Wilde Wälder – Vortrag von Knut Sturm und Torsten Welle

“Der Waldzustandsindex für den mesophilen Buchenmischwald ist in einem kritischen Bereich.”
Torsten Welle

Teil 2 des Vortrags – Waldzustandsbericht

Der Zustand des deutschen Waldes aus naturschutzfachlicher Sicht

[Torsten Welle:]
Das ist der nächste Punkt: Wie ist der Zustand der deutschen Wälder aus naturschutzfachlicher Sicht? Ziel war es – wie gesagt – den Zustand des deutschen Waldes aus naturschutzfachlicher Sicht zu bewerten. Und dazu haben wir den Wald in 22 Ökosystemtypen unterteilt, weil Wald ist ja nicht gleich Wald. Es gibt unterschiedliche Arten von Ökosystemen, und die kann man nicht unbedingt miteinander vergleichen. Und aus dem Grund haben wir verschiedene Waldtypen gebildet, die auch in Anlehnung sind teilweise an die FFH-Richtlinien oder unterschiedliche Waldlebensraumtypen.
Knut hat es schon angesprochen: Welche Daten haben wir dazu genutzt? Das waren die Daten der dritten Bundeswaldinventur und dann gibt es noch Daten, die nennen sich die Potentielle Natürliche Vegetation. Das ist quasi der Datensatz, der abbilden würde, wie weit Deutschland ohne Einfluss des Menschen … wie sich die Vegetation verteilen würde. Und das haben wir – wie gesagt – anhand von 22 Waldtypen und sechs Kriterien versucht zu unterteilen. ((siehe Naturschutzkriterien und Waldtypen, in: Torsten Welle, Knut Sturm, Yvonne Bohr: Ausgewählte Ergebnisse einer Analyse zur Repräsentativität der Waldgesellschaften in Deutschland, Lübeck 2017, S. 4))

[zu einem schreienden Baby gewandt] Du kennst die Studie noch gar nicht! So schlimm ist das gar nicht! [Lachen]

Um noch mal den Hintergrund so ein bisschen zu beleuchten: Also Wald ist nicht gleich Wald. Hier zwei Bilder: linke Seite ist [ein Beispiel für] bodensaure Eichenwälder. Da wollen wir Ihnen nur mal zeigen, dass die Eiche in unterschiedlichen Lebensraumtypen auch unterschiedlich wächst. Also im acidophilen feuchten Eichenmischwald sehr mangelwüchsig oder ein bisschen krüppelig. Das sind lichte Wälder mit geringen Vorräten. Und rechts im Auenfeuchtwald sehen Sie eine Eiche, die einen Brusthöhendurchmesser – also eine Dicke – bis zu drei Meter haben kann. Das sind vorratsreiche Wälder, sprich: die Eiche wächst in unterschiedlichen Waldtypen anders.

Mesophile Buchenmischwälder

Kommen wir jetzt mal zu einem konkreten Beispiel. Das ist … links sehen Sie die Deutschlandkarte und die braune Fläche ist der mesophile Buchenmischwald, also – wie gesagt – einer dieser Waldtypen, wie er in Deutschland verteilt wäre, wenn … Der linke Balken sind 35 Millionen ha. Das wäre quasi die potentielle natürliche Vegetation; so wäre Deutschland, wenn der Mensch keinen Einfluss hätte. Und dann würde von Natur aus ein Viertel mesophiler Buchenmischwald vorkommen. Jetzt gibt es uns aber. Das ist immer so. Und dann haben wir geguckt: Wie viel Fläche von diesem mesophilen Buchenmischwald ist denn noch da? Das sind dann die Daten der dritten Bundeswaldinventur. Und wir sehen, dass bezogen auf die potentielle natürliche Waldfläche nur noch 3,7 %  vorhanden sind.

Beziehen wir das jetzt mal auf die aktuelle Waldfläche, die 10,3 Mio. ha sind … bei uns jetzt in der Berechnung. Es gibt natürlich auch die Zahl von 11,3 Mio. ha, aber wir haben jetzt nur die Daten aus der BWI genommen, die bestockten Holzboden aufnehmen, also wirklich dort, wo Bäume stehen. Das ist in der anderen Statistik nicht so enthalten. Deswegen regen Sie sich bitte nicht auf anhand der Zahlen! Das ist unsere Bezugsgröße für die aktuelle Waldfläche in Deutschland. Und wenn man das in Bezug setzt zu dem, was noch da ist, sind das 12,6 %.

Was heißt das? Im Umkehrschluss sind 85 % jetzt schon entwaldet. Das ist – wie gesagt – der Zustand, wie er ist. Aber, die Frage ist ja auch: Wie geht man damit um mit der restlichen Fläche? Das ist ein Qualitätsmerkmal. Das kann man messen u. a. mit der Naturnähe. Da gibt es unterschiedliche Naturnähe-Stufen: Grün ist naturnah, d. h. das ist eine aktuelle Baumartenzusammensetzung, die von Natur aus auch dort wachsen würde, also sprich: eine Buche steht auf einem Buchenstandort. Bedingt naturnah ist, dass eventuell auch eine Mischlaubbaumart wachsen kann. Und naturfern ist, wenn z. B. jetzt eine Fichte auf dem Buchenwald[standort] wachsen würde. Also d. h. 45,9 % von diesen 1,3 Mio. sind naturnah, also fast 50 %. [Das] ist gar nicht so schlecht. Umkehrschluss ist, dass über 50 % eigentlich nicht naturnah ist. Das ist dann wiederum ein anderes Kriterium, was auch nicht so toll ist.

O.k., trägt man das mal auf die Altersklassen auf – also das sehen Sie auf der x-Achse unten aufgetragen, auf der y-Achse sind es quasi die Flächenanteile in ha – und dann kann man auch ganz schön sehen, in welchen Altersstufen quasi welche Bestände existieren. Was jetzt hier auch … Wenn man es aus naturschutzfachlicher Sicht sieht bzw. aus Ökosystem-Sicht, sehen Sie, das unsere x-Achse relativ langgezogen ist, weil eine Buche locker 400 Jahre alt werden kann. Aber Sie sehen, dass das überhaupt nicht mehr in Deutschland vorkommt, weil es ein sehr stark kulturgeprägter Wald einfach ist aufgrund der Historie. Aber was man auch sehen kann, ist, dass eben Altersabschnitt 21-40 [Jahre] doch der naturferne Anteil höher ist als der naturnahe. Und das ist dann doch ein bisschen schwierig zu interpretieren, wenn man hört, dass 30 Jahre nachhaltige Forstwirtschaft betrieben ist, dann fragt man sich doch, wo kommt dieser hohe rote Anteil her. Beim [Altersabschnitt] 41-60 [Jahre] ebenso, weil das auch nicht unbedingt die Kriegsaufforstungen waren, die wären … Der Krieg ist 70 Jahre her – der wär eher zwischen 61 und 80. Also das sind so Fragen, die man sich dann durchaus stellen kann bei so einer Verteilung.

Dann haben wir daraus einen Waldzustandsindex generiert – wie gesagt – aus diesen sechs unterschiedlichen Kriterien. Da möchte ich gar nicht im einzelnen drauf eingehen. Das würde auch zu lange dauern. Aber so haben wir versucht, den Wald objektiv sachlich anhand der Kriterien zu bewerten – zwischen 0 und 100. Sind die grünen Flächen … gehen die ganz nach oben, dann ist das ein guter Wert. Also 100 wär optimal. Und da sehen Sie unten die unterschiedlichen Flächen abgegliedert … unterteilt. Und wenn man das jetzt – diese 0 bis 100 – nochmal in eine Klassifikation einteilt – in 20er Schritten – dann kriegt man so eine Fünfer-Klassifikation heraus. Und wenn man dann den Gesamtwert aus den grünen Säulen … einen Mittelwert bilden würde, wäre man für den mesophilen Buchenwald in einem kritischen Bereich.

Acidophile Eichenmischwälder

Jetzt kommen wir zum nächsten Beispiel, was noch so ein bisschen schlimmer ist. Das ist der acidophile feuchte Eichenmischwald. Wieder das gleiche Spiel: Sie sehen die gelben Flächen die Verteilung im norddeutschen Flachland dieses Waldtyps. Sie sehen die potentielle Waldfläche, wie viel ursprünglich da ist. Das wären 1,8 Mio. ha, also 5,2 % der Fläche. Jetzt ist nur noch 1 % der Fläche. Nehme ich den Bezugspunkt die aktuelle Waldfläche, sind das noch 3,3 %.

Umkehrschluss ist, dass hier auch 80 % gar nicht mehr vorhanden ist. Jetzt natürlich wieder die Frage: Wie wird denn die Fläche, die restliche Fläche, die ich noch habe, bewirtschaftet oder behandelt? Dann kommt wieder unsere Naturnähe-Stufe zum Tragen. Und hier sieht man, dass die Naturnähe unter 10 % ist. Und erstaunlicherweise, auch wenn man bei 1-20 schaut, ist ein kleiner Buckel grün noch zu erkennen, aber durchaus wenig. Auf diesen Flächen stehen primär Kiefern. Und wir sehen auch hier: wir haben die x-Achse bis 600 Jahre gezogen, weil die Eiche auch sehr … also locker 600 Jahre alt werden kann. Und das sieht man jetzt hier bei diesem Waldtyp nicht. Das führt uns auch zum Waldzustandsindex, der sehr kritisch für diesen Waldtyp einzuordnen ist.

Das waren jetzt zwei Beispiele für unsere Waldtypen. Wir haben auch Waldtypen, die gut abschneiden. Das ist z. B. der Hochlagen-Fichtenwald. Und das sind Ergebnisse, die wir dann in einer größeren Studie auch vorstellen wollen.

Wenn man das mal auf Gesamtdeutschland den Wald sich angucken möchte, sehen Sie links wieder 100 % Waldfläche. Davon ist ein Drittel in Gesamtdeutschland naturnah. Uns interessieren ja auch die alten Bestände. Hören wir später auch, weil die eine relativ starke Bedeutung haben für den Klimaschutz und auch für die Biodiversität. Wir haben jetzt den Faktor größer 140 [Jahre] genommen. Das ist wirklich noch nicht sehr sehr alt. Das ist ein Alter, was in der Forstwirtschaft auch oft genannt wird. Nur die naturnahen Bestände, hier sind nur noch 4,4 %. Gehen wir auf 200 Jahre, was schon einen hohen naturschutzfachlichen Wert hat, der wichtig ist für Biodiversität, sind es nur 0,2 % der naturnahen Bestände. Nehme ich bedingt naturnah und naturfern noch dazu, sind es unter 0,4 %. Schutzstatus – also geschützt von den naturnahen Beständen sind 0,8 %. Holen wir uns mal die 5% NBS-Strategie [= Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt] in den Hinterkopf. Und wenn man nur schauen möchte, wie viel von den naturnahen alten Beständen geschützt sind, die über 140 Jahre alt sind, ist es auch ein marginaler Prozentsatz, der unter 1 % ist.

So – das war erst mal der Zustand. Aber es geht auch anders für unterschiedliche Waldtypen, wie man die Bewirtschaftung ändern kann. Das sehen wir jetzt noch mal anhand von Lübeck.

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