Einleitung
Im Zentrum der Kritik des Wissenschaftlichen Beirats stehen die Holzvorräte:
“Dreh- und Angelpunkt der Ergebnisse sind die unrealistisch hohen Vorräte pro Hektar nach den Simulationen für dieses Szenario mit dem Modell FABio (Abb. 5-2, im Jahr 2102: Waldvision: 686 m³/ha im Vergleich zum Basisszenario mit 484 m³/ha und dem Holzszenario mit 368 m³/ha).” (( „Waldvision Deutschland“ – Orientierung oder Irrweg für eine nachhaltige multifunktionale Forstwirtschaft?, S. 5))
Deshalb schreibe ich am 27. März 2018 eine E-Mail an die Naturwald-Akademie:
Sehr geehrter Dr. Welle! Sehr geehrter Herr Sturm!
Ich habe eine wichtige Frage bzgl. des Vorrats des Schattiner Zuschlags bzw. der Folgerungen, die Sie beide daraus ziehen:
Von einem der Professoren des Wissenschaftlichen Beirats des Umweltministeriums – den Namen darf ich leider nicht nennen, und nein, es ist nicht Spellmann – kommt folgender IMO gravierender Einwand:
“Die Sache beim Vorrat ist immer die Skala. Sie können leicht 900-1000 m³/ha finden, z. B. in Lübeck im Schattiner Zuschlag […]. Das sind aber immer Mini-Flächen. Wenn sie eine Naturwaldlandschaft betrachten mit 10.000 ha liegt der Vorrat kaum über 500 m³.”
Was nun? Was für Vorräte sind den jetzt realistisch? In Ihrem Vortrag “Wilde Wälder” im Waldsalon sprachen Sie von Beispielen mit 950, 1.100 und 800 Fm. Was gilt denn jetzt?
Liebe Grüße
Franz-Josef Adrian
Schon eine Woche später erhalte ich eine sehr freundliche und sehr informative Antwort:
Antwort von Knut Sturm und Torsten Welle vom 3. April 2018
Lieber Herr Adrian,
Herr Sturm und ich haben uns über Ostern ihrer Mail gewidmet. Haben sie dazu vielen Dank für ihre weitergeleitete Frage, die evtl. von Herrn Müller kommt, aber auch nur vielleicht 😉
Zuallererst muss man, wenn man über Holzvorräte pro ha spricht, darauf achten über welche Waldgesellschaft/Waldökosysteme man spricht, da diese durch spezifische Merkmale und Kriterien gekennzeichnet sind. Diese Kriterien umfassen die innere Homogenität von vegetationsstrukturellen Merkmale und wuchsbestimmenden ökologische Faktoren sowie wesentlicher Prozessabläufe sowie – ganz wichtig und häufig ausgeblendet – ein systemtypisches natürliches Störungsregime. Dann sollte man darauf achten, in welcher Waldentwicklungsphase sich der Wald befindet (siehe hierzu die Abbildung von Scherzinger) oder besser; Daten für alle möglichen Entwicklungsphasen haben. Dann braucht man noch eine Abschätzung, wie häufig die entsprechenden Entwicklungsphasen sind. Also im Ergebnis viel Raum für Spekulationen.
Bezieht man sich dann beispielsweise auf die wenigen Arbeiten, die für Urwälder in vergleichbaren Klima für Europa vorliegen, z. B. von Hobi 2014, die für einen buchendominierten Primärwald (Waldgesellschaft: Fagetum dentariosum, Fagetum asperulosum) 582 Vfm/ha gemessen hat. Diese Untersuchung ist insoweit von Bedeutung, weil sie eine Stichprobeninventur ist, also einen „landschaftsökologischen Ansatz“ incl. Störungsregime erfasst und bewertet hat. Unsere Buchenwälder werden auf großer Fläche vermutlich alle über 600, wenn Tanne mit dabei sogar über 750 Vfm/ha liegen. Vergleicht man Landschaften, so kommen wir in ein „schwarzes Loch“ des Wissens, weil keine Vorräte für Auewälder oder andere stark veränderte Waldökosysteme in Mitteleuropa vorliegen. Also viel Spekulation und ein breites Feld für Forschung. Die Forstwirtschaft und Waldökologie hat hierzu jedenfalls zurzeit keine verlässlichen Zahlen.
Anbei noch eine gute Hilfe für die Tabelle mit den Vorräten: Totholz im Natur- und Urwald.
Herzliche Grüße
Knut Sturm und Torsten Welle
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Dr. Torsten Welle
Leiter Wissenschaft
Naturwald Akademie gGmbH
Alt Lauerhof 1
23568 Lübeck