Naturnahe Waldwirtschaft in der Oberförsterei Reiersdorf

Das Marteloskop Hessenhagen

Was ist ein Marteloskop?

Bei vielen Waldschützern sind sie gefürchtet: die Striche, mit denen Förster Bäume zum Fällen markieren. Ich z. B. kann mich noch sehr gut an die Striche von Förster Herber in Bottrop erinnern, mit denen er die alten Buchen im Brinkmannswald markierte. Mitglieder der Bürgerinitiative lieferten sich damals einen Kleinkrieg mit ihm und wischten die Markierungen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion wieder weg. So hofften sie, das Fällen zu sabotieren. Genutzt hat es nichts; einen Tag später waren die Striche wieder da.

Förster sprechen vom Anzeichnen: d. h. sie wählen Bäume aus, die gefällt werden sollen, und markieren diese – häufig mit einem schrägen farbigen Strich. Das Anzeichnen ist eine Kernkompetenz des Försters. Wie sich der Wald zukünftig entwickeln wird, wie groß z. B. sein Holzvorrat sein wird, wie viele Specht- oder Fledermausbäume es geben wird oder wie viele Höhlen die Käfer finden werden, das alles hängt davon vom Anzeichnen ab. Wenn das jeder könnte, bräuchte man den Förster nicht. Das Anzeichnen muss man also lernen. Aber wie? Und hier kommt das Marteloskop ins Spiel: 

“Ein Marteloskop ist […] eine genau definierte Fläche, in welcher nicht nur jeder Baum nummeriert, sondern auch sein Durchmesser, seine Art sowie der ökonomische und manchmal auch der ökologische Wert bekannt sind.”1Fachstelle Waldbau (FWB) – Marteloskope

Auf dieser Fläche machen Personen Anzeichnungen, d. h. sie wählen Bäume aus, die gefällt werden sollen:

“Anzeichnen heißt: Sich bewegen, beobachten, beurteilen, entscheiden …”2ebd.

Das Marteloskop ist also ein “sorgfältig dokumentierte[s] waldbauliche[s] Trainingsgelände”. Das Wort leitet sich ab von le marteau (frz.) = Hammer; marteler = anzeichnen und skopéin (griech.) = schauen, betrachten. Nach dem Anzeichnen analysiert dann eine Software die individuell gefällten Entscheidungen:

“Der Waldbauer erhält exakte Vergleichswerte zu seiner Anzeichnung und deren ökonomische und ökologische Auswirkungen.”3ebd.

In Deutschland gibt es mittlerweile 21 Marteloskope.4siehe Informar – Marteloscope sites 3 davon liegen in Brandenburg und eines in der LObf Reiersdorf. Es trägt den Namen Marteloskop Hessenhagen und liegt im UG Suckow. Dieses wiederum liegt im Naturschutzgebiet Melzower Forst und dem gleichnamigen FFH-Gebiet.

Geschichte des Suckower Forstes

Der Suckower Forst ist ein ehemaliger Besitz der Familie von Arnim, einem großen Adelsgeschlecht mit umfangreichem Besitz in der Uckermark, z. B. dem Schloss Boitzenburg und viel Wald und Landwirtschaft. Nach der Wende wurde der Forst nicht privatisiert, sondern an das Land übertragen worden, das seit 2004/2006 Eigentümer ist. Es ist ein sehr üppiger Standort, mit das Beste, was Brandenburg an Bodenqualität zu bieten hat. Das Nährstoffangebot ist also sehr gut und auch die Feuchtigkeit, denn der Boden hat ein gutes Speichervermögen für Wasser.

