Faktencheck: Altholzinseln

Welche Fehler macht Mergner bei der Wiedergabe der Ergebnisse zur Mindestgröße?

Bei der Wiedergabe der Ergebnisse von Müller, Lachat und Bütler macht Mergner fünf Fehler:

  1. Fehler: 75 % der Habitatstrukturen
  2. Fehler: Falsches Zitat
  3. Fehler: Grenzwert und Zuwachsraten
  4. Fehler: 0,6 ha Buchenwald
  5. Fehler: Anzahl der Arten

1. Fehler: 75 % der Habitatstrukturen

Der erste Fehler unterläuft Mergner bei der Zusammenfassung der Studie:

“[…] Schweizer Untersuchungen über das ökologische Potenzial von Altholzinseln und die Herleitung von Minimalflächen […] zeigen, dass in Buchenwäldern 75  % der für die Artenvielfalt wichtigen Totholz- und Habitatstrukturen bereits ab einer Größe von 0,6 ha und der entsprechende Wert für Spechtbäume ab 0,9 ha erreicht werden.” ((Waldtrittsteine, S.  21))

Im Aufsatz aus dem Vorjahr “Small is beautiful” taucht der Fehler sogar fett gedruckt als Kapitelüberschrift auf: “Kleinflächen – 1 ha repräsentiert bereits 75 % der Strukturen”. ((Small, S. 8))

Das stimmt nicht. Die Schweizer arbeiten mit Schwellenwerten. Ab einer Größe von 0,6 ha übertreffen 75 % der Flächen den Schwellenwert für Habitatstrukturen. Sie zeigen nicht 75 % der Habitatstrukturen. Das ist ein Unterschied.

2. Fehler: Falsches Zitat

Müller zitiert falsch. Die Abbildung 5 unten rechts auf der Seite 20 stammt nicht wie angegeben aus dem Aufsatz Wie groß sollen Altholzinseln sein? Sowohl die Literaturangabe am Rand neben der Abbildung als auch der Verweis der Bildunterschrift mit der Nr. 5 sind falsch.

Die Abbildung stammt in Wirklichkeit aus dem Aufsatz Auswahlkriterien für Altholzinseln und steht dort auf Seite 54. Diese Arbeit wird von Mergner nicht zitiert und fehlt bei den Literaturangaben. Das verstößt nicht nur gegen die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens, sondern ist ärgerlich: Denn der verheimlichte Aufsatz ist viel ausführlicher und auch viel leichter verständlich als der auf das Allernotwendigste komprimierte Zeitschriftenartikel.

3. Fehler: Grenzwert und Zuwachsraten

Die letzten zwei Sätze aus Mergners Beschriftung der Abbildung oben lauten:

“Die Linie markiert den Grenzwert von 75 %. Die Zuwachsrate wird ab dieser Flächengröße immer geringer.” ((Waldtrittsteine, S. 20))

Es ist falsch, dass die Zuwachsrate ab der Flächengröße von 0,6 ha immer geringer wird. Sie wird bereits ab einer Flächengröße von 0,15 ha immer geringer, wie die folgende Abbildung mit den Zuwachsraten aus dem Aufsatz Auswahlkriterien für Altholzinseln zeigt:

Mergner hat ein falsches Verständnis des Grenzwerts von 75 %. Dieser ergibt sich nicht aus den Zuwachsraten. Die Zuwachsraten werden nicht, wie Mergner behauptet, oberhalb des Grenzwerts immer kleiner, während sie womöglich unterhalb des Grenzwerts immer größer werden. Der Grenzwert von 75 % ist ein von Lachat, Müller und Bütler festgesetzter Wert. In gewisser Weise ist diese Setzung willkürlich. Man hätte auch einen Grenzwert von 50 oder 90 % festlegen können. Die Schweizer begründen ihre Entscheidung so:

“Wir erachten einen Wert von 75 % […] als sinnvoll und praktikabel. Somit sollen 3/4 aller ausgeschiedenen Altholzinseln den definierten Schwellenwert erreichen. Durch die angesprochene Verbesserung der Qualität kann davon ausgegangen werden, dass innert nützlicher Frist der Anteil der Altholzinseln, die ihre Funktion erfüllen, weiter ansteigen wird.” ((Auswahlkriterien, S. 49, Hervorhebungen von mir))

4. Fehler: 0,6 ha Buchenwald

Müller, Lachat und Bütler gehen von der Voraussetzung aus, dass potenzielle Altholzinseln in Buchenwäldern folgende Voraussetzungen erfüllen:

“Die folgenden Minimalflächen sollten eingehalten werden: […] Buchenwald 0,9 ha […]. Die auszuscheidende Fläche sollte während mindestens 30 Jahren nicht mehr genutzt worden sein […]. Der Bestand entspricht einem reifen Hochwald (entspricht einem Bestandsalter von mindestens 120 Jahren).” ((a. a. O., S. 66))

Das galt ja auch für die Buchenwälder, in denen die 24 Stichproben ausgewählt wurden. Dann wird das Viertel der Altholzinseln, die den Schwellenwert noch nicht erreicht haben, dies mittelfristig auch schaffen: Denn je älter ein Wald unbewirtschaftet bleibt, desto mehr Totholz, desto mehr Habitatstrukturen und desto mehr Spechtlöcher. Wichtig ist der Zusatz, den Lachat, Müller und Bütler ehrlicherweise machen:

