Wiederaufforstung im Schellenberger Wald

“Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine positive Grundstimmung in der Bürgerschaft gegenüber ihrer Forstabteilung herrscht.”
Tobias Hartung ((Tobias Hartung, Meine Stadt. Mein Wald!, in: AFZ – Der Wald 8 / 2017, S. 16))

Kritische Analyse des Beitrags vom 26. Februar 2016

Ich empfinde den Fernsehbeitrag als grotesk. Er hat Züge einer Realsatire. An vielen Stellen weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll: Da wandert ein Ehepaar freudestrahlend durch eine surreale Landschaft aus Holzpoltern und Reisighaufen und schwärmt begeistert von seiner Liebe zur Natur.

Katastrophisierung eines Sturms

Die Lokalzeit macht aus dem Sturm eine ganz große Katastrophe:

“… zerstörte Häuser … Horrorsturm … Schäden sehr massiv … schwarze Wand … alles flog durch die Gegend … Angst … die Welt geht unter … grausam … grausam …”.

So redete meine Großmutter über die Bombenangriffe auf das Ruhrgebiet im 2. Weltkrieg.

Förster räumt auf

Die Katastrophisierung erfüllt nicht nur die Bedürfnisse des Fernsehpublikums nach Sensationen, sondern liefert auch die Begründung für die Maßnahmen des Forstamts: Nachdem es den Schellenberger Wald “besonders heftig erwischt” hat, muss er natürlich “aufgeräumt” und “leergeräumt” werden. “Geknickte Bäume” gehören “entsorgt”.

Ein deutscher Wald muss sauber und gepflegt sein.

Das Handeln des Försters ist alternativlos. Er ist der Experte; er bestimmt,

  • dass Bäume gepflanzt werden müssen,
  • welche Baumarten gepflanzt werden müssen,
  • wo Bäume gepflanzt werden müssen,
  • wie viele gepflanzt werden und
  • wie groß diese sein müssen.

Der Förster ist es, der den “Startschuss” gibt. Dann warten die Bürger von Heisingen “130 Jahre” auf die “nächste Generation” von “neuen Waldbäumen”.

Spenden für den Forstbetrieb

Der Forstbetrieb in Essen scheint pleite zu sein. Das Geld für die Wiederaufforstung hat er nicht. Die Bürger von Essen-Heisingen müssen spenden. Dass die Spende von 9.000 € lächerlich und peinlich klein ist, fällt der Heisinger Bürgerschaft nicht auf. 2010 wohnten in Essen 121 Einkommensmillionäre. ((Einkommensmillionäre in NRW 2007 und 2010)) Essen ist Sitz von gleich drei DAX-Unternehmen: thyssenkrupp, E.ON und RWE.

 

Künstliche Wiederaufforstung statt natürlicher Waldentwicklung

“Hier beobachten wir die Natur und machen gar nichts.” An keiner Stelle des Beitrags wird diskutiert, warum das, was bei der “Wildnisfläche” ((siehe Pfingststurm Ela an der Korte Klippe)) möglich ist, nicht auch im ganzen Schellenberger Wald möglich sein sollte.

Aber ein Förster kann scheinbar nicht die Hände in den Schoß legen und “gar nichts machen”. Wenn er die Natur nur “beobachtet”, verludert und verlottert sie. Unhinterfragtes Dogma scheint zu sein, dass bei einer “natürlichen Waldentwicklung” keine neuen Bäume nachwachsen würden. Bäume wachsen nicht natürlich. Schluss! Ende der Diskussion! Sie müssen künstlich gepflanzt werden. Und “Wildnisflächen” müssen winzig sein. Wären sie größer, wären Förster arbeitslos.

 

Alle lieben den Wald, niemand kritisiert das Forstamt

Vielleicht werden sich einige Leser über das Ehepaar Klusemann aufregen und die beiden für naiv und dumm halten. Diese Leser hätten in einem Punkt recht: Das Ehepaar irrt. Der Schellenberger Wald ist nicht “die Natur”. Er ist ein von Menschen gemachter, künstlicher Forst. Und ungefähr so natürlich wie eine Schweinemastanlage. Ich halte die Abwertung des Ehepaars als “dumm” oder “naiv” trotzdem für zu billig und zu oberflächlich.

Denn die Klusemanns stehen mit ihrer Meinung über den Schellenberger Wald wahrlich nicht alleine da. Sie sind auch nicht die einzigen, die dort spazieren gehen. Der Schellenberger Wald wird wöchentlich von Tausenden von Essenern aufgesucht: Die dortigen Restaurants Schwarze Lene und Jagdhaus Schellenberg sind sehr beliebt und der Aussichtspunkt Korte Klippe mit seinem Blick weit über den Baldeneysee ist ein bekanntes Ausflugsziel. Niemand von den zigtausend Besuchern des Schellenberger Walds hat sich 2016 über die riesigen geräumten Flächen und den Abtransport des Totholzes in das Biomasseheizwerk Gruga aufgeregt. Niemand von ihnen hat das Forstamt von Grün-und-Gruga kritisiert. ((Die Bürgerinitiative “Waldschutz Essen” war eine unbedeutende Ausnahme von der Regel, die politisch völlig bedeutungs- und wirkungslos war. Zu den wöchentlichen Treffen kamen 2014 nicht einmal ein Dutzend Personen. Seit zwei Jahren finden gar keine Treffen mehr statt; siehe Bevorstehende Veranstaltungen)) Alle lieben wie Frau Klusemann “die Natur” und finden es genau wie sie “sehr schön”. Alle würden auch Herrn Klusemann recht geben: “Der Heisinger Wald war immer schön.”


Lüge wird Wahrheit

Die Erklärung für diese sonderbare Liebe der Essener zur hässlichen Holzfabrik des Schellenberger Forsts liefert George Orwell in seinem Roman 1984:

“Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten -, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.“ ((Dieses Zitat ist eines der Lieblingszitate Albrecht Müllers von den Nachdenkseiten.))

In Essen lauten alle Aufzeichnungen gleich:

kritisieren nie das Forstamt von Grün-und-Gruga. Sie alle finden die Essener Forste “sehr schön”. Hinzu kommt die Kreisgruppe des BUND in Essen. Auch sie hat noch nie das Forstamt von Grün-und-Gruga kritisiert und noch nie eine Protestaktion gegen das Forstamt organisiert. ((siehe z. B. das Waldpositionspapier Essen 2015, in dem so unglaubliche Sätze stehen wie z. B.: “In diesem Punkt möchten wir die spontane Entscheidung von Grün und Gruga, das Totholz in größerem Umfang liegen zu lassen, ausdrücklich unterstützen und Ausnahmen nur in sehr begrenztem Umfang akzeptieren.”; siehe zu dieser Falschinformation meinen Artikel Haben Sie die Bürger belogen, Herr Haering?)) Vorsitzender des BUND Essen ist Klaus Franzke.  Er arbeitet für Grün-und-Gruga und leitet dort die Abteilung für Grünentwicklung. Der Landesvorsitzende des BUND, Holger Sticht, ist über die Verhältnisse in Essen sehr gut informiert. Auch er hat noch nie das Forstamt von Grün-und-Gruga kritisiert.

Ich mache mich darüber nicht lustig, ich verzweifle daran.

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