Die Buchenflächen sind vergleichsweise alt, 160 Jahre und älter. Das ist selten in Deutschland – vor allem in dieser Flächigkeit, denn es gibt hier ein paar 100 ha dieser Bestände, weshalb sie besonders wertvoll sind. Sie wurden an das Land übertragen und nicht an Naturschutzstiftungen (z. B. von Greenpeace u. a.). Das hat zur Folge, dass die Landesforsten nun belegen müssen, dass auch Landesförster mit diesen Flächen verantwortungsvoll umgehen können. Die Flächen waren schon fast weg und da haben sich der Landesbetrieb lautstark gemeldet: Das kann doch nicht sein! Das Land Brandenburg muss zeigen können, dass es mit solchen Flächen umgehen kann. Und die Ergebnisse der oben beschriebenen F+E-Vorhaben zeigen ja, dass das Land das auch kann.

Das Marteloskop Hessenhagen

Das Landeskompetenzzentrum in Eberswalde (LFE) ist verantwortlicher Ansprechpartner. Dort können die Tabletts ausgeliehen werden. Adressaten sind Gruppen mit Schulungshintergrund. Dazu gehören nicht nur Förster, sondern auch Naturschützer. Eine Idee, die noch Zukunftsmusik ist, ist ein Anmeldungskalender online, wo man sich eintragen und für ein bestimmtes Datum anmelden kann.

Pfähle im Boden markieren die Grenze der 1 ha großen Fläche. Alle Bäume sind nummeriert und jede Baumnummer erscheint auf dem Display des Tabletts, mit einer gewissen Stärke als Ausdruck für die Dimension. Für jeden Baum sind Merkmale hinterlegt und in das Programm eingepflegt. Ein 1. Teil umfasst die Merkmale Art, Durchmesser, Höhe, Qualität usw. Ein 2. Teil umfasst die Mikrohabitate, die von Susanne Winter bestimmt worden sind.

Dann kann man eine Durchforstung simulieren: z. B. Baum Nr. 32 und 34 und und und entnehmen. Der Grund kann auch angegeben werden,  z. B. als Bedränger oder Zielstärke erreicht oder oder oder. Man kann auch Bäume bewerten, z. B. Baum Nr. 30 ist ein Habitatbaum und hat die und die Funktion. Man kann also auch begründen, warum man einen Baum nicht fällt.

Am Ende wird die gewählte Handlungsweise ausgewertet und man kann die Ergebnisse genau sehen, z. B.: ich habe soundsoviel Fm Holz herausgenommen, so viele Mikrohabitate entnommen, oder ich habe in Richtung Zielstärke oder Durchmesserspreitung gearbeitet. Man kann seine Handschrift hinterfragen und trainieren, ob man Bäume mit Mikrohabitaten erkannt und berücksichtigt hat, z. B.: Förster A hat soundso viele Mikrohabitate entnommen und damit ist beim ökologischen Wert das und das passiert. Oder er hat es gerade nicht gemacht und damit das und das bewirkt.

Ziel ist es, Förster zu schulen, dass sie das in ihrem Wald hinterher machen können. Marteloskope dienen also Schulungszwecken. Sie sind Teil eines europaweiten Netzes. Förster, die etwas lernen möchte, können diejenigen Marteloskope auswählen, die zu ihrem eigenen Revier passen. Sie können sich das für sie passende Marteloskop anschauen und üben. Und Studenten können auf verschiedenen Trainingsflächen unterschiedliche waldbauliche Aufgaben trainieren. Der Schulungseffekt geht aber auch in Richtung Naturschutz: Denn auch Naturschützer können etwas lernen: Diesen Baum und diesen da würden gute Förster belassen. Die wissen um die Mikrohabitate. Die haben zwar jetzt 30 Fm Holz herausgenommen, aber es sind immer noch alle Strukturen da. Es ist nicht ausgeräubert worden. Die haben nicht nach dem schlechtesten Baum geguckt und den per se abgehackt. Diesen Effekt kann man mit einem klugen Schulungsmanagement also auch erreichen.

