Der Zorn des alten Mannes

Tote Fichten leiten den Wandel ein

Es dauert nur 10 Tage, bis der HK einen Artikel veröffentlicht, in dem Personen zu Worte kommen, die Dr. von Kortzfleisch widersprechen. Am 29.4.2018 erscheint: Tote Fichten leiten den Wandel ein.

Gleich zu Beginn gibt der HK Entwarnung: der Tourismus wird durch die toten Fichten nicht beeinträchtigt:

“Nach dem Bericht über tote Fichtenwälder fragte Dr. Frank Schober (CDU) prompt im Umweltausschuss des Kreistags Goslar, „ob das Auswirkungen auf den Tourismus hat“. Landrat Thomas Brych, Vorstand im Harzer Tourismusverband (HTV), sagte, er könne keinen Gästeschwund erkennen.”

Schober, Mitglied der CDU-Ratsfraktion in Goslar, muss durch von Kortzfleisch wirklich sehr verunsichert gewesen sein.

Die Sitzung des Umweltausschusses des Kreistages Goslar am 19.4.2018

Schober war 2018 Mitglied des Ausschusses für Bauen und Umwelt des Kreistags Goslar und der tagte damals just an dem Tag, als der Zeitungsartikel über die toten Fichten erschien. Schober stellte tatsächlich sofort eine Anfrage im Ausschuss:

“KTA [= Kreistagsabgeordneter] Dr. Schober möchte aufgrund des heutigen Artikels in der GZ [= Goslarsche Zeitung] wissen, ob dem Landkreis Erkenntnisse vorliegen, inwieweit die Situation der Borkenkäfer im Nationalpark Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit, insbesondere den Tourismus, in den Städten Braunlage und Clausthal-Zellerfeld habe.”1Protokoll über die
9. Sitzung des Ausschusses für Bauen und Umwelt
in der XII. Wahlperiode am 19.04.2018, S. 2

Auf diese Frage hat nicht nur Landrat Brych geantwortet, wie der HK zutreffend berichtete. Es antwortete auch Thomas Walter, der Leiter des Fachbereichs 6 Bauen und Umwelt:

“FBL [= Fachbereichsleiter ] Walter erwidert, dass es derzeit keinerlei Erkenntnisse gibt. Zuständig sei die Nationalparkverwaltung.”2ebd.

Walter ist sich also alles andere als sicher: Es gibt “keinerlei Erkenntnisse”. Sonderbar ist, wen er für zuständig hält: die NLP-Verwaltung. Die hält übrigens auch Landrat Brych für zuständig:

“LR [= Landrat] Brych schlägt vor, einen Vertreter des Nationalparks einzuladen, um zu dieser Thematik Auskunft zu geben.”3ebd.

Notabene: Ein Vorstandsmitglied des Harzer Tourismusverbands will vom Nationalpark wissen, ob der Borkenkäfer Auswirkungen auf den Tourismus hat.

Dabei ist der Vorschlag von Brych völlig überflüssig, denn ein NLP-Vertreter ist immer anwesend: Dr. Friedhart Knolle. Der Pressesprecher des NLP ist “sonstiges beratendes Mitglied”. Und natürlich antwortet auch er auf die Frage von Schober:

“Dr. Knolle merkt an, dass Herr Pusch, Leiter der Nationalparkverwaltung, zur Thematik Auskunft geben könnte. Er sehe ebenfalls keinen Einfluss auf die Tourismusentwicklung.”4ebd.

Knolle muss im Ausschuss noch mehr gesagt haben, um das erhitzte Gemüt des Kreistagsabgeordneten Schober zu beruhigen. Der HK berichtet:

“Als der Meineberg in Ilsenburg vor rund zehn Jahren von Borkenkäfern kahl gefressen wurde, wuchs der Ärger zu einem Volkszorn, der sich in Nationalpark-Beschimpfungen entlud. Längst wachsen auf dem Meineberg Bäume nach – Eschen, Birken, Weiden und Lärchen etwa, sagt Nationalparksprecher Dr. Friedhart Knolle.”

Die frohe Botschaft des NLP lautet immer: Der Wald stirbt nicht, ein gesunder Mischwald wächst nach! Das Problem: Die Naturverjüngung funktioniert leider nur an einigen wenigen Stellen. Diese präsentiert man stolz der Presse. An unzähligen anderen Stellen im NLP funktioniert das nicht: die Hirsche beißen die Bäumchen kaputt.

Achtermann im NLP: keine Eschen, keine Birken, keine Weiden, keine Lärchen

Mit der frohen Botschaft des NLP-Sprechers könnte der HK die Sache eigentlich abschließen: Die toten Fichten haben keine negativen Folgen für den Tourismus.