“Bei Flächen, die weniger alt sind, ist anzunehmen, dass diese den Wert von 75 % nicht erreichen, sich im Laufe der Zeit aber verbessern. In welchem Zeitrahmen dies genau abläuft, konnte aber in dieser Untersuchung nicht abschließend geklärt werden.” ((a. a. O., S. 49, Hervorhebungen von mir))

Das heißt im Klartext: Man darf für Altholzinseln nicht jede x-beliebige Fläche auswählen. Man kann nicht einfach 1 ha Wald stilllegen und annehmen, auf dieser Fläche würden in 3/4 der Fälle urwaldähnliche Verhältnisse herrschen. Das wäre ja auch absurd! Aber bei Mergner liegt genau dieses Missverständnis nahe, sofern er ihm nicht sogar selbst unterliegt:

“Schweizer Untersuchungen […] zeigen, dass in Buchenwäldern 75 % der für die Artenvielfalt wichtigen Totholz- und Habitatstrukturen bereits ab einer Größe von 0,6 ha […] erreicht werden.” ((Waldtrittsteine, S. 21))

Dieser Satz ist nicht nur wegen der 75 % Strukturen falsch, wie ich oben gezeigt habe. Selbst wenn es hieße “… dass in Buchenwälder in 75 % der Fälle der Schwellenwert … erreicht wird.”, wäre der Satz in dieser Form falsch. Denn er gilt nur für mindestens 120 Jahre alte Hochwälder, die seit mindestens 30 Jahren unbewirtschaftet sind. Da werden die allermeisten Förster lange suchen müssen, bis sie solche Flächen in ihrem Betrieb finden! Und sie müssen ja nicht nur eine geeignete Fläche finden; Altholzinseln sollen ja ein Netz zwischen Naturwaldreservaten bilden!

Es darf im übrigen mit Fug und Recht bezweifelt werden, dass die Altholzinseln des Forstbetriebs Ebrach den Schwellenwert für Totholz von 99,3 m3/ha erreichen. Selbst in den Naturwaldreservaten liegt das Totholzvolumen im Schnitt nur bei 30,2 m3/ha – und davon ist fast die Hälfte auch noch Nadelholz. ((siehe Naturschutzkonzept für den Forstbetrieb Ebrach, S. 19; nur auf den seit 1978 bestehenden Kernflächen der Naturwaldreservate Brunnstube und Waldhaus sind die Werte viel viel höher)) Bezeichnenderweise nennt Mergner zwar den Schwellenwert für Habitatstrukturen von 12,3 Strukturen / 0,05 ha ((Waldtrittsteine, S. 20)), aber nicht den für Totholz. Möglicherweise wären dann einige Leser doch stutzig geworden.

5. Fehler: Anzahl der Arten

Mergner zieht aus der Studie eine völlig falsche Folgerung:

“Daraus kann gefolgert werden, dass auch die Erfassung zusätzlicher Arten mit der Vergrößerung von Stilllegungsflächen immer geringer wird. Das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags gilt auch hier.” ((Waldtrittsteine, S.  21))

Und genau das kann daraus nicht gefolgert werden. Über die Anzahl der Arten auf ihren Flächen machen Lachat, Müller und Bütler keinerlei Aussagen – nirgendwo, an keiner Stelle ihrer beiden Aufsätze. Warum – das verdeutlicht ein Zahlenbeispiel: Der Schwellenwert für das Totholzvolumen im Buchenwald von 99,3 m3/ha wird schon bei einer Größe von 0,6 ha bei drei von vier Flächen überschritten. Wie viele Totholzkäfer aber auf einer Kreisfläche mit einem Radius von 43,7 m und mit 59,6 m3 Totholz ((= 99,3 m3 • 0,6)) überleben können, das wissen die Autoren schlicht nicht. Sie haben die Käfer nicht gezählt. Lachat, Müller und Bütler spekulieren auch nicht darüber, wie viele Totholzkäfer hinzukommen würden, wenn die 0,6 ha-Fläche vergrößert wird.

Viele Leser der AFZ werden aus dem oben zitierten Satz von Mergner herauslesen, dass 0,9 ha Stilllegungsfläche völlig ausreichen, um einen Großteil der waldtypischen Arten zu erhalten. Dass es nichts bringt, wenn stillgelegte Flächen größer als 0,9 ha sind. Dass sich für die paar Käfer, die mit den 0,9 ha nicht geschützt werden können, der Flächenaufwand nicht lohnt. Viele werden denken: 0,9 ha sind genug. Das haben jetzt Schweizer Wissenschaftler bestätigt. Wir brauchen keine Naturwaldreservate. Und erst recht brauchen wir keinen NLP. Ich will damit nicht sagen, dass Mergner so denkt. Aber seine Aufsätze in der AFZ legen solche Missverständnisse nahe. Und fast bin ich geneigt zu glauben, dass Mergner es bewusst auf solche Missverständnisse anlegt. Denn er unterschlägt die vielen, vielen Warnungen, die Lachat, Müller und Bütler im Diskussionsteil ihrer beiden Arbeiten äußern.

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