Buchempfehlung: Ulrich Mergner – Das Trittsteinkonzept

“Alles, was Forststudenten in der Vorlesung über Holzfehler lernen, ist ökologisch gut.”
Ulrich Mergner ((S. 31))

Problem 2 – Fragwürdige Forderungen der Waldschützer

Schauen wir uns einmal die folgenden Beispiele aus der alltäglichen Praxis von fünf Waldschützern an. Preisfrage: Was ist an ihren Forderungen eigentlich problematisch?

Waldschützerin Anne

Anne arbeitet in der Bürgerinitiative “Waldschutz jetzt!” mit. Nach zahlreichen Protestaktionen haben sie beim Forstamt durchgesetzt, dass die Baumkronen von gefällten Bäumen nicht mehr zu Hackschnitzeln verarbeitet werden. ((siehe Aus Restholz wird Energie)) Anne freut sich: “Das Kronenrestholz verbleibt im Wald! Das ist gut für Totholzkäfer und Pilze!”

Anne übersieht bei ihrer Forderung, dass die Dicke des Totholzes eine wichtige Rolle spielt. Wenn der Förster nur die dünnen Reste des Stammes und die Äste im Wald liegen lässt und das dicke Stammholz z. B. noch als Industrieholz verkauft, dann nützt das zum Beispiel dem Ästigen Stachelbart gar nichts: Er braucht starkes Totholz. Deshalb gilt bei Mergner: Zopfen beim ersten starken Ast”. So bleiben Reste des starken Stammholzes im Wald. ((S. 54 ff))

Waldschützer Bernd

Bernd arbeitet in der Ortsgruppe des BUND mit. Mit dem Forstamt, das den Stadtwald bewirtschaftet, haben sie vereinbart, dass die Buchen erst ab einem BHD von 70 cm gefällt werden dürfen. Bernd freut sich: Endlich dürfen die Buchen 70 cm dick werden.

Dicke Buchen sind nicht per se schutzwürdig:

“Wer einmal Zwergfledermäuse in einer wenige Zentimeter dünnen, hohlen, zwischenständigen Buche beobachtet hat, weiß, dass ein dünner Baum mit einer Höhle wertvoller ist als ein dicker Baum ohne.” ((S. 26))

Für die Waldarten werden Bäume erst dann wertvoll, wenn sie Mikrohabitate haben. Es kommt also auf die Biotopbäume an. Mergner widmet den Biotopbäumen ein großes Kapitel mit 26 Seiten, darunter eine ganze Seite mit “Tipps für die Praxis”. Und im Anhang findet sich ein 17 Seiten umfassender “Katalog der Baummikrohabitate” mit vielen Abbildungen.

Waldschützerin Kerstin

Kerstin ist Mitglied in der Bürgerinitiative “Pro Grün”. Sie hat sich erfolgreich beim Forstamt dafür eingesetzt, dass die Rückegassen im Wald einen Abstand von 40 m haben. Kerstin ist hochzufrieden mit den breiten Abständen.

Rückegassen scheinen ein besonderes Steckenpferd von Waldschützern zu sein. Auch ich habe häufig über sie geschrieben: siehe z. B. Verwüstungen am Wendgeberg. Es war einer meiner ersten Artikel. Ich konnte die Lokalzeitung mobilisieren, schaltete das Naturschutzamt ein und erstattete sogar Anzeige. Ich fürchte, ich habe in der Vergangenheit so gerne Rückegassen kritisiert, weil die Schlammwüsten so tolle Fotos abgeben und man so leicht Aufmerksamkeit erregen kann. Dabei weiß ich, dass die Rückegassen für den Wald unwiderruflich verloren sind – ob mit oder ohne Schlamm. Da wächst wegen der Bodenverdichtung kein Baum mehr. Natürlich sind Rückegassenabstände von 40 m gut. Aber was wäre, wenn im Wald vorher Rückegassenabstände von 30 m waren? Dann müssten nun pro ha zwei neue Rückegassen angelegt werden, um die Forderungen der Bürgerinitiative zu erfüllen.

Waldschützer Ralf

Ralf ist Vorsitzender in der Ortsgruppe des NABU. In Verhandlungen mit dem Forstamt hat er durchgeboxt, dass 10 Biotopbäume pro ha gekennzeichnet werden. Ralf ist stolz auf die vielen Bäume, die neuerdings mit einem “B” für Biotopbaum markiert sind.

Wenn es wirklich Biotopbäume sind, darf Ralf mit Fug und Recht stolz sein. Aber was ist, wenn der Förster ein Faulpelz ist und einfach irgendwelche Bäume markiert, die überhaupt keine Mikrohabitate haben und auch keine Habitatstrukturen, die zwar “aktuell noch nicht, jedoch in absehbarer Zeit zu Baummikrohabitaten” ((S. 31)) werden, also auch keine Biotopbaumanwärter sind?

Waldschützerin Nina

Nina arbeitet ehrenamtlich in der lokalen Greenpeace-Gruppe mit. Ihre Gruppe hat in zähen Verhandlungen mit dem Forstamt erreicht, dass der Holzvorrat auf mindestens 500 m3 / ha erhöht wird. Nina ist überzeugt, dass ein hoher Holzvorrat gut für die Artenvielfalt ist.

Nina irrt: Ein hoher Holzvorrat bedeutet nicht zwangsläufig eine hohe ökologische Wertigkeit. Mergner erklärt dies in den Kapiteln 4.3.2 – 4.3.4 und veranschaulicht es mit zahlreichen Fotos und Abbildungen. Im ABC-Grad-Niederdurchforstungsversuch in der Waldabteilung Kapelle nahe Fabrikschleichach gibt es eine der ältesten Buchen-Versuchsflächen in Deutschland:

“Der Versuch besteht aus unterschiedlich starken, konsequent umgesetzten Durchforstungseingriffen. Beim A-Grad handelt es sich um eine schwache, beim C-Grad um eine starke, unserer heutigen Hochdurchforstung nahekommende Niederdurchforstung. Der B-Grad liegt dazwischen.” ((S. 36 f.))

Die C-Grad-Versuchsfläche hat einen sensationell hohen Holzvorrat: sage-und-schreibe 865 Vfm. Auch die Dicke und das Alter der Buchen beeindruckt: 62 cm und 188 Jahre. 128 Bäume! Aber es ist die Fläche mit den wenigsten Habitatstrukturen: es gibt einen “extremen Mangel” an Baumpilzen und abgestorbenen Bäumen:

Mergners zieht folgendes Fazit:

“So ökonomisch wertvolle und optisch schöne Waldbestände daraus [= aus der Auslesedurchforstung] hervorgegangen sind, so gering ist deren ökologische Wertigkeit.” ((S. 40))

 
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