Massive Schälschäden im Wiegental

Telefonat mit Dr. Franz Straubinger

Dr. Straubinger ist Geschäftsführer der Hatzfeld Wildenburg’schen Verwaltung und zuständig für den Beichlinger Forst. Dieses 600 ha große Waldstück liegt nördlich des Dorfs Beichlingen und ist auch Teil des Naturschutzgroßprojekts. ((siehe die Karte des Naturschutzgroßprojekts, der Beichlinger Forst bildet den südwestlichen Zipfel des Projektgebiets)) 2012 verkaufte Wolf Graf von Werthern diesen Wald an Hermann Graf von Hatzfeld. Es gibt zu dem Verkauf ein schönes Video der Thüringer Allgemeinen auf YouTube. Nach 20 Sekunden ist auch Straubinger zu sehen: Er ist der Mann mit dem Schnauzer und trägt ein Glas Sekt in der Hand. Links von ihm steht Herr Udo Hoffmann, Bürgermeister von Kölleda und Jagdpächter des 1.000 ha großen Privatwalds von Herrn Lindhorst. Straubinger und Hoffmann werden gemeinsam zur Hegegemeinschaft Finne gehören.

Straubinger ist in der Forstszene ein Begriff. Die von ihm betreuten Wälder sind sehr beliebte Exkursionsziele für Förster aus ganz Deutschland, die von ihm lernen wollen. ((siehe z. B. den Exkursionsführer für das Revier Beichlingen)) Straubinger wirtschaftet nach den Prinzipien der Arbeitsgemeinschaft Naturnaher Waldbau (ANW). Er war Schüler von Dr. Georg Sperber, dem ehemaligen Leiter des Forstamts Ebrach. Sperber hätte ihn gerne als seinen Nachfolger gesehen. ((persönliche Mitteilung)) Straubinger ist aber nicht nur in der Forst-, sondern auch in der Jagdszene ein Begriff. Er ist Mitglied im Ökologischen Jagdverband und ein sehr konsequenter und sehr erfolgreicher Jäger.

Er ist auf Geschäftsreise und ruft mich am 17. August 2016 aus dem Auto heraus an. Wie zuvor Conrady und Deilmann ist auch er sehr freundlich und auskunftsfreudig. Man merkt, wie sehr ihm das Thema am Herzen liegt: “Bei uns verjüngt sich alles!”, sagt er stolz. Seit er im Beichlinger Forst jage, blühen dort wieder die Orchideen und auch die Türkenbund-Lilien. Letztere gilt als Indikatorart: Wo sie blüht, sind die Rehwildbestände nicht zu groß. Denn Türkenbund-Lilien werden von Rehen bevorzugt gefressen.

In der Hegegemeinschaft Finne würden er und seine Jäger wie “Aussätzige” behandelt, so Straubinger. “Wir sind nicht Mainstream.” Das will ich ihm gerne glauben: Der Ökologische Jagdverband Thüringen hat ganze 41 Mitglieder, der Landesjagdverband Thüringen dagegen 8.115. Der Landesjagdverband hat das Motto ausgegeben “Wald und Wild” und bekämpft damit das Motto “Wald vor Wild”, dem der Ökologische Jagdverband folgt. ((siehe dazu Christian Ammer, Torsten Vor, Thomas Knoke, Stefan Wagner: Der Wald-Wild-Konflikt, 2010)) So sorgte der Abschuss von Rehen im Jagdrevier Beichlingen bereits ein Jahr nach dem Besitzerwechsel für Schlagzeilen: Zoff im Jagdrevier Beichlingen um übererfüllten Rehwild-Abschussplan. Jetzt gibt es neuen Ärger: Die 200 Mitglieder der Jägerschaft Kyffhäuser, einer Unterorganisation des Landesjagdverbands, wehren sich gegen das Projekt “BioWild”, das mit 2 Mio. € vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) finanziert wird und bei dem der Beichlinger Forst eine der fünf Pilotregionen sein wird. Sachliche Gründe können die Kyffhäuser und ihr Vorsitzender Walter Rüdiger nicht geltend machen; das sagt sogar die Untere Jagdbehörde des Landkreises Sömmerda. ((Jägerschaft wehrt sich gegen das Projekt “BioWild” in der Hohen Schrecke, Thüringer Allgemeine vom 16.3.2016))

Sämtliches Rotwild, das in den Beichlinger Forst kommt, werde abgeschossen, sagt Straubinger. In den letzten drei Jahren seien verstärkt Hirsche im Beichlinger Forst aufgetaucht und es wurden pro Jahr 4 – 5 Hirsche geschossen. Die 30 – 40 Jahre davor hätten sich nie Hirsche in Beichlingen gezeigt. Das spräche dafür, dass der Platz in der benachbarten Hohen Schrecke eng wird, weil die Hirsche sich dort stark vermehrt haben. “Es gibt Einwanderungspotenzial.”

Ich frage ihn, ob die Jagd auf Rothirsche nicht besonders schwierig sei in der Hohen Schrecke und die Hirsche sich vielleicht deswegen vermehren, weil man sie zwar bejagen möchte, es aber trotz aller Bemühungen nicht schafft. Straubinger kennt dieses Argument natürlich, hält es aber nicht für stichhaltig: “Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Wo kein Wille ist, sind viele Ausreden.” Die Drückjagden müssten gut vorbereitet sein und mit allem Ernst durchgeführt werden. Dem Arbeitskreis Jagd wirft er vor, nichts gemacht zu haben. Die Zusammenarbeit zwischen privaten Jägern und der Naturstiftung David sieht er skeptisch: Wildäsungflächen zu schaffen, wie Herr Dee und Herr Conrady das nun vorhaben, ((siehe dazu Blütenpracht am Waldrand, Hohe Schrecke Journal 12, S. 7)) sei kontraproduktiv: “Der Naturschutz wird zum Steigbügelhalter für einen Hegebetrieb. Der Naturschutz wird von der Jagd überprägt.” Straubinger wird grundsätzlich: “Ich habe alle Nationalparke in Deutschland besucht. In allen funktioniert die Jagd nicht. Vielleicht mit Ausnahme des Bayerischen Walds, wo es für die Rothirsche ein Wintergatter gibt.” Ich denke mir, es ist schön, dass das auch mal ein ausgewiesener Jagdexperte wie Straubinger öffentlich ausspricht. ((siehe beispielsweise meinen Artikel Vom Versagen der Jagd im NLP Harz))

Ich spreche ihn auf sein Verhältnis zu Herrn Dee an. Im Grund gäbe es gar kein Verhältnis, sagt Straubinger. Das letzte Treffen liege Jahre zurück. Herr Dee und er hätten völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Jagd.

Kurz nach Beendigung des Telefonats ruft mich Straubinger noch einmal an und macht auf etwas Wichtiges aufmerksam: Die Schälschäden an Bäumen seien schlimm. Keine Frage! Aber was gerne darüber übersehen wird, ist, dass die Hirsche vorher die gesamte Bodenvegetation auffressen. “Da wachsen dann nur noch Calamagrostis und Binsen!” Das deckt sich mit meinen Eindrücken vom kahlgefressenen Waldboden.

Nach oben
Zurück zur Einleitung
Nächste Seite: Telefonat mit Jan Martin Dee