Experten gegen Kahlschläge

Wolfgang Schmidt

Das mit Abstand anspruchsvollste Referat der Tagung hielt der Wolfgang Schmidt, bis zu seiner Pensionierung 2009 Professor für Forstliche Ökosystemwissenschaft am Institut für Waldbau der Georg-August-Universität Göttingen. Sein Thema lautete: “Ökologische Folgen des Waldumbaus in Fichtenreinbeständen: Die Buche (Fagus sylvatica L.) als ‘Ökosystemingenieur’?”

Sollte Schmidt das Referat so gehalten haben, wie es im Tagungsband abgedruckt ist, werden sich die Anwesenden entweder still und heimlich zum Kaffeetrinken verdrückt haben oder ins Wachkoma gefallen sein. Es wimmelt von geheimnisvollen Schaubildern, Tabellen, Kurven und Säulendiagrammen und sonderbaren Fachbegriffen wie “keystone species”, “drivers”, “passengers”, “dominants” und “subordinates”.

Die Ergebnisse sind bahnbrechend: “Mit der Einbringung der Buche in Fichtenreinbestände verändern sich die physikalischen und chemischen Umweltbedingungen stark.” ((S. 51)) Wer hätte das gedacht? Zumal der übernächste Referent, Peter Meyer von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt – ebenfalls in Göttingen – , genau das Gegenteil behaupten wird: “Die Mischbestände unterscheiden sich allerdings nicht mehr signifikant von den Fichtenreinbeständen.” Nichts genaues weiß man nicht.

Der beliebteste Ökosystemingenieur im Nationalpark Harz ((Forwarder Rottne Rapid am Kahlschlag C (siehe Karte), noch aus DDR-Zeiten: Baujahr 1988))

Was Wolfgang Schmidt aber ganz genau weiß, ist, dass “die Umwandlung der in weiten Teilen des Nationalparks Harz vorherrschenden naturfernen Fichtenreinbestände in naturnahe Buchenbestände […] möglichst kahlschlagfrei […] erfolgen soll.” Der Teufel steckt im Wort “möglichst”, denn:

“In stammzahlreichen Jungbeständen oder starkholzreichen Altbeständen, bei Fehlbestockungen oder in windwurfgefährdeten Lagen kann jedoch die Abkehr von der reinen Zielstärkennutzung und eine raschere Räumung durch Femel- oder Saumhieb bis hin zu kleinen Kahlschlägen mit der nachfolgenden Einbringung der Buche waldbaulich sinnvoll sein.” ((S. 41, Hervorhebung von mir))

Für diese steile Behauptung führt Schmidt einen einzigen Beleg an: Burghard von Lüpke, Risikominderung durch Mischwälder und naturnaher Waldbau: ein Spannungsfeld. Forstarchiv 75 (2004): 43-50.

Ob Lüpke die Großkahlschläge am Heinrich-Heine-Weg oder Oderteich für “waldbaulich sinnvoll” halten würde, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Das Standardlehrwerk “Waldbau auf ökologischer Grundlage”, zu dessen Herausgebern Lüpke zählt, warnt unmissverständlich:

“Für Mischbestände ist daran zu denken, dass eine Fichten-Naturverjüngung, wie sie sich oft einstellt, der Buche Konkurrenz machen kann, wenn sie reichlich Licht erhält. Die Buche muss daher unter solchen Umständen einen deutlichen Wuchsvorsprung haben, damit sie nicht weitgehend verdrängt wird. … Das [= der Buchenvoranbau, F.-J. A.] muss ohne Verzögerung erfolgen, ehe die Lücken [in aufgelichteten Bestandesteilen] durch Graswuchs oder dichte Fichten-Naturverjüngung dafür kaum noch geeignet sind.” ((Ernst Röhrig, Norbert Bartsch, Burghard von Lüpke (Hg.), Waldbau auf ökologischer Grundlage, Stuttgart, 72006, S. 198 f., Hervorhebung im Original))

Die Nationalparkverwaltung fährt vorsätzlich über jede rote Ampel.

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