalanlage, die den höchsten Ertrag bringen soll. Zum Zeitpunkt des höchsten Ertrags muss der Baum gefällt werden. Deshalb gibt es in den Wäldern keine alten Bäume mehr: Ein alter Baum wirft keine Rendite ab. Fabricius:
“[V]verschonen kann ihn nur, wer die Zinsen aus seiner Tasche draufzahlen kann, der Staat in Deutschland jedenfalls nicht.” ((zit. n. Sperber, S. 30))
Der Antrag von Hans Stadler wurde mit zwei Gegenstimmen angenommen: sie kamen natürlich von der Ministerial-Forstverwaltung. ((siehe Michael Kunkel, Der Heisterblock im Hochspessart)) Deren Leiter war Staatsrat Theodor Mantel, ((siehe Carl Schmöller, Jacques Andreas Volland, Bayerns Wälder – 250 Jahre Bayerische Staatsforstverwaltung, Haus der Bayerischen Geschichte, S. 32)) gleichzeitig Stellvertreter von Finanzminister Wilhelm Krausneck. Die Bayerische Staatsforstverwaltung gehörte damals praktischerweise zum Finanzministerium: Die Einnahmen aus den Staatsforsten galten als Rückgrat der Staatsfinanzen. Hans Stadler wird die Ablehnung des Schutzgebietes durch die Bayerischen Staatsforsten nicht überrascht haben. Denn:
“Die meisten Forstleute, die diese Gebiete betreuen, scheinen keine Ahnung davon zu haben, welche Wunderwerke der Natur ihnen hier anvertraut sind. Die Atmosphäre des Holzfällens lastet wie ein Alpdruck auf den Regungen der Freude und dem Ahnen der Schönheit und des Wertvollen dieser ‘Altbestände’, die dem Naturschützer verehrungswürdige Reste einer längst vergangenen Zeit sind.” ((zit. n. Sperber, S. 32))
Einen unfreiwilligen Beweis für die Ahnungslosigkeit der Förster liefert übrigens Ulrich Mergner selbst, wenn er über den Eremiten schreibt:
“[…] eine selbst in Försterkreisen lange Zeit unbekannte Käferart […]” ((Small is beautiful, S. 7))
Ein Jahr später hat er seinen Tritt ins Fettnäpfchen bemerkt und korrigiert sich wie folgt:
“[…] eine selbst in Naturschutzkreisen weitgehend unbekannte Käferart […]” ((Waldtrittsteine, S. 19))
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