Wilde Wälder – Vortrag von Knut Sturm und Torsten Welle

Teil 5 des Vortrags – Klimawandel

Hinweise:
1.
Ich habe diesen Teil des Vortrags an einigen Stellen stark redigieren müssen, weil der wortwörtlich gesprochene Text unverständlich war. “Verzweifeln Sie nicht!” (Torsten Welle)
2.
Dr. Welle beschreibt nacheinander die Ergebnisse von fünf wissenschaftlichen Studien. Deshalb habe ich den Vortrag in fünf Kapitel untergliedert:

3.
Mithilfe der Links in den Fußnoten können Sie sich alle fünf Artikel herunterladen.

[Knut Sturm:] So, jetzt gebe ich wieder ab an Torsten!

Studie 1: Odum – The Strategy of Ecosystem Development (1969)

[Torsten Welle:]
Wenn Sie noch nicht eingeschlafen sind, dann werden Sie es jetzt garantiert! Denn jetzt kommen wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel, oder [wissenschaftliche Erkenntnisse dazu,] was die Wälder leisten können für den Klimawandel. Und diese Funktionen haben natürlich auch einen großen Beitrag für die Biodiversität. Wir wollen Ihnen jetzt mal vier aktuelle Studien vorstellen. Die erste ist [keine aktuelle Studie]. Es ist [..] eine veraltete Studie aus dem Jahr 1969. ((siehe Odum, E. P. (1969) The strategy of ecosystem development. Science. Vol. 164, 262-270)) Und die besagt, dass nach bisherigem Kenntnisstand alte Wälder kohlenstoffneutral sind, d. h.: die CO2-Aufnahme und die -Abgabe ist in einem Gleichgewicht:

Alte Wälder speichern demnach keinen Kohlenstoff mehr. [Deshalb] haben sich dann verschiedene [Meinungen] – Knut hat es schon mal angesprochen – in der Forstwissenschaft bzw. -wirtschaft breit gemacht:

  • Junge Wälder haben einen höheren Zuwachs als ältere Wälder. Das stimmt ja auch zum Teil.
  • Aus ertragskundlicher Sicht sind Mischbestände die Summe des Wachstums der Reinbestände sind. Das müsste man auch mal kritisch hinterfragen, nachdem wir die Ergebnisse jetzt gerade aus Lübeck gehört haben.
  • Bestandspflege und Durchforstung fördert die Gesamtwuchsleistung. Nach dem Beispiel der Buche in Schattin müsste man [..] das auch neu hinterfragen.
  • Generell: Bewirtschaftete Wälder sind besser für die Kohlenstoffbindung als Naturwälder. Das sind so gängige [..] Thesen, die wir so hören.

Studie 2: Luyssaert et al. – Old-growth forests as global carbon sinks (2008)

Schaut man sich jetzt allerdings mal aktuelle Forschungsergebnisse an – hier jetzt auch schon aus dem Jahr 2008, also auch schon 10 Jahre alt – da gab es eine Studie in Nature – eine sehr renommierte, anerkannte Wissenschaftszeitschrift – , die gesagt hat, dass Wälder mit altem Baumbestand globale Kohlenstoffspeicher sind. ((siehe Luyssaert et al. (2008): Old-growth forests as global carbon sinks. Nature Vol. 455, 213-215)) Es gibt noch 30 % dieser alten Wälder weltweit. Das sind unbewirtschaftete Primärwälder, wo noch kein Eingriff stattgefunden hat. Und 50 % davon liegen in der borealen und gemäßigten Zone, also auf der Nordhalbkugel. Was wurde gemacht? Es wurden 519 Plots aufgenommen – also eine größer angelegte Studie. Die Datensätze wurden analysiert. Da waren viele Faktoren drin, wie Bestandeseigenschaften, Alter und Biomasse – also ähnlich einer Inventur, wie sie in vielen Forsteinrichtungsplanungen gemacht wird. Und das Alter der Wälder, die man untersucht hat, war zwischen 15 und 800 Jahren [..].

Jetzt kommt hier so eine schöne Abbildung. Verzweifeln Sie nicht! Wir machen es einfach! Diese durchgestrichelte Nulllinie – das ist [..] der Übergang von Kohlenstoffsenke zu Kohlenstoffquelle. [..] Die negativen Werte [..] sagen, dass die Bäume eine Kohlenstoffquelle sind. Und alles, was oberhalb dieser Nulllinie ist, sagt, dass  [..] die Bäume eine Kohlenstoffsenke sind. Auf der x-Achse sehen Sie die Altersstufen eingezeichnet. Und wenn man sich jetzt auf die dicke schwarze Linie fokussiert … Davor muss ich noch sagen: Die grünen Punkte sind die Untersuchungsplots in den gemäßigten Zonen und die organgenen oder braunen Plots, das sind die Untersuchungsgebiete in borealen Wäldern.

