Totholzkäfer im Schäferheld

“Von den Geheimnissen, die der Wald birgt, ist seine Kerbtierwelt eines der tiefsten.” Gottfried Amann

Einleitung

In Nordrhein-Westfalen gibt es 4.761 Käferarten (Frank Köhler, Untersuchungen zur Totholzkäferfauna in Naturwaldzellen Nordrhein-Westfalens 1989-2011, in: Landesbetrieb Wald-und-Holz-NRW [Hg.], 40 Jahre Naturwaldforschung in NRW – Eine Zwischenbilanz, Münster 2013, S. 100). Davon sind 995 Totholzkäfer. Davon wiederum sind 462, also fast 50% gefährdet und stehen auf der Roten Liste.

Die Seite gliedere ich in drei Kapitel:

  1. Warum niemand die Totholzkäfer im Schäferheld kennt
  2. Unter Käferliebhabern bekannte Totholzkäfer im Schäferheld
  3. Bemerkenswerte Totholzkäfer im Schäferheld

 

Warum niemand die Totholzkäfer im Schäferheld kennt

Wenn es stimmt, dass man nur schützen kann, was man kennt, dann erklärt dies, warum es niemanden zu stören scheint, dass 50 % der Totholzkäfer in NRW auf der Roten Liste stehen. Die meisten Menschen dürften nicht einmal wissen, was Totholzkäfer überhaupt sind. Dafür gibt es zahlreiche Gründe:

 

1. Totholzkäfer sind nicht sexy

Rehe haben Stubsnasen und Kulleraugen. Waldvögel sind häufig bunt und singen hübsch. Käfer dagegen sehen irgendwie immer aus wie Küchenschaben und sind für viele schlicht widerlich. Es gibt einen angeborenen Ekel vor Insekten, der evolutionär durchaus Sinn macht: Käfer in der Wohnung sind sicherlich nicht gesundheitsförderlich.

 

2. Totholzkäfer sind unsichtbar

Bei einem Waldspaziergang werden Sie niemals einem Käfer begegnen, der tief in den Mulmhöhlen eines abgestorbenen Baums Jagd auf Milben macht.

 

3. Totholzkäfer sind kein Thema des Biologieunterrichts

Suchen Sie einmal im Stichwortverzeichnis eines modernen Schulbuchs nach “Totholzkäfer”. Wahrscheinlich werden sie nicht einmal “Käfer” finden.

 

4. Totholzkäfer sind nicht telegen

Haben sie schon einmal eine Fernsehdokumentation über Totholzkäfer gesehen? Youtube liefert bei “Totholzkäfer” keinen einzigen Treffer.

 

5. Totholzkäfer spielen selbst in Naturführern nur eine Nebenrolle

Selbst wenn Sie sich mit einschlägigen Naturführern über Totholzkäfer informieren wollen, werden Sie nur spärliche Informationen finden. In dem Buch “Tier- und Pflanzenwelt im Nationalpark Eifel“, herausgegeben vom Förderverein Nationalpark Eifel, widmen sich zwar 8 Seiten Rothirschen, Wildschweinen, Mufflon und Rehen, aber nur 4 Seiten den Totholzkäferarten. Nur 8 Arten werden namentlich erwähnt: die drei Borkenkäfer Ips typographus, Ips sexdentatus und Chalcographus pityogenes (S. 168), der Hirschkäfer Lucanus cervus (S. 171 f.), der Rehschröter Platycerus caraboides (S. 172) der Kopfhornschröter Sinodendron cylindricum (S. 166 oben und 172), der Gemeine Widderbock Clytus arietis (S. 170), der Gefleckte Schmalbock Strangalia maculata (S. 172) und der Orangefarbene Feuerkäfer Schizotus pectinicornis (S. 173).

Pikanterweise wurde der Hirschkäfer, der von allen Arten am ausführlichsten besprochen wird, am Kermeter von Frank Köhler (s. u.) nicht nachgewiesen.

Es gibt keinen Naturführer extra zu Totholzkäfern. Der Kosmos-Käferführer von Karl Wilhelm Harde und František Severa ist trotzdem zu empfehlen. Er widmet ihnen ein eigenes Kapitel – bezeichnenderweise unter dem Titel “Konkurrenten im Forst”. Auch “Käfer des Waldes” von Gottfried Amann ist mit 13 Auflagen ein sehr hilfreiches Bestimmungsbuch. Auch Amann übernimmt häufig die Perspektive des “Forstmanns” und warnt in seinen Käferbeschreibungen regelmäßig vor “schädlichen” Totholzkäfern. Zum Buchenprachtkäfer heißt es beispielsweise: “Mit Brut besetzte Heister spätestens Mai, Anfang Juni aushauen und verbrennen!”. Andererseits schreibt Amann in seinem Vorwort aus dem Jahr 1959 über die Käfer im Wald sehr berührende Sätze, die viele seiner Kollegen heute, über 50 Jahre später gar nicht mehr verstehen:

“Märchenhaft ist ihr Formen- und Farbreichtum, bewunderswert ihre Daseinsbehauptung. Für viele der kleinen Wesen hat der Volksmund keinen Namen, weil sie unbemerkt nur im Stillen und Verborgenen leben und wirken. … Die Mehrzahl des in ungeheurer Fülle den Wald belebenden und verschönerneden Völkleins ist aber harmlos und sollte vom Menschen nicht behelligt, vielmehr mit warmen Herzen als köstliche Naturgabe begriffen begriffen, bewundert und geschützt werden.”

