Riesenkahlschlag am Lackenberg

Einleitung

1976 schreibt Richard Plochmann, Professor für Forstpolitik und Forstgeschichte an der Universität München, in der Zeitschrift “Nationalpark”:

“Wer aber ungenutzte Natur sucht und dann Motorsägen hört, Holzganter und Abfuhrstraßen findet, wird je nach Engagement und Temperament mit stiller Enttäuschung und lautstarkem Protest reagieren. So oder so, er wird um eine Hoffnung ärmer heimkehren.” ((Richard Plochmann, Nationalpark am Scheideweg, in: Nationalpark 2/76, S. 8))

Nach einem Besuch des Lackenbergs im nördlichen Erweiterungsteil des Nationalparks Bayerischer Wald bin ich tatsächlich eine Hoffnung ärmer. Ich zeige Ihnen viele verstörende Bilder der Kahlschläge am Lackenberg und erkläre Ihnen, wie der Nationalpark zu einer Kahlschlagmaschine verkam.

Die Seite ist gegliedert in folgende Abschnitte:

Wanderweg zum geschundenen Lackenberg

Obwohl der Lackenberg (tschechisch: Plesná) mit 1.337 m noch 22 m höher ist als der Große Falkenstein, gibt es keinen ausgeschilderten Wanderweg hinauf. Auf den gut befestigten Forstweg zum Lackenberg verirren sich nur selten Mountainbiker oder Wanderer. Während am Großen Falkenstein und Falkenstein-Schutzhaus ein Jubel und Trubel wie auf einer Kirmes herrscht, ist man oben am Lackenberg ganz allein. Fast möchte man meinen, die Nationalparkverwaltung möchte die skandalösen Kahlschläge dort verheimlichen.

Eine Möglichkeit, den Lackenberg zu ersteigen, ist es, vom Zwieseler Waldhaus über den Goldsteig zum Ruckowitzschachten zu wandern und dort auf den Salzweg nach Osten abzubiegen.

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Satellitenbilder der verschandelten Lackenhänge

Das bayerische Geoportal zeigt hochauflösende Satellitenbilder vom Westhang des Lackenbergs. Links am Rand des unten eingefügten Screenshots sieht man noch ein Stück des Salzsteigs, der vom Ruckowitzschachten kommt. Am Beginn des Lackenbergsteigs, einem gut befestigten Forstweg, liegt ein großer Holzlagerplatz. Südlich des Lackenbergsteigs erstreckt sich bis zum Rindelsteig ein über 40 ha großer Windwurf, der zu den 5 Windwurfflächen zählt, die 2007 nicht aufgearbeitet wurden. ((“F1: Lackenberg”, siehe: Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald (Hg.), Waldentwicklung im Nationalpark Bayerischer Wald in den Jahren 2006 bis 2011 – Von Marco Heurich, Franz Baierl und Thorsten Zeppenfeld, Grafenau 2012, Abb. 5, S. 15))  Im Jahr 2009 bracht der Borkenkäfer aus diesem liegengelassenen Windwurf aus:

“Durch die Aufarbeitung dieses Käferbefalls sind im Umfeld der liegengelassenen Windwürfe auf einer Tiefe von etwa 100 – 300 Metern größere Kahlflächen entstanden.”  (( Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald, Jahresbericht 2009, Grafenau 2010, S. 8))

Betroffen sind die Lackenhänge nördlich des Lackenbergsteigs: Sie liegen in dem 500 m breiten Sicherheitskorridor um den Windwurf, in dem der Borkenkäfer mit bis zu 7 Harvestern gleichzeitig bekämpft wurde. ((ebd., S. 9; zur Borkenkäferbekämpfung siehe Rechtliche Grundlagen für den Kahlhieb des Hirschgesprengs; zum Sicherheitskorridors siehe: Die Entscheidung von Umweltminister Schnappauf vom 10. Mai 2007)) Auch 2010 und 2011 fraßen sich dort die Harvester durch den Hochlagenwald. Direkt nebenan in Tschechien wurden dagegen weder die Windwürfe noch vom Borkenkäfer befallene Bäume aufgearbeitet. ((Jahresbericht 2011, S. 4)) Dies macht den deutschen Krieg gegen den Borkenkäfer vollends schwachsinnig, denn die Käfermassen kommen einfach über die Grenze geflogen. Erst 2012 kam die Massenvermehrung langsam zum Erliegen. ((Jahresbericht 2012, S. 4)) Nichtsdestotrotz wurden auch bei meinem Besuch im September 2014 immer noch dutzendweise mächtige Altfichten gefällt.

Satellitenbild vom Lackenberg

Bei größerer Auflösung wird noch deutlicher, wie die Fichtenwälder im Schutzkorridor um die Windwürfe herum geschändet wurden. Auf dem Kiesbruch und auf den Lackenhängen ragen zwischen den Rückegassen nur noch die Stummel der Stämme in die Luft:

Schutzkorridor Kiesbruch am Lackenberg

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Der Holzlagerplatz am Beginn des Lackenbergsteigs

Am Beginn des Lackenbergsteigs liegt zwischen mehreren Kahlschlägen ein Holzlagerplatz.

Satellitenbild Holzlagerplatz

Der Forstweg wird hier zur Schlammwüste.

Dort stehen an einem Samstag Ende September 2014 im Schlamm zwei der tonnenschweren Monster, die den Fichtenwald schänden:

  • ein Forwarder der Marke Bruun 7620 F und
  • ein Skidder LKT- 82 mit einem Kran 81 R von Loglift.

Mit dem Krieg gegen den Borkenkäfer verdient der Forstbetrieb Alois Probst aus Geiersthal sein Geld. Am Wegesrand liegen Haufen von Kronenabfall. Dazu erklärt uns die Nationalparkverwaltung:

“Die ausgerückten Gipfel wurden dann von zwei Großhäckslern zu Hackschnitzeln zerkleinert und an verschiedene Heizkraftwerke transportiert.”  ((Jahresbericht 2009, S. 9))

Bayern verbrennt seinen Nationalpark.

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Der Kahlschlag nördlich des Holzlagerplatzes

Nördlich des Holzlagerplatzes befindet sich ein gut 15 ha großer Kahlschlag. Wie auf dem Satellitenfoto des bayerischen Geoportals zu sehen ist, liegt er zwischen den Bärenschachtenhängen im Norden und dem Salzweg im Süden:

Baerenschachtenhaