Über die ökonomische Dummheit von Biologie-Professoren

“Grundsätzlich kann man mit einem Modell schlechterdings alles prognostizieren.”
Student am MIT ((David Colander, The Making of an Economist, Redux, Princeton 2007, S. 241; zit. n. Philip Mirowski, Untote leben länger – Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist, Berlin 2015, S. 226))

Die Irrtumsanfälligkeit ökonomischer Prognosen

Machen wir ein Gedankenexperiment! Stellen Sie sich einmal vor, eine Volksabstimmung stünde an: Die Bürger könnten über ein Gesetz abstimmen, das fortan alle Bauern dazu verpflichtet, ökologisch und nachhaltig zu wirtschaften. Es ginge also um den Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft. Sicherlich würden der Bauernverband und andere Lobby-Organisationen vor diesem Exit warnen und den Untergang der bäuerlichen Landwirtschaft voraussagen. Vielleicht würden sie sogar Hungersnöte und Aufstände prophezeien, weil die Menschen die hohen Preise für Lebensmittel nicht mehr bezahlen könnten. Im Fernsehen würden zur besten Sendezeit Dokumentationen über die Hungersnot nach dem 2. Weltkrieg ausgestrahlt. Und sicherlich würden Professoren der Wirtschaftswissenschaften mit großem Medienecho wissenschaftliche Studien veröffentlichen, die hohe Lebensmittelpreise und eine katastrophale Inflation prognostizieren würden. Das Problem: Derartige Studien sind häufig nachweislich falsch! Dafür möchte ich drei Beispiele anführen:

1. Prognosen vor dem Brexit

In England ging es 2016 nicht um den Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft, sondern um den Ausstieg aus der EU. Vor dem Brexit-Referendum gab es sehr viele Studien hochrangiger Wirtschaftswissenschaftlern, die den Leuten Angst vor dem Brexit machen sollten und eine schlimme Rezession und hohe Arbeitslosigkeit für den Fall eines Brexit voraussagten. Alle Studien erwiesen sich als falsch: ihre Vorhersagen traten nicht ein. Bill Mitchell, Professor für Ökonomie an der University of Newcastle in New South Wales und einer der klügsten Kritiker seiner Kollegen, schreibt dazu:

“Das Anti-Brexit-Lager lässt eine ganze Litanei von fehlerhaften Stellungnahmen zurück, die auf sogenannter ‘Forschung’ basierten, sich aber mit dem Verstreichen der Zeit schnell als lächerlich erwiesen haben.” ((The facts suggest Britain is not as reliant on EU as the Remain camp claim, Übersetzung von F.-J. A.))

Die Behauptungen des Anti-Brexit-Lagers basierten auf “hochgradig fragwürdigen ‘Prognosen’, die von neoliberal inspirierten ‘Modellen’ kamen” ((ebd.)) und mit den Fakten nicht übereinstimmen.

Bill Mitchell a Trinità dei Monti

Eine der berühmtesten und berüchtigsten Studien, die sich als nachweislich falsch herausgestellt hat, war die Studie the immediate economic impact of leaving the EU, die am 23.5.2016, also genau einen Monat vor dem Referendum am 23.6.2016, veröffentlicht wurde. Autor war niemand anders als HM Treasury, d. h. Her Majesty’s Treasury – das britische Finanz- und Wirtschaftsministerium. Man darf sicher sein, dass bei einer Volksabstimmung über einen Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft in Deutschland das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ebenfalls eine sogenannte wissenschaftliche Studie veröffentlichen würde. Und Bundesministerin Julia Klöckner würde für den Fall eines Ausstiegs sicherlich eine ökonomische Apokalypse voraussagen. ((zu weiteren falschen Prognosen zum Brexit siehe: Thomas Fazi und William Mitchell, Why the Left Should Embrace Brexit, Jacobin 29.4.2018))

2. Prognosen vor Einführung des Mindestlohns

In seinem Artikel Ein Star-Ökonom und seine Prognosen erinnert Günther Grunert an die vielen falschen Prognosen des Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Straubhaar. Seine “spektakulären Fehlprognosen” schaden seinem guten Ruf allerdings überhaupt nicht: Er ist einer “der bekanntesten und gefragtesten Ökonomen in Deutschland”. Einer seiner größten Irrtümer betraf die Einführung des Mindestlohns:

“Ein Mindestlohn in Deutschland ist schädlich. Er vernichtet Arbeitsplätze. Die Folge in Deutschland sind Arbeitsplatzabbau und Rationalisierung.” ((FAZ vom 15.6.2007))

Vor einem Referendum über den Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft würden sogenannte “Top-Ökonomen” wie Straubhaar oder Hans-Werner Sinn sicherlich folgendes prognostizieren:

“Öko-Landwirtschaft in Deutschland ist schädlich. Sie vernichtet Arbeitsplätze. Die Folge in Deutschland sind Arbeitsplatzabbau und Rationalisierung.”

Die Sprechblasen sind immer die gleichen.

3. Prognosen vor der Finanzkrise

Vielleicht glauben einige Leser, bei den beiden oben zitierten Beispielen handele sich um bedauerliche Ausnahmen und die Prognosen von “Star-Ökonomen” seien durchaus vertrauenswürdig. Diesen Lesern sei das Buch von Philip Mirowski empfohlen: Untote leben länger – Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist. Mirowski ist höflich und nennt die Bilanz von Vorhersagen von Wirtschaftswissenschaftlern nicht schockierend, peinlich oder katastrophal, sondern nur “traurig”:

“Die Prognosen von Ökonomen sind im Durchschnitt so zuverlässig wie uninformiertes Raten. Prognosen des Beraterstabs der US-Regierung, des Fed-Vorstands und der Haushaltsbehörde des US-Kongresses waren oftmals noch schlechter als willkürliche Schätzungen. […] Konsensfähige Prognosen sind nicht treffsicherer (auch wenn die Presse sie liebt – so viel zur Weisheit der Vielen.” ((Philip Mirowski, Untote leben länger – Warum der Neoliberalismus nach der Krise noch stärker ist, Berlin 2015, S. 227; Mirowski beruft sich auf eine Auswertung von Vorhersagen von William A. Sherden im Buch The Fortune Tellers – : The Big Business of Buying and Selling Predictions))

Studien, die angeblich wissenschaftlich beweisen, dass ein Ausstieg aus der konventionellen und der Einstieg in die nachhaltige Landwirtschaft zu einem wirtschaftlichen Armageddon führen würde, sind so “zuverlässig wie uninformiertes Raten”.

Nach oben
Zurück zur Einleitung
Nächste Seite: “Das ist ein gesamtwirtschaftliches Problem!”