 

6. Totholzkäfer sind Sache sehr spezieller Experten

Es gibt einen Menschen, der die Käfer der Naturwaldzelle Schäferheld sehr genau kennt: Frank Köhler. Er hat sie in den Jahren 1992 und 1993 eingehend untersucht. Publiziert hat er seine Ergebnisse 1996 in Form eines 300 Seiten dicken Buches: “Käferfauna in Naturwaldzellen und Wirtschaftswald – Vergleichsuntersuchungen im Waldreservat Kermeter in der Nordeifel”, erschienen als Band 6 der Schriftenreihe der LÖBF.

Frank Köhler hat auf der Fachtagung “40 Jahre Naturwaldforschung in NRW” am 19. September um 14.45 Uhr einen Vortrag über “Totholzkäferuntersuchungen in Naturwaldzellen Nordrhein-Westfalens – eine Zwischenbilanz” gehalten. Ich vermute, dass während seines halbstündigen Vortrags die meisten seiner Zuhörer ins Wachkoma gefallen sind. Köhler ist ein genialer Experte für Käfer und er betreibt eine phantastische Fotogalerie über Käfer; aber als Autor von Vorträgen und Büchern ist er eine Katastrophe. Sein Vortrag ist gespickt mit Hunderten von Zahlen, bei denen man selbst bei mehrmaligem nachträglichem Lesen den Überblick verliert.

Seine Bücher sind Meisterwerke der Unübersichtlichkeit. Es mag wissenschaftliche Praxis sein, weder die Käferfamilien noch die Käfer alphabetisch zu ordnen. Aber weil es auch kein Register am Buchende gibt, wird die Suche nach jedem Käfer zwangsläufig zur Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Es wimmelt von Korrelation, Signifikanzen, Regressionen, Hochrechnungen und Fehlerwahrscheinlichkeiten, die man nur mit einem abgeschlossenen Mathematikstudium versteht. Der rote Faden geht völlig verloren. Das Wesentliche geht unter in einem Meer von Tabellen und Säulendiagrammen.

Vielleicht ist diese Unübersichtlichkeit auch beabsichtigt. Ich möchte Ihnen einmal zwei typische Köhler-Absätze vorstellen, den er so auf der Fachtagung vorgetragen hat (siehe Frank Köhler, “Untersuchungen zur Totholzkäferfauna in Naturwaldzellen Nordrhein-Westfalens 1989 bis 2011 – eine Zwischenbilanz zu Artenbestand, Veränderungen, Klimaerwärmung”: in Landesbetrieb Wald-und-Holz-NRW [Hg.], 40 Jahre Naturwaldforschung in NRW – Eine Zwischenbilanz, Münster 2013, S. 101):

“Die Waldwirtschaft ist nicht Verursacher für das Verschwinden von Totholzkäferarten. Alle in Nordrhein verschollenen Xylobionten lebten nicht in Wäldern oder hatten hier kurzzeitige Vorpostenvorkommen meist nördlich ihres Verbreitungsareals. Es gibt hier also keine Art, deren Vorkommen durch den Menschen vollkommen (sic!) ausgelöscht wurde.”

Einerseits ist Köhler zuzustimmen: Wir haben in NRW keine Verantwortung für Käfer, die hier nur “kurzeitige Vorpostenvorkommen” außerhalb ihres Hauptverbreitungsareals haben. Andererseits ist das ein Argument, was sowohl amtlicher als auch ehrenamtlicher Naturschutz ansonsten nicht gelten lassen: Viele Ortsvereine von NABU und BUND haben es sich geradezu zur Lebensaufgabe gemacht, Vorposten von Lebewesen zu schützen. Damit meine ich all die Heide-, Borstgras- und Trockenrasenwiesen-Projekte, mit denen Blütenpflanzen unter enormem Aufwand an Geld und ehrenamtlicher Arbeit geschützt werden, die nicht nach Deutschland, sondern z. B. in die kaukasische und sibirische Steppe gehören. Leider blühen Totholzkäfer nicht so schön bunt, ansonsten stünden sie vermutlich auf der Agenda der Naturschützer ganz oben.

“Sehr wohl besteht aber eine Verantwortlichkeit bei den anderen Gefährdungskategorien. Ob vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet, hier handelt es sich fast immer um Waldbewohner, die auf Strukturen an alten anbrüchigen und hohlen Bäumen angewiesen sind, die aufgrund der Waldwirtschaft selten geworden sind oder großräumig fehlen.”

Man könnte es auch anders formulieren: “Liebe hier versammelten Förster! Sie sind schuld daran, dass jeder zweite Totholzkäfer auf der Roten Liste steht.” Aber wenn Köhler das gesagt hätte, hätte man ihn vermutlich vom Podium gezerrt.

 

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