Kahlschlag im FFH-Gebiet – Tagebuch 11.11.2023

Samstag, den 11.11.2023

Am Samstagmorgen fahre ich nach Hausberge, parke und gehe zu Fuß zur B482. Die ist tatsächlich wie angekündigt fachmännisch abgesperrt.

Ich gehe Richtung Bahnhof. Eine Frau kommt mir entgegen auf dem Bürgersteig der linken Straßenseite, der auch abgesperrt ist.

Ob sie denn keinen Ärger bekommen habe. Nein, nur direkt am Bahnhof stünden Leute und da müsse man hinter die Absperrung. Ich gehe noch ein Stück und dann höre ich die Kettensäge der Waldarbeiter. Ich mache Fotos und Videos. Die Waldarbeiter sind fast nicht zu erkennen, so weit entfernt arbeiten sie oben im Hang.

Sehr gut zu erkennen dagegen sind die Arbeiter der Stadt Porta Westfalica, die so, wie die Frau gesagt hat, am Bahnhof stehen. Es sind vier – drei Männer und eine Frau, wenn ich mich richtig erinnere. Fotos von ihnen mache ich vorsichtshalber schon einmal nicht. Ich will keinen Ärger. Ich will Informationen. Ich spreche einen von ihnen an. Wer denn hier verantwortlich sei. Da bin ich bei ihm sofort richtig. Er ist der Chef vom Ganzen hier und – wenn ich ihn richtig verstehe  – der Leiter des Bauhofs der Stadt Porta Westfalica – immer vorausgesetzt, dass ich das richtig erinnere. Doch, ich meine, er sagt, er sei der Chef. Wenn ich das richtig erinnere. Ich kann mir keine Namen merken, aber immerhin Gesichter. Ich erkenne ihn wieder auf einem Foto vom Girls’-and-Boys’-Day des Baubetriebshofs. Er ist jung und durchaus sympathisch – “angenehm im Kontakt” würde die beste Ehefrau von allen wohl sagen. Ich werde da Montag mal anrufen müssen, wie er denn nun heißt. Auf jeden Fall ist der Chef auch derjenige, der die Baumgutachten gemacht hat, d. h. so richtig geschrieben habe er sie nicht, sagt er. Aber er hat alle nötigen Fotos auf seinem Handy und überhaupt sei er dafür ausgebildet und die Buchen seien eben alle krank: Weißfäule. Und ja, er sei für diese Fällungen verantwortlich, denn das sei überhaupt kein Landeswald. Ich lag falsch. Nein, das sei Stadtwald, der ganze Westhang. Nur ein 10 m breiter Streifen an der B482, der gehöre Straßen NRW. Gut – das wäre geklärt. Die Verantwortung hat also nicht Wald-und-Holz NRW, sondern die Stadt. Und dort der Baubetriebshof. Grundsätzlich sei die Maßnahme aber auch noch vom Kreis Minden-Lübbecke abgesegnet.

Das sind alles Dinge, die man in weniger als 5 Minuten klären kann. Worüber wir dann aber eine gute halbe Stunde diskutieren, ist, ob Bäume fliegen können. Ich bestreite, dass die Bäume – welche Krankheit sie auch immer haben mögen – eine Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs auf der B482 darstellen. Ich halte es für unmöglich, dass ein Baum vom Hang auf die Straße stürzt bzw. erst stürzt und dann auf die B482 rutscht. Der Chef hält das für möglich. Und selbstverständlich halten das auch alle seine Mitarbeiter für möglich. Seine Mitarbeiterin hat sich – wenn ich mich richtig erinnere – nicht eingemischt.

Man sei jetzt auch mit den Fällungen fertig. Mehr Bäume würden nicht gefällt. Jetzt würden nur noch die Stämme mit dem Kran entnommen und erst einmal auf dem Bauhof gelagert. Sie werden dann wohl verbrannt werden, meine ich. Aber das Thema der CO2-Bilanz vertiefe ich ganz bewusst nicht. Denn darum geht es nicht. Es geht ums Fliegen bzw. Rutschen.

Und dann geht es auch noch um die Polizei. Die wird nämlich vom Chef gerufen, als sich heraussstellt, dass ich das Gespräch zwar nicht mit dem Handy – das ich vergessen hatte – aufgezeichnet habe, dafür aber mit dem Fotoapparat. Das hatte ich am Anfang des Gesprächs auch gesagt, dass ich den jetzt anschalte, damit ich nichts vergesse. Aber irgendwie muss das in der Hektik des Gesprächsanfangs untergegangen sein; der Chef bleibt dabei – dafür habe er keine Einwilligung gegeben. Der freundliche Polizist belehrt mich dann, dass ich die Einwilligung beim nächsten Mal gleich mit aufzeichnen soll. Dann herrschen klare Verhältnisse und die Sache sei legal. Ich lösche selbstverständlich die Aufzeichnung des Gesprächs. Die Fotos und Videos mit den Waldarbeitern wollte der Chef auch gelöscht haben, aber da gibt der Polizist jetzt mir Recht: die Arbeiter seien so weit weg, dass man sie nicht identifizieren könne.

