Stellungnahme von Lutz Fähser

Am Dienstag, den 3. September 2013, war Lutz Fähser, ehemaliger Forstdirektor des Lübecker Stadtwalds, vormittags beim FSC-Audit im Essener Forstamt. Nachmittags hat er mit mir eine Arbeitsexkursion in Essen-Kettwig gemacht. Wir haben uns die Waldbilder an der Graf-Zeppelin-Straße und Im Teelbruch angeschaut.

Danach hat Lutz Fähser eine Stellungnahme am 8. September 2013 zum Essener Stadtwald verfasst, die ich hier ungekürzt wiedergebe:

Dr. Lutz Fähser
Ltd. Forstdirektor i.R.
Forstgehöft 2
23896  Ritzerau
lutz.faehser@gmx.de

Stellungnahme zu der Waldwirtschaft im Stadtwald Essen

Am  3. September 2013 durfte ich zeitweise als Gast an einem Audit des Zertifizierungsbüros GFA im Stadtwald Essen teilnehmen, der wegen anhaltender Kritik aus der Bevölkerung vom Auditor der Zertifizierung FSC anberaumt worden war. Ich bin Mitglied im Arbeitskreis Wald des BUND auf Bundesebene. Meine Eindrücke gebe ich nachfolgend verkürzt wieder.

1.

Der Stadtwald Essen hat nach einer früheren heftig kritisierten Phase eines groben, naturschädlichen Waldbaus mit Kahlschlägen und anschließendem Einschlagsstopp nun in den vergangenen knapp 10 Jahren einen neuen Weg eingeschlagen mit FSC-Zertifizierung und der Festlegung des Konzeptes eines „Erholungsdauerwaldes  mit Plenterwaldstruktur“. Dieses Konzept wurde unter externer Anleitung (Prof. Dubbel, Fachhochschule Göttingen) und Beteiligung der Öffentlichkeit entwickelt.

2.

Das neue Konzept bedeutet intensive, meist kleinflächig (bis 0,3 ha) durchgeführte Auflichtungen in den Altbeständen. Der Baum-/Holzvorrat wurde in kurzer Zeit auf jetzt 263 Vfm/ha abgesenkt, was weniger als die Hälfte des Vorrats von Buchen-Naturwäldern bedeutet. Die z. T. intensiven Holzentnahmen von bis über 100 Vfm/ha erfolgen nach Plan im Durchschnitt alle 5 Jahre auf derselben Waldfläche. Waldbaulich wird damit eine schnelle Verjüngung auf großer Fläche und die Schaffung von Biodiversität angestrebt. Damit soll die Erholungsattraktivität gesteigert werden. Die Struktur der Wälder soll mittelfristig in der Verfassung eines „Plenterwaldes“ gehalten werden, in der alle Durchmesserstufen der Bäume auf allen Flächen vertreten sein sollen.

3.

Trotz intensiven Bemühens seitens der politischen und administrativen Stellen der Stadt Essen sowie des beratenden Prof. Dubbel verstummen die kritischen Stimmen aus der Bevölkerung nicht, in letzter Zeit nehmen sie zu, so dass  am 13.06.2013 ein Sonderaudit unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung der FSC-Kriterien erfolgt. Der Bericht zum Audit vom 14.06.2013 bescheinigt dem Forstbetrieb eine FSC-konforme Wirtschaftsweise in allen Punkten und sieht keinen Anlass zu Korrekturen. Dieses Ergebnis führt bei einigen Fachleuten und  Stakeholdern in Kreisen der Umweltverbände zu Verwunderung, die auch innerhalb des FSC zu Diskussionen führen wird. Die Kritiken halten in Essen an. Diese unbefriedigende Situation, ein Dilemma, sollte durch Analyse der Ursachen und deren Beseitigung  verbessert werden.

4. Analyse der Ursachen von Kritiken

Bei der partizipativen Entwicklung des Konzeptes  eines „Erholungsdauerwaldes“ waren die Teilnehmerinnen zwar beteiligt; es fehlte ihnen als Forstlaien allerdings an detailliertem Sachverstand, um die Auswirkungen der intensiven Holzeinschläge, der Plenterwaldstruktur u. a. zu erkennen.

Einige Umweltverbände, z.B. der BUND, sehen sich vor und bei den FSC-Audits nicht oder unvollständig informiert. Die Forstverwaltung hält formal einige vereinbarte öffentliche Veranstaltungen ab und nimmt Kritiken entgegen. Eine wirkliche „Beteiligung“ oder gar Veränderung durch Vorschläge oder Einwendungen wird nicht wahrgenommen. Interventionen werden als lästige Nörgeleien quittiert.

Forstfachlich führt das gewählte Konzept systemimmanent dauerhaft zu starken, kostenintensiven, den Boden und den restlichen Wald schädigenden  Eingriffen. Diese optisch provozierenden Maßnahmen erschrecken die BürgerInnen und führen zu Kritik. Das Konzept  zementiert  eine äußerst pflegeintensive Waldstruktur, die in natürlichen Wäldern nur auf weniger als 5 Prozent der Flächen vorkommt, und dieses nur als vorübergehende Phase . Es führt damit weit weg von der Struktur und Dynamik  naturnaher Waldökosysteme und vom Prinzip der minimalen Störung. Damit steht es im Widerspruch zu der Erwartung zeitgemäßer nachhaltiger Waldwirtschaft (z. B. der Waldposition des BUND „Lebendige Wälder“ von 2011, der Position des NABU zum“ Wald 2020“sowie der Waldpositionen von Greenpeace und Robin Wood), zur Nationalen Biodiversitätskonvention von 2007, zu einigen Kriterien des Prinzips 6 „Umwelt“ des FSC, zum Bericht des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) von 2012 an die Bundesregierung und auch zu dem Bündnisgrünen Bund-Länder-Waldprogramm von 2013.

5.  Beseitigung der Ursachen der Kritiken

Ernsthafte inhaltliche Würdigung von Eingaben und Kritiken beim Betrieb Stadtwald über die rein formale Abwicklung hin aus.

Einladung seitens der Stadt Essen zu einer Bestandsaufnahme zum Thema „Stadtwald“
Aktualisierung/Änderung des bisherigen Konzeptes. Dazu Beteiligung nicht nur von interessierten BürgerInnen, sondern auch von sachkundigen Personen und Organisationen im Einvernehmen mit den relevanten Stakeholdern in Essen.

Orientierung am „Stand der Technik“  bzw. „Guter fachlicher Praxis“ , besonders auch im Hinblick auf die Konventionen der Umweltkonferenz von Rio 1992, der Nationalen Biodiversitätsstrategie von 2007, der Empfehlungen der Sachverständigenräte in diesem Bereich ( wie z.B. dem SRU) und im Hinblick auf neue Herausforderungen für Wälder durch einen Klimawandel.

Gez.: Lutz Fähser

Die Stellungnahme können Sie auch als PDF-Datei herunterladen: Stellungnahme zu der Waldwirtschaft im Stadtwald Essen