Skepsis bleibt

Aber Oliver Stade vom HK hat sich offenbar umgehört und kennt zwei Personen, die noch nicht überzeugt sind:

“Doch die Skepsis bleibt. Ilsenburgs Bürgermeister Denis Loeffke erinnert daran, dass am Ilsehang kahle Fichten den Weg der Wanderer zum Brocken säumen: ‘Und wir werben mit dem Weg als dem schönsten zum Brocken.’ Einen Einbruch im Tourismus habe es nicht gegeben. Im Gegenteil, seit Jahren steigen die Übernachtungszahlen im Harz. Aber Loeffke sagt: ‘Wir wissen nicht, wie die Langzeitwirkungen sind, wenn die Gäste zwei- oder dreimal hier waren und tote Fichten sehen.’“

Und noch jemand bleibt skeptisch:

“Ähnlich äußert sich HTV-Geschäftsführerin Carola Schmidt: Die Natur spiele in der Werbung für den Harz eine zentrale Rolle. Abgestorbene Stämme ‘bereiten nicht nur uns, sondern zahlreichen Leistungsträgern große Sorge.’ Noch seien die Übernachtungszahlen stabil. ‘Derzeit ist aber nicht absehbar, ob und mit welchen Folgen die Tourismuswirtschaft rechnen muss.’“

Es ist sehr schade, dass Stade vom HK jetzt seinen Artikel nicht beendet. Er hat mehrere Stimmen zu Worte kommen lassen: Einige behaupten dies, einige das. Er könnte es bei dem Fazit belassen: Skepsis bleibt. Das wäre ein schöner Schluss. Er könnte seinen Lesern selbst ein abschließendes Urteil überlassen. Früher hätte man gesagt: Das ist guter Journalismus.5siehe Birk Meinhardt, Wie ich meine Zeitung verlor, Berlin 32020  Aber das reicht Stade nicht. Er will nur einen Standpunkt gelten lassen. Er will unbedingt beweisen: Die toten Fichten schaden dem Tourismus nicht. Sorgen sind überflüssig. Schluss! Aus! Basta!

Das falsche Beispiel des NLP Bayerischer Wald

Um die Sorgen der Harzer Bevölkerung vollends zu zerstreuen, führt Stade eine Bachelorarbeit an:

“Ob sich Touristen bald verschreckt abwenden? Die Frage wurde bereits untersucht. Claudia Seidel stellte 2009 in ihrer Bachelorarbeit im Fach Tourismusmanagement an der Hochschule Harz fest, dass ein kahler Wald in der Öffentlichkeit ‘zum Teil nicht auf Zustimmung’ stoße. Sie sieht in dem Wandel vom für Borkenkäfer anfälligen Fichtenwald hin zu mehr Mischwald eine Chance.

Erfahrungen mit dem Fichtensterben haben die Menschen im Nationalpark Bayerischer Wald auf den sich Seidel bezieht, wenn sie sagt, dass eine neue Mischwaldgeneration das Bild präge. Vor allem Mitte der 1990er fiel der Borkenkäfer in den Bayerischen Wald ein.”

 

Die Arbeit von Seidel ist völlig ungeeignet: nicht nur, weil sie über 10 Jahre alt ist und das massenhafte Sterben der Fichten seit 2018 überhaupt nicht im Blick hatte. Viel schlimmer ist, dass es überhaupt nicht um den NLP Harz geht, wie Stade erst im fünften Satz des Absatzes zugibt. Auf die Idee, dass man den NLP Bayerwald der 90er Jahre nicht mit den NLP Harz 30 Jahre später vergleichen kann, kommt Stade nicht. Und die Situation im NLP Bayerwald war in der Tat völlig anders als im NLP Harz. Ich befürchte, Stade war noch nie im NLP Bayerwald und er war noch nie im NLP-Besucherzentrum Hans-Eisenmann-Haus. Dort informiert eine Ausstellung über die 90er Jahre.6siehe Das Fichtensterben am Lusen

“‘Teils kontroverse Debatten’ hätten sich entzündet, teilt die Pressestelle des Nationalparks mit.”

Die “teils kontroversen Debatten”7Wenn Sie sich für die “Debatten” um den NLP Bayerwald interessieren, empfehle ich das Buch von Herbert Pöhnl, Der halbwilde Wald. führten bei der Erweiterung des NLP 1997 dazu, dass die NLP-Verwaltung gesetzlich verpflichtet wurde, im nördlichen Erweiterungsteil den Borkenkäfer zu bekämpfen.8siehe Ultraviolence Und zwar genauso, wie Dr. von Kortzfleisch es im HK gefordert hatte: mit “bewährter Forsttechnik”.