Natürlich gibt es nicht für jedes waldbauliche Problem ein geeignetes Marteloskop. Es geht nicht darum, Musterlösungen von A nach B zu übertragen. Wichtiger ist, erst einmal ein Bewusstsein für solche Fragen zu wecken und auch den Kenntnisstand zu verbessern und einen Lerneffekt anzustoßen. Über die Bedeutung der Mikrohabitate kann man sich dann mit dem Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald5Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg (Hg.), Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald. Naturschutzziele und Bewirtschaftungsempfehlungen für reife Buchenwälder Nordostdeutschlands, 22016 weiter informieren. Nicht alles wird gleich an jeder Stelle wunderbar funktionieren. Aber auch erste, vielleicht noch unbeholfene Schritte sind wichtig. Dazu gehört, anders und viel komplexer über Durchforstungen nachzudenken und sie mit weiterem Blick zu betrachten. Dazu gehört, darüber nachzudenken, was mache ich hier eigentlich und zu welchen Folgen führt das?

Wie viele Mikrohabitate braucht der Wald?

Ich stelle die Frage, wie viele Mikrohabitate braucht ein Wald? Wie viele Mikrohabitate müssen es pro ha sein? Was ist das Vorbild, d. h. die Referenz? Ein Förster hat mir einmal gesagt: Wenn ich als Referenz die Urwälder nehme, dann darf ich gar keinen Baum mehr fällen!

Höhlenbaum

Mehl wehrt sich dagegen, das mit einer Zahl festzumachen. Man wird nicht umhin kommen, ein gewisses Gefühl zu entwickeln. Eine hohe Akzeptanz für die naturnahe Waldwirtschaft wird er nur erreichen können, wenn er belegen kann, dass er nachhaltig diese Mikrohabitate zur Verfügung stellt, obwohl er mal einen Baum mit diesem Mikrohabitat oder jenem auch entnimmt. Er will die Flächen ja nicht stilllegen, sondern sie sanft nutzen. Er will ja auch Verjüngung initiieren und fördern und aus ein- mehrschichtige Wälder machen. Eine Prämisse ist: wenn die Revierleiter wissen, dass es dieses Mikrohabitat im Minimum gibt, dass das z. B. der einzige Kronenbruch oder die einzige Mulmhöhle da und da ist, dann ist das für sie tabu Das würde sonst ein Ausräumen bedeuten. Aber wenn sie wissen, es gibt da viele solcher Blitzrinnen oder Schürfstellen, die sind nicht Minimum, dann können sie dort zwei Bäume von wegnehmen, dann ist trotzdem genug davon da. Und sie wissen, dass aus anderen Bäumen diese Dinge auch zukünftig wieder wachsen. Die Ausstattung ist so gut, dass es nicht schlimm ist, wenn ein Baum mal weggenommen wird. Dieses Vorgehen führt auch zu einer Versachlichung der Diskussion.

Ich frage nach: Was ist denn, wenn einer kommt und sagt: Ihr braucht nicht nur 1 oder 2 von diesem Mikrohabitat, ihr braucht 10! Mehl weist auf die genauen Zahlen für Totholz hin, die die Revierleiter auch anpeilen. Aber bei anderen Dingen gibt es solche Zahlen nicht: es steht nirgendwo geschrieben, es müssen 3 Schürfstellen, es müssen 5 Mulmhöhlen sein. Der viel wichtigere Punkt ist, dass die Revierleiter überhaupt im Bewusstsein haben, dass das wichtige Mikrohabitate sind und dass sie dafür sorgen, dass das immer wieder neu entstehen kann, dass wir immer auch Mikrohabitate belassen, ohne anzufangen zu zählen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Zahlen zu Schematismus führen: Da brauchen wir 10 von, das wäre der 11, den brauchen wir also nicht. Aber vielleicht ist der trotzdem wichtig an der Stelle. Oder: hier sind ja bloß 8 tote Bäume, da müssen wir einen ringeln! Da kommen absurde Sachen bei  heraus. Ein paar grundsätzliche Dinge müssen funktionieren und auch nachweisbar sein, dafür war das 2. F+E-Vorhaben wichtig. Die Ergebnisse zeigen, es sind alle Arten da, die Habitatvielfalt hat zugenommen, die Sonderstrukturen sind mehr geworden. In der Summe läuft das also in die richtige Richtung, ohne dass man immer zählt und misst. Die einzige Referenz sind die Arten!

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