Was Sie jetzt sehen – wie gesagt: Fokus auf die schwarze Zickzacklinie zwischen 10 und 315 Jahren ist die im Prinzip -, [ist], dass [..] alle Wälder eine Kohlenstoffsenke […] sind. Und gehen wir jetzt ganz rechts zu der letzten Kurve, die nach oben geht, und führen eine Linie nach unten so bei 200 Jahren etwa, also dort, wo die schwarze Linie ganz rechts unten ist, dann geht sie wieder nur nach oben … [“Verzweifeln Sie nicht!”] Das ist [..] ein Ergebnis aus dieser Studie […]: Wälder mit natürlicher Bestockung über 200 Jahre haben auf jeden Fall einen Kohlenstoffzuwachs, der sich auch quantifizieren lässt, und zwar auf 2,4 t Kohlenstoff pro ha und pro Jahr.

Man hat auch geschaut, inwieweit sich in diesen alten Baumbeständen der Kohlenstoff verteilt, und zwar war nicht alles im Stamm, sondern nur 0,4 t. 0,7 t waren im Totholz und relativ viel in der Wurzel, was sehr interessant ist. Was uns auch dann später zu einer weiteren Frage [führt]: Wie verhält sich […] der Kohlenstoff im Boden? Darunter ist auch noch mal eine neuere [Studie] oder wurden auch schon Untersuchungen gemacht und ich möchte hier nachher auch nochmal in einer Studie, die wir gerade bearbeiten, auf diesen Punkt hinweisen. Aber die Sache ist die, die man sich so merken kann: Alte Bäume sind durchaus eine Kohlenstoffsenke und sind nicht [kohlenstoff]neutral. Denn wenn sie neutral wären, würden sie auf der Nulllinie sein. Und das sind sie nicht.

[…] Diese Wälder stehen [..] nicht unter Schutz: Wenn man sie jetzt abholzt, dann geht nicht nur der Kohlenstoffspeicher, der in diesen Wäldern vorhanden ist, heraus, sondern man hat auch die Zuwächse gar nicht mehr, wie man jetzt in der nächsten Studie ((siehe L. Stephenson et al. (2014). Rate of tree carbon accumulation increases continuously with tree size. Nature. 507)) verfolgen kann.

Studie 3: Stephenson et al. – Rate of tree carbon accumulation increases continuously with tree size (2014)

Da wurde nämlich geschaut, […] wie sich diese Bäume verändern, wie sie wachsen, wie die Zuwachsrate ist an Kohlenstoff, weil sie nämlich kontinuierlich in der Baumgröße zunehmen. D. h. nicht, dass sie irgendwann mal stagnieren, gegen Null gehen oder irgendetwas, sondern dass – ähnlich, was wir auch im Stadt wald Lübeck gesehen haben anhand der Messdaten – […] ein Wachstum zu verzeichnen [ist]. Also, was wurde gemacht? Untersuchung der Zuwachsraten von Einzelbäumen bei zunehmendem Alter und Größe. Das waren so die Rahmenbedingungen. Frage ist natürlich: Steigt die Kohlenstoffspeicherung? Oder bleibt sie gleich? Oder sinkt sie? Das waren die generellen Fragen, die einen natürlich interessieren. Das war jetzt auch wieder eine globale Datenanalyse mit noch mehr Datensätzen. Sie sehen es hier: knapp 675.000 Bäume, 403 Baumarten – also sehr divers. In allen [..] Zonen der Erde wurden die Bäume untersucht und waren diese Probeplots. […] Letzten Endes ein sehr repräsentativer Datensatz. Was war das Ergebnis?

Man hat festgestellt: [..] Mit zunehmendem Alter nimmt die Biomasse zu und damit steigt logischerweise auch die Kohlenstoffspeicherung. Alte Wälder wachsen kontinuierlich  und sind damit [..] kontinuierliche Kohlenstoffsenken. [..] Diese Studie unterstützt [..] auch diese erste Studie, die wir gerade gesehen haben. Die Leute haben es auch versucht zu quantifizieren: Wie groß ist denn eigentlich der Anteil von diesen alten dicken Bäumen? Brauchen wir die wirklich? Dann hat man [..] festgestellt, dass [..] bei einem BHD von 1 m – also ein wirklich sehr sehr dicker Baum – besteht im Mittel ein Trockenmassezuwachs von 103 kg pro Jahr. Und wenn man das [..] ins Verhältnis setzen würde, entspricht das dreimal soviel Zuwachs wie Bäume, die doppelt so dünn wären – also die nur 50 cm wären. Oder es entspricht auch dem Zuwachs – also jährlich ein dicker Baum hätte [..] die gleiche Kohlenstoffspeicherung wie ein Baum pro Jahr, der 10 – 20 cm schon vorhanden ist, also wenn ich den einfach so reinsetzen würde, ja? [“Verzweifeln Sie nicht!”] Und so schnell wachsen die natürlich nicht. Der [..] dicke Baum […] kann viel schneller Kohlenstoff speichern.

Ein interessantes weiteres Ergebnis war noch, dass Plots in den USA wurden wieder diese 100 cm gemessen. Da sind 6 % aller Bäume, die diese Dicke haben, haben zu 33 % des jährlichen Wachstums beigetragen. Also das ist auch eine interessante Proportion: Wenig dicke Bäume nehmen ein Drittel [..] an Kohlenstoff auf. Das sind [..] interessante Zahlen und sprechen […] dafür, wie wertvoll alte dicke Bäume sein können.

Studie 4: Liang et al. (2016) – Positive Biodiversity-Productivity Relationship Predominant in Global Forests (2016)

[Es folgt] eine weitere Studie, die im Science Magazine erschienen ist. ((siehe Liang, J, et al. (2016) Positive Biodiversity–Productivity Relationship Predominant in Global Forests. Science, 354 (6309) )) Nature und Science [sind …] “on the top” […] im Wissenschaftsbereich … [Knut Sturm: Nicht AFZ!] [Torsten Welle:] (lacht) Nicht AFZ! Ein bisschen höher, wo jeder Wissenschaftler gerne mal publizieren würde. Danach setzt er sich zur Ruhe – naja, sagen wir mal: fast. Auf jeden Fall sehen Sie es auch hier in dieser Kurve:

Es gibt eine positive Beziehung zwischen Artenvielfalt und Biomasseproduktion in Wäldern weltweit. Es gibt diese schöne Kurve rechts, wo unten “Tree species richness”, also die Artenvielfalt, steht und auf der y-Achse die Biomasseproduktion m3 pro ha pro Jahr. Das ist auch wieder eine Kurve, die nach oben geht, und auch keine Kulmination erst mal feststellbar ist. Diese Kurve erinnert uns doch auch stark an die lokalen Ergebnisse aus Lübeck.

Hier nochmal zusammengefasst: Es sind 44 Länder, 30 Mio. Bäume, 8.000 Baumarten, 777.000 Beobachtungsflächen. Also das ist auch eine sehr repräsentative Datenanalyse. Und was sagt sie? Sie sagt: […] Wälder mit einer hohen Baumartenvielfalt haben höhere, kontinuierliche Zuwächse und sind damit ertragsreicher als Wälder aus Monokultur. Ist ja auch […] ein sehr interessanter Faktor. Auch gerade, wenn man wirtschaftlich arbeiten möchte, [..] sind Monokulturen [..] nicht zwingend der beste Weg. Und logischerweise [lautet ein weiteres Ergebnis]: Beim Rückgang der Baumartenvielfalt reduziert sich die Biomasseproduktion und somit auch die Kohlenstoffspeicherungskapazität. Da sind wir wieder beim Thema Übernutzung, oder wie manage ich meinen Wald eigentlich richtig.

Studie 5: Musavi et al. – Stand age and species richness dempen interannual variation of ecosystem-level photosynthetic capacity (2017)

Letzte Studie ist das jetzt – glaube ich – hier in dem Bereich: ((siehe Musavi, Talie et al. (2017). Stand age and species richness dampen interannual variation of ecosystem-level photosynthetic capacity. Nature Ecology & Evolution, 1, 1-6.))

Da [..] wollte man auch wieder schauen, inwieweit das Bestandesalter und der Artenreichtum exogene Einflüsse – also von außen auftretende Einflüsse, wie der Klimawandel sie bringt – [..] abpuffern können. [..] Wie verhält sich dann die CO2-Aufnahme von Wäldern, die alt sind oder [einen] hohen Artenreichtum haben? Da hat man gesehen, dass viele Wälder unterschiedlich reagieren auf Kohlenstoffeinfluss: Manche werden eine Quelle, manche sind eine Senke. Das war auch so ein sehr spannendes Thema. Hier wieder eine globale Analyse von 50 weltweit verteilten Waldgebieten. Und was man [..] schlussendlich herausgekriegt hat, [ist]:

Je älter die Waldbestände sind und je größer die Artenvielfalt ist, desto konstanter und stabiler ist die Fähigkeit, CO2 aufzunehmen. Also Umkehrschluss wäre, wenn [..] die gestört sind die Wälder oder jung sind, dann […] neigen sie eher zur Quelle.

Und was bei der Studie auch noch interessant war, ist, dass das Alter der hauptausschlaggebende Faktor war und nicht unbedingt die Artenvielfalt. D. h. also: […] Die Funktion der Wälder als Klimapuffer wird vor allem von den alten Beständen getragen. […] Hier […] ist es wichtig, einen Fokus darauf zu legen. Und es reicht nicht, wenn ich jetzt ein schlechtes Gewissen habe, ich hau die alten Bäume weg und mache dann Ersatz …. Ausgleichsfläche für diese Rodungsfläche und für die alten Bestände … das ist natürlich kein gleichwertiger Ersatz, weil die Menge an Kohlenstoff, die ist ja erst mal weg, und auch die Zuwachsraten. [“Verzweifeln Sie nicht!”] So schnell können die jungen Bäume das verloren gegangene CO2 gar nicht aufarbeiten. Also das ist auch eine Rechnung, die man sich durchaus im Kopf behalten muss.

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