Ich verstehe den ganzen Bohei um den Gesprächsmitschnitt und die Fotos/Videos nicht; Chef und Waldarbeiter brauchen doch gar kein schlechtes Gewissen haben. Sie machen doch einen guten Job und es ist doch alles legal und abgesprochen. Sie sind doch felsenfest davon überzeugt, dass das richtig und wichtig ist, was sie machen. Warum also die ganze Aufregung und Polizei und überhaupt?

Am Ende möchte der Polizist noch meinen Ausweis sehen; den habe ich nicht dabei. Kein Problem, die Adresse reicht. Seine Kollegin checkt das online. Stimmt alles.

Als ich später meiner Frau darüber erzähle, verdreht sie nur die Augen: Du machst dich zum Idioten! Die beste Ehefrau von allen hat natürlich Recht. Die Leute vom Bauhof und die Polizei müssen mich für völlig bekloppt halten. Noch dazu, weil ich irgendwann auch noch erwähnte, dass ich nicht geimpft und AFD-Mitglied sei. Aber wie sagt meine Frau so schön: Dann ist das eben so!

Exkurs Baumgutachter

Der folgende Text ist fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Eine Diskussion mit einem Baumgutachter über die Verkehrssicherheit eines Baumes ist von vornherein sinnlos.1sehe dazu Förster Herber und die Verkehrssicherung Wenn ein Gutachter sagt, ein Baum ist nicht verkehrssicher, dann ist er nicht verkehrssicher. Schluss. Aus. Ende der Diskussion. Der Baum ist krank. Basta! Er ist infiziert entweder mit Cryptococcus fagisuga oder Nectria coccinea oder Xyloterus domesticus oder Hylecoetus dermestoides oder Fomes fomentarius.2siehe Schädlinge und Krankheiten Oder er hat irgendetwas anderes.3z. B. den Pfennig-Kohlenkrusten Pilz (Biscogniauxia nummularia), siehe Sofortige Sperrung des Wanderweges “Pionierweg” Käfer, Bakterien, Pilze. Irgendetwas passt immer. Nekrosen, Fäulnis, Schleimfluss. Schwarze Flecken, handtellergroß. Ekelhaft.

Oder der Baum ist total gesund, steht aber schief. Egal ob krank oder schief oder beides; auf jeden Fall könnte er umfallen. Und wenn er an einem Hang steht und umfällt, dann rutscht er auch. Er steht am Hang, er fällt um und rutscht. Er rutscht und rutscht und rutscht. Könnte doch passieren, oder? Wollen Sie etwa leugnen, dass das möglich wäre? Der Baum könnte den ganzen Hang hinunterrutschen. Bis hinunter auf die Straße. Und dann fährt da ein Auto. Wissen Sie, was dann passiert? Wissen Sie das? Sie sind doch so schlau! Was sind Sie nochmal von Beruf? Lehrer? Ich sage Ihnen jetzt mal was: Im Auto sitzt eine Mutter mit ihren Kindern. Und die rast in den Baum, der umgefallen und gerutscht ist. Weil irgend so ein Schlaumeier wie Sie verhindert hat, dass ich hier meine Arbeit mache!

Die Buchen müssen da weg vom Hang. Alle! Alle krank! Beim nächsten Starkregen, da passiert es dann! Und deswegen müssen wir jetzt fällen! Glauben Sie, mir macht das Spaß? Ich würde auch lieber, aber! Was ist eigentlich Ihr Problem? Sie sind der einzige, der sich beschwert! Stellen Sie sich mal vor, was hier beim nächsten Sturm passiert! Oder bei starkem Schneefall. Der Boden ist dieses Jahr zu nass. Die letzten Jahre war er zu trocken. Überhaupt der Boden! Der ist zu sandig und nicht tief genug. Alles Risikofaktoren!

Und selbst wenn der Baum oben herum gesund aussieht, dann ist möglicherweise irgendetwas an der Wurzel. Wissen Sie das? Können Sie mir versichern, dass die Wurzeln intakt sind? Ich frage Sie, können Sie das? Und was ist, wenn es gar nicht am Baum liegt, sondern am Boden? Der könnte doch ins Rutschen geraten und dann rutscht der Baum mit. Da kann der Baum noch so gesund sein! Ein Erdrutsch! Der ganze Hang könnte herunter donnern auf die Straße! Muren! Haben Sie etwa davon noch nicht gehört? Wie? Das wissen Sie nicht? Könnte doch passieren, oder? Wollen Sie etwa die Verantwortung übernehmen? Und wenn dann etwas passiert! Wollen Sie etwa?

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