Deutschland ist süchtig nach Nadelholz

Einleitung

Waldschützer fordern, weniger Holz einzuschlagen. Auf diese Forderung erwidert Roland Blank, Leiter des Forstbetriebs Nürnberg der Bayerischen Staatsforsten:

“Dann importieren wir Holz aus Skandinavien oder aus den Tropen, damit nicht vor unserer Haustür gefällt wird? Da lügen wir uns doch in die eigene Tasche!“ ((In der Holzfabrik, erschienen in Der Bote vom 15./16. Dezember 2018))

In meinem letzten Aufsatz ((siehe Faktencheck: Holzimporte – Update)) hatte ich mit offiziellen Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums nachgewiesen, dass dieses Argument für Laubholz nicht stimmt: Deutschland ist Netto-Exporteur von Laubholz und könnte leicht weniger Laubholz einschlagen, ohne es dann importieren zu müssen.

Aufmerksame Leser werden jetzt vielleicht zugeben, dass sich Blank irrt, was das Laubholz angeht. Aber sie werden einwenden, dass er mit “Holz aus Skandinavien” auch gar kein Laubholz meint, sondern Nadelholz. Blanks Argument würde dann lauten:

“Wenn wir weniger Nadelholz einschlagen, dann müssen wir es aus Skandinavien importieren.”

Aber auch in dieser Form ist das Argument falsch, und zwar in dreifacher Hinsicht:

  1. Schon jetzt importiert Deutschland große Mengen Nadelholz.
  2. Der Großteil des importierten Nadelholzes kommt nicht aus Skandinavien, sondern aus Polen und Tschechien. Die aus Schweden und Finnland importierten Mengen sind vernachlässigbar gering und aus Norwegen importiert Deutschland gar kein Holz.
  3. Selbst wenn Deutschland Nadelholz aus Skandinavien importieren würde, wäre das überhaupt nicht schlimm.

Ich möchte in diesem Aufsatz das erste und zweite Argument ausführlich mit Zahlen begründen. Das dritte Argument habe ich bereits hier diskutiert: Das Dogma vom Importverbot. Außerdem möchte ich mit Zahlen zeigen, dass die Sägewerke fast ausschließlich Nadelholz verarbeiten und dass Nadelholz viel weniger verbrannt wird als Laubholz. Dann möchte ich mit aktuellen Zahlen aus der Bundeswaldinventur und dem Alternativen Waldzustandsbericht zeigen, dass der Anbau von Nadelholz in Deutschland unnatürlich ist. Dabei ist der Umbau von Nadel- in Laubwälder problemlos möglich, wie ein aktuelles Beispiel beweist. Zum Schluss möchte ich zeigen, dass die nach Nadelholz süchtige Forstwirtschaft sehr geschickt ist im Tricksen und im Vertuschen ihrer Sucht: Selbst Horst Stern sprach in einem Interview des Jahres 1998 davon, dass die Verfichtung des deutschen Waldes aufgehört habe.

Dieser Aufsatz ist folglich gegliedert in folgende Kapitel:

  1. Deutschland importiert Nadelholz.
  2. Polen und Tschechien liefern den Hauptanteil des Nadelholzes.
  3. Die Sägewerke verarbeiten fast ausschließlich Nadelholz.
  4. Nadelholz wird viel weniger verbrannt als Laubholz.
  5. Der Anbau von Nadelholz in Deutschland ist unnatürlich.
  6. Der Umbau der Nadelwälder möglich.
  7. Schluss – Horst Stern zum Waldumbau

1. Deutschland importiert Nadelholz

Seit 2009 importiert Deutschland mehr Nadelrohholz, als es exportiert. Seit 2013 liegt der Importüberschuss jedes Jahr über 5 Mio. m3. 2017 belief er sich auf 5.595.000 m3. ((Holzmarktbericht 2017, Tabelle 5, S. 22, vorläufige Zahlen)) Zu der in Deutschland selbst eingeschlagenen Nadelrohholzmenge von 40.895.000 m3 ((28.878.000 m3 Fichtenrohholz plus 12.017.000 m3 Kiefernrohholz, a. a. O.,  S. 3)) kamen also noch einmal rd. 14 % durch Importe hinzu.

Einfuhr (blau), Ausfuhr (rot) und Netto-Import (grün) von Nadelrohholz in 1.000 m3 ((Zahlen aus den Holzmarktberichten))

Der in der Einleitung zitierte Satz von Forstbetriebsleiter Blank “Dann importieren wir Holz …” stimmt also nicht. Wir importieren nicht erst “dann”, wenn wir weniger Holz ernten würden. Wir importieren schon jetzt. Und das, obwohl wir sehr viel Nadelholz ernten. Zum Vergleich: Die Menge des geernteten Laubholzes lag 2017 bei nur 12.597.000 m3. ((10.649.000 m3 Buche plus 1.948.000 m3 Eiche; Holzmarktbericht 2017, S. 3)) Das sind nur rd. 31 % des Nadelholzeinschlags. Oder anders gesagt: Es wird dreimal mehr Nadelholz als Laubholz eingeschlagen. Und trotzdem wird noch zusätzlich Nadelholz importiert. Deutschland ist süchtig nach Nadelholz.

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2. Polen und Tschechien liefern den Hauptanteil des Nadelholzes

Den Großteil des Nadelrohholzes liefern seit Jahren Polen und Tschechien: 2017 lieferte ersterer 2.367.000 m3, letzterer 2.100.000 m3.

Einfuhr von Nadelrohholz in 1.000 m3 ((Holzmarktbericht 2017, Tabelle 9, S. 26))

Die importierten Mengen sind eindrucksvoll: Polen lieferte deutlich mehr als ForstBW. Der Landesbetrieb schlug 2017 im Landeswald von Baden-Württemberg nur 1.621.500 m3 Nadelholz ein. ((Kiefer, Lärche, Fichte, Tanne, Douglasie und sonstiges Nadelholz, a. a. O., Anhang, S. 28)) Und Polen und Tschechien zusammen exportierten 2017 mehr Nadelholz nach Deutschland, als der größte deutsche Forstbetrieb eingeschlagen hat; die Bayerischen Staatsforsten. Der Landesbetrieb erntete im Landeswald 3.926.200 m3. ((ebd.))

Vor diesem Hintergrund wirkt das Zitat von Roland Blank geradezu surreal; denn schon seit Jahren importiert Deutschland aus Polen und Tschechien mehr Nadelholz, als der Forstbetriebsleiter zusammen mit all seinen Arbeitskollegen einschlägt.

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3. Die Sägewerke verarbeiten fast ausschließlich Nadelholz

In Deutschland gibt es 10.887.990 ha Wald. 4.727.260 ha sind mit Laubbäumen bestockt, 5.900.253 ha mit Nadelbäumen. 43,4 % des deutschen Waldes sind also Laub-, 54,2 % sind Nadelwald. ((siehe Bundeswaldinventur Ergebnisdatenbank – Welches sind die wichtigsten Baumarten? oder Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hg.), Ergebnisse der Bundeswaldinventur 2012, Berlin 2016, S. 35)) Deshalb könnte man vermuten, dass in den Sägewerken Laub- und Nadelholz ungefähr zu gleichen Teilen verarbeitet werden. Diese Vermutung ist falsch:

Rohholzverbrauch der Sägewerke in 1.000 m3 ((Holzmarktbericht 2017, Tabelle 3, S. 20, Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten, Sägewerke ab 5.000 m3 Jahreseinschnitt))

2017 wurden von den Sägewerken 28.948.000 m3 Nadelholz eingeschnitten, aber nur 1.317.000 m3 Laubholz. ((ebd.))

Rohholzverbrauch der Sägewerke in % ((ebd.))

Es gibt keinen Mangel an Laubholz. Die Auswahl ist groß. Trotzdem verarbeiten die Sägewerke fast ausschließlich Nadelholz. Sie verhalten sich wie ein Alkoholiker: Obwohl es keinen Mangel an nicht-alkoholischen Getränken gibt und die Auswahl groß ist, greift der Alkoholiker zielstrebig zum Schnaps.

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4. Nadelholz wird viel weniger verbrannt als Laubholz

Es ist nicht nur so, dass die Sägewerke fast ausschließlich das Stammholz ((siehe Wikipedia – Rundholz)) von Nadelbäumen einschneiden und es zu Schnittholz (Kanthölzer, Balken, Bohlen, Bretter, Latten usw.) für die Bau- und Möbelindustrie verarbeiten. Nadelholz wird auch viel seltener als Industrieholz z. B. zu Span- und Faserplatten oder zu Papier verarbeitet als Laubholz. Und es wird auch viel seltener als Energieholz verbrannt:Verwendung von Fichte (und Tanne und Douglasie) ((Holzmarktbericht 2017, S. 9))Verwendung von Kiefer (und Lärche und Strobe) ((a.a.O., S. 9))

Es überrascht, dass nur rd. ein Drittel des Eichenholzes als Stammholz genutzt wird: Gerade bei Eichenholz denkt man an wertvolle, hochwertige und langlebige Möbel und nicht an billige Spanplatten und noch weniger rechnet man damit, dass ein Drittel des Eichenholzes einfach verbrannt wird.Verwendung von Eiche (und Roteiche) ((a.a.O., S. 8))

Am schlimmsten von allen Bäumen trifft es die Buche und Edellaubbäume wie Ahorn, Vogel-Kirsche oder Elsbeere. Fast jeder zweite Baum wird verbrannt. Nur jeder vierte wird zu Schnittholz verarbeitet.Verwendung von Buche (und Buntlaubholz) ((a.a.O., S. 8))

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5. Der Anbau von Nadelholz in Deutschland ist unnatürlich

5.1 Der unnatürliche Anbau von Fichten

In Deutschland gibt es 2.763.219 ha Fichtenwald. ((siehe Bundeswaldinventur Ergebnisdatenbank – Welches sind die wichtigsten Baumarten? oder Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hg.), Ergebnisse der Bundeswaldinventur 2012, Berlin 2016, S. 35))

Fläche der Baumartengruppen (Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Der Wald in Deutschland. Ausgewählte Ergebnisse der dritten Bundeswaldinventur, 2014)

Gäbe es den Menschen nicht, würden von Natur aus in Deutschland nur in den Hochlagen Fichtenwälder wachsen – z. T. mit Tanne gemischt:

“Von Natur aus wären […] 179.063 ha des Waldes in Deutschland Hochlagen-Fichtenwälder.” ((Torsten Welle, Knut Sturm, Yvonne Bohr, Alternativer Waldzustandsbericht, Lübeck 2018, S. 160, Hervorhebungen von F.-J. A.))

Die Abbildung 141 auf S. 159 im Alternativen Waldzustandsbericht zeigt das natürliche Verbreitungsgebiet ((Der Fachbegriff lautet potentielle natürliche Vegetation, abgekürzt pnV.)) der Hochlagen-Fichtenwälder in Deutschland: sie kämen ausschließlich im Schwarzwald, im Voralpenland, im Bayerischen Wald, im Harz und im Erzgebirge vor.

Informationsschild zum Bergfichtenwald am Lusen im NLP Bayerischer Wald

Die Forstwirtschaft in Deutschland hat das Kunststück vollbracht, die Fläche des Fichtenwaldes um das 15-fache zu steigern.

Das hat Folgen: 2017 wurden insgesamt 28.878.000 m3 Fichtenholz ((und Tanne und Douglasie)) eingeschlagen. ((Holzmarktbericht 2017, S. 9 und Holzeinschlagstatistik 2017, S. 8)) Ein Drittel davon musste vorzeitig aufgrund von Schäden eingeschlagen werden: 9.282.600 m3. Förster sprechen von “Zwangsernten”: ((siehe z. B. Zu viel abgesägt am Schweineberg? Deister- und Weserzeitung vom 15.2.2019)) U. a. 3.239.000 m3 wegen Stürmen, 5.593.000 m3 wegen des Borkenkäfers. ((Holzeinschlagsstatistik, S. 26))

5.1 Der unnatürliche Anbau von Kiefern

Kiefern bedecken fast die gleiche Fläche wie Fichten: 2.429.623 ha. ((siehe Bundeswaldinventur Ergebnisdatenbank – Welches sind die wichtigsten Baumarten? oder Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hg.), Ergebnisse der Bundeswaldinventur 2012, Berlin 2016, S. 35)) Ohne den künstlichen Anbau durch den Menschen würden sie noch eine sehr viel kleinere Fläche einnehmen als die Fichten:

“Von Natur aus wären […] 12.223 ha des Waldes in Deutschland Kiefernwald.” ((Torsten Welle, Knut Sturm, Yvonne Bohr, Alternativer Waldzustandsbericht, Lübeck 2018, S. 168, Hervorhebungen von F.-J. A.))

Bei der Zahl 12.223 wurde nicht etwa eine oder gar zwei Nullen vergessen. Die von Kiefern natürlicherweise bestockte Fläche ist wirklich so winzig; auf der Karte im Alternativen Waldzustandsbericht ((a. a. O., S. 167)) ist sie praktisch nicht sichtbar. Der künstliche Eingriff der Forstwirtschaft macht sprachlos: Die Fläche der Kiefer wurde um das 200-fache vergrößert.

Auch das hat selbstverständlich Folgen: Eingeschlagen wurden 2017 insgesamt 12.017.000 m3 Kiefernholz. ((zusammen mit Lärche und Strobe, Holzmarktbericht 2017, S. 9 und Holzeinschlagstatistik 2017, S. 8)) Ein Siebtel musste wegen Schäden zwangsgeerntet werden: 1.697.900 m3 – u. a. 976.400 m3 wegen Stürmen und 336.200 m3 wegen Insekten. ((Holzeinschlagsstatistik, S. 24))

Fassen wir zusammen:

  • Von Natur aus würden Fichtenwälder in Deutschland eine Fläche von nur 179.063 ha einnehmen. Die Forstwirtschaft hat diese Fläche um das 15-fache auf 2.763.219 ha gesteigert. Jede dritte Fichte muss wegen Schäden vorzeitig gefällt werden.
  • Das natürliche Verbreitungsgebiet der Kiefer wäre noch kleiner: Ohne den künstlichen Eingriff der Forstwirtschaft würden in Deutschland nur 12.223 ha Kiefernwald wachsen. Die Fläche wurde um das 200-fache auf 2.429.623 ha aufgebläht. Jede siebte Kiefer geht frühzeitig zu Grunde.

Die deutsche Forstwirtschaft ist süchtig nach Nadelholz.

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