Wenn man etwas über einen NLP erfahren will, ist es legitim, dessen Pressestelle anzurufen. Fatal wird es, wenn diese die einzige Informationsquelle ist, die man als Journalist nutzt. Ein guter Journalist nutzt mehrere Informationsquellen. Hätte Stade beispielsweise auch Hubert Demmelbauer befragt, hätte er unmöglich von “teils kontroversen Debatten” berichten können. Auch ein Blick in das Archiv des Bayerwald-Boten hätte ihm geholfen.

“Mittlerweile wachse ‘ein arten- und strukturreicher Naturwald’ nach – in einem Tempo, das selbst Experten überrasche.”

Das stimmt nur für den südlichen Teil des NLP. Und auch dort hat es 20 Jahre gedauert.9siehe z. B. Indian Summer im neuen Urwald am Steinfleckberg und Winterwanderung zum Lusen Noch 2011 gibt selbst NLP-Vizechef Jörg Müller in einem Aufsatz zu:

“Wer heute in den Hochlagen des Nationalparks Bayerischer Wald wandert, kann kilometerweit durch abgestorbene Altfichtenwälder laufen. Solche Bilder rufen bei vielen Menschen Unbehagen hervor.”

Am Rachel z. B. können nur Experten einen “arten- und strukturreichen Naturwald” feststellen. Der Laie entdeckt bestenfalls ein paar junge grüne Fichten, die nachwachsen. Von wegen “Mischwald”.10siehe Von Wüsten und Waldsteppen am Rachel

Ohne eine zweite Meinung einzuholen, gibt Stade nur die Meinung der Pressestelle wider:

“Seither seien die ‘Debatten rund um Borkenkäfer in der Region nahezu verschwunden’.”

Das sind sie nicht. Bei jeder Erweiterung der Naturzone im südlichen Teil des NLP flammt die Diskussion wieder auf. Und das seit über 20 Jahren.11siehe z. B. zwei kontroverse Artikel aus dem Jahr 2015 Jetzt mal Tacheles: Naturzone, IUCN-Richtlinien & Nationalparkverordnung und  Auf Tacheles folgt Klartext: Hubert Demmelbauer zur Naturzonen-Ideologie

Stades letzter Satz zum NLP Bayerwald liest sich, als sei er aus einer Werbebroschüre abgeschrieben:

“Im Gegenteil, die Besucher seien ‘fasziniert von den natürlichen Prozessen und der daraus resultierenden Wildnis’.”

Im NLP Harz sind es nachweislich nicht “die” Besucher. Eine Umfrage wird zeigen, dass es 28 % sind.12siehe unten Nur. Anders gesagt: 2 von 3 Besucher interessiert das nicht.

Missbrauch von Peter Wohlleben

Möglich, dass der Chefredakteur oder Stade der Meinung waren, dass das alles noch nicht reicht, um auch den letzten Leser davon zu überzeugen, dass Dr. von Kortzfleisch Unrecht hat. Stade erinnert an dessen Prognose::

„Es wird nicht mehr lange dauern, dann könnten alle Heimatlieder, die den schönen grünen Wald besingen, aus dem Repertoire der Harzer Volksmusik gelöscht werden.“

Kein geringerer als Peter Wohlleben soll den Leser beeindrucken:

“Übrigens, der Nadelwald, der in Liedern besungen wird, hat nicht nur Freunde. Der Ex-Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben, der zu einem bundesweiten Walderklärer avancierte, hält nicht viel von den Fichtenmonokulturen, die dicht an dicht stehen und kein Licht auf den Boden lassen. Ökologische Gründe sprächen gegen solche Wälder, in denen viele Tiere nichts zu fressen fänden. Der Nadelwald sei vor allem aus wirtschaftlicher Sicht beliebt. Die Fichte wachse schnell und gerade und sei für die Holzverarbeitung wichtig.”

Das ist alles richtig: im kleinen Kreis nennt Wohlleben die Fichte sogar “Waldbau für Blöde”.13siehe Hümmel – Windwurffläche Kyrill Was der HK aber aus guten Gründen verschweigt bzw. gar nicht weiß: Wohlleben hat den Waldumbau, bei dem Buchen auf Kahlschläge gepflanzt werden,14siehe Großkahlschlag am Heinrich-Heine-Weg immer abgelehnt. Genau diese Form des Waldumbaus betreibt der NLP Harz.15siehe Peter Wohlleben zum Kahlschlag und Plusminus berichtet über Kahlschläge

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