Massive Schälschäden im Wiegental

Telefonat mit Dr. Dierk Conrady

Dr. Conrady ist der “wissenschaftlich-fachliche Projektleiter” des Naturschutzgroßprojektes Hohe Schrecke. Am 16. August 2016 führe ich ein langes Telefonat mit ihm. Herr Conrady ist ein sehr höflicher und freundlicher Mensch, der sehr angenehm im Kontakt ist. Er hört mir zu und hat eine Engelsgeduld. Er beantwortet mir – fast – alle Fragen.

Das Wiegental gehört Herrn Jan Martin Dee. Dee ist ein sehr vermögender Mann und hat im Jahr 2006 der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen 1.115 ha Wald in der Hohen Schrecke abgekauft. 2003 kostete 1 ha Buchenwald in Ostdeutschland nur 3.000 €. Mittlerweile sind die Preise explodiert, sagt Conrady. Für 1 ha zahlt man jetzt das Vierfache, nämlich 12.000 €. Für 1 ha mit 180jährigen Eichen werden sogar 25.000 € fällig. Trotzdem sind die Preise in Ostdeutschland immer noch verhältnismäßig günstig: In Hessen zahlt man für 1 ha 120jährigen Buchenwald 30.000 €. Ich denke mir, dass Herr Dee ein sehr kluger Mann ist.

Am 5. Februar 2014 hat die Naturstiftung David mit Herrn Dee einen “dauerhaften forstlichen Nutzungsverzicht” vertraglich vereinbart. ((Ein Flächenpuzzle fügt sich, Hohe Schrecke Journal  Nr. 11, April 2014, S. 7)) Wie viel Geld die Stiftung dafür hat bezahlen müssen, ist die einzige Frage, die mir Herr Conrady nicht beantworten will. Ich persönlich vermute, dass es ein Millionenbetrag gewesen sein muss. Insgesamt stehen dem Projekt 12,5 Mio. Euro zur Verfügung; 9,4 Mio. kommen vom Bundesumweltministerium – das sind 75 %. ((siehe Dierk Conrady, Naturschutzprojekt Hohe Schrecke, Präsentation Universität Freiburg und BNNL am 28.1.2015, S. 7))

Was sich Herr Dee nicht abkaufen ließ, war das jagdliche Nutzungsrecht. Herr Dee hat seinen Wald nicht an andere Jäger verpachtet, er jagt in seinem Wald selbst. Er betreibt also eine Eigenjagd.

In der Hohen Schrecke mit ihren 74 km2 Wald gibt es schätzungsweise 200 Stück Rotwild, räumt Conrady ein. ((Wildschweine sind es 800 – 1000.)) Die Schätzungen basieren auf sogenannten Schweinwerfer-Taxationen: Man fährt nachts mit Scheinwerfern durch den Wald und zählt die Tiere. ((zum Verfahren siehe Nächtliche Wildtierzählung, Hohe Schrecke Journal  Nr.13, Mai 2015, S. 10 f.)) 2014 wurde das Verfahren zum ersten Mal angewandt. Ganz genaue Zahlen habe man nicht. Früher gab es gar keine Rothirsche in der Hohen Schrecke. Sie sind aus dem nahe gelegenen Ziegelrodaer Forst eingewandert. Der Bestand befinde sich noch im Aufbau; d. h. er wächst weiter. Herr Dee schieße pro Jahr 70 – 70 Stück Rotwild. Von September bis Dezember würden revierübergreifende große Drückjagden durchgeführt; d. h. das Rotwild wird mit Jagdhunden aus seinen Verstecken gescheucht und dann von vielen Jägern gemeinsam abgeschossen. An solchen Drückjagden nehmen z. B. auch Mitglieder der Jagdgenossenschaft Hauteroda und Förster vom Forstamt Sondershausen teil. ((siehe auch: Zwischen Leidenschaft und Notwendigkeit – Eine Drückjagd in der Hohen Schrecke, Hohe Schrecke Journal Nr. 7, Januar/Februar 2012, S. 6 f.)) Es gibt keinen Abschussplan für Rotwild. Das liegt daran, dass die Hohe Schrecke kein staatlich anerkannter Rotwildbezirk in Thüringen ist. Solange Herr Dee sich an das Thüringer Jagdgesetz hält – z. B. an die festgelegten Jagdzeiten – , kann er so viele Hirsche schießen, wie er möchte.

Das Problem sei, dass das Rotwild massiert an ganz bestimmten Punkten auftritt; es konzentriere sich besonders auf die ganz ruhigen Täler in der Hohen Schrecke. Ganz besonders im Winter steht es dort in den Tälern gerne. Und zu diesen ruhigen Tälern zählt das Wiegental. Dr. Conrady gibt zu, in letzter Zeit nicht im Wiegental gewesen zu sein. Außerdem geht er häufig nicht wie ich aus östlicher Richtung von Nausitz, sondern aus westlicher Richtung von Hauteroda aus ins Wiegental. Startpunkt für seine Exkursionen ist das Gästehaus Haus auf dem Berge. Auch Politprominenz gehe übrigens immer diesen Weg; denn er ist deutlich kürzer als der von Nausitz. ((siehe Google Maps)) Dann aber sieht man nur die oberen Hänge des Wiegentals; es ist möglich, dass die Schälschäden oben auf dem Hang geringer seien als tief unten im Tal. Für 2016 hat er keine aktuellen Zahlen zu den Schälschäden. Es gibt für 2016 noch kein Schälschadenmonitoring. Und 2015 wurde es nicht durchgeführt. Das Geld reiche nur für Monitorings alle zwei Jahre. Durchgeführt wird es vom Institut für Tierökologie und Naturbildung (ITN) in Laubach-Gonterskirchen. Verantwortlich sind Dr. Markus Dietz und Olaf Simon.

Zusätzlich gibt es auch noch 45 Weisergatter in der Hohen Schrecke; das sind eingezäunte Bereiche, in die das Wild nicht hinein kann und wo man dann schaut, ob im Gatter mehr wächst als außerhalb. Im Wiegental habe ich leider kein einziges gesehen. Dabei wären sie wichtig, um die Frage zu beantworten, ob es natürlich ist, dass der Waldboden im Wiegental so kahl und wie leergefressen aussieht. Dr. Conrady meinte, das sei im Wiegental der natürliche Zustand. Die Böden wären sehr nährstoffarm.

Dr. Conrady gibt freimütig zu: Die Arbeit im seit 2011 existierenden Arbeitskreis Jagd sei viel schwieriger als die im Arbeitskreis Waldbau. ((siehe auch Auftaktveranstaltung Arbeitskreis Jagd, Hohe Schrecke Journal Nr. 4, S. 4)) Im Hinterkopf geht mir das Sprichwort durch den Kopf: “Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ‘nen Arbeitskreis.”

Dr. Conrady war übrigens auch schon im Buchenurwald Uholka. ((siehe Eine Reise in die Zukunft, Hohe Schrecke Journal 14, November 2015, S. 14 f.)) Dort gibt es überhaupt keine Probleme mit dem Wild. Der Grund, so gibt er zu bedenken, sei aber nicht, dass dort Wölfe und Bären jagen, sondern das Fehlen der industriellen Landwirtschaft. Es gibt dort rings um den Urwald keine quadratkilometergroßen Weizen- oder Maisfelder, auf denen sich das Wild dick und fett fressen kann, so wie rund um die Hohe Schrecke.

Weiterführender Link:
Jagd im Naturschutzgroßprojekt –  Interview mit Dr. Dierk Conrady und Dr. Markus Dietz, Hohe Schrecke Journal Nr. 7, Januar/Februar 2012, S. 8 f.

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