Ist die Traubeneiche für den Ilsenburger Stadtwald geeignet?
Ich gliedere die Beantwortung der Frage in drei Abschnitte:
- Einleitung
- Welche Ansprüche stellt die Traubeneiche an ihren Standort?
- Wie lange dauert es, bis Traubeneichen ausgewachsen und erntereif sind?
1. Einleitung
Zu den Lieblingsbäumen, mit denen in Deutschland z. Z. aufgeforstet wird1siehe Google: Suche nach Traubeneiche +Wiederaufforstung oder +Aufforstung, gehört die Traubeneiche – auch an der Plessenburg:
“Es wurden insgesamt 4.160 Traubeneichen, 200 Bergahorn und 420 Roterlen auf der Hauptfläche sowie 60 Winterlinden, 260 Pfaffenhütchen und je 100 Stück Waldhasel, Hundsrosen, Gem. Schneeball und Eingriffeliger Weißdorn als Waldrandgestaltung gepflanzt.”
2. Welche Ansprüche stellt die Traubeneiche an ihren Standort?
Dass die Wahl der Traubeneiche alles andere als selbstverständlich ist, wird sofort deutlich, wenn man den Lexikonartikel zur Aufforstung aus dem Kosmos Wald und Forst-Lexikon liest:
“Aufforstung, die: Pflanzung von jungen Bäumen auf freien Flächen zur Walderhaltung bzw. Waldvermehrung. Eine „Wieder-Aufforstung“ findet auf einer kahlgeschlagenen Waldfläche (nach Holzernte durch Abtrieb) statt. Wegen des Freiflächenklimas eignen sich […] nur robuste Baumarten, wie Fichte und Kiefer, zu denen sich häufig Pionierbaumarten von selbst hinzugesellen. Andere Baumarten, v. a. frostempfindliche wie Eiche, Buche und Tanne werden oft unter dem Schutz eines Teils des Vorbestandes oder eines Vorwaldes gepflanzt.”2Gerhard Stinglwagner, Ilse Haseder, Reinhold Erlbeck, Das Kosmos Wald- und Forst-Lexikon, 5. Auflage 2016, S. 50
Fichte und Kiefer? Die Eiche ist frostempfindlich? Unter dem Schutz eines Vorwaldes pflanzen? Wie bitte? Wer schreibt denn so etwas? Nun – die Autoren haben einen guten Namen. Gerhard Stinglwagner war Beamter am Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ilse Haseder dito. Sechs Auflagen – und das bei einem Lexikon, das nicht gerade billig ist.
Die Traubeneiche rückt noch mehr ins Zwielicht, wenn man den sehr ausführlichen Lexikonartikel zur Traubeneiche liest. Dort steht zum Standort3S. 214
“Die Traubeneiche ist lichtbedürftig und wächst in der kollinen, seltener montanen Vegetationsstufe auf Heidewiesen und an sonnigen, buschigen Abhängen, häufig vergesellschaftet mit Hainbuche (Eichen-Hainbuchen-Wälder), Flaumeiche, Birke (west- und mitteleuropäische Eichen-Birken-Wälder), Aspe und Buche (Hainsimsen-
Buchenwälder).”4Hervorhebungen von mir
Wie sich lichtbedürftige 30 cm hohe Setzlinge fühlen, wenn sie im Schatten von viel höheren Kräutern wie dem Weidenröschen aufwachsen müssen, steht da nicht. Mit Hainbuche, Flaumeiche und Buche werden die Traubeneichen auf dem bepflanzten Hang an der Plessenburg nie vergesellschaftet werden. Mit der Aspe schon eher: ihre Samen werden durch den Wind verbreitet. Birkensamen werden ganz bestimmt angeflogen kommen; die benachbarte Fläche im NLP ist voll mit Birken.
“In Eichenwäldern bestandsbildend, gedeiht sie auf lockeren, nährstoffreichen bis nährstoffarmen, sauren, mäßig trockenen, meist mittelgründigen Lehm- und Steinböden in wintermilden, sommertrockenen, luftfeuchten Klimalagen. Hohen Grundwasserstand und Staunässe meidet sie.”5Hervorhebungen von mir
Dass die Traubeneiche zum Hoffnungsbaum der Forstwirtschaft geworden ist, liegt daran, dass sie trockene Sommer gut verträgt – zumindest besser als die Fichte. Dummerweise braucht sie auch milde Winter – und die Winter im Harz sind nun alles andere als mild. Und auch, wenn man am Wurmberg nun nicht mehr so gut Ski fahren kann wie früher, mild sind die Winter im Harz deswegen noch lange nicht. Es hatte seine Gründe, warum man die Fichte im Harz angepflanzt hat.
“Was die Bodenqualität und die klimatischen Verhältnisse angeht, ist sie weniger anspruchsvoll als die Stieleiche.Sie verträgt mehr Wärme und Trockenheit, ist sturmfest, jedoch gegen Spätfröste sehr empfindlich.” (S.214)
Wärme und Trockenheit: gut. Sturmfest: gut. Spätfröste: schlecht, ganz schlecht. Denn es gibt Spätfröste im Harz. Wenn Sie mir nicht glauben, dann vielleicht dem Harz-Kurier. Der berichtet am 11. März 2018: Klimawandel trifft Landwirte: Früh- und Spätfrost macht Probleme. Und die Traubeneiche ist gegen Spätfrösten nicht nur empfindlich, sie ist sehr empfindlich.
3. Wie lange dauert es, bis Traubeneichen ausgewachsen und erntereif sind?
Dass die Wahl der Traubeneiche alles andere als selbstverständlich war, wird auch deutlich, wenn man sich den Abschnitt über “Waldbau und Holz” durchliest:
“Im Waldbau hat die Traubeneiche eine große Bedeutung. Die Umtriebszeit beträgt für Schneideholz etwa 140 bis 180 Jahre, für Furnierholz ca. 250 bis 300 Jahre. In Deutschland befinden sich die wertvollsten Furniereichenbestände im Spessart und im Pfälzer Wald”. 6S. 215
Und bei Förster Sturm im Lübecker Stadtwald möchte man ergänzen. Er könnte bestätigen, dass es lange, sehr sehr lange dauert, bis man eine Eiche einmal fällen kann. Mindestens – notabene: mindestens! – 140 Jahre von der Bestandsbegründung bis zur Endnutzung. Bestandsbegründung war 2023. Gefällt werden dann die Eichen an der Plessenburg also nicht vor dem Jahr 2163 – möglicherweise muss man auch bis zum Jahr 2200 warten. Und für Furnierholz muss man bis zum Jahr 2300 warten. Und nein, das ist kein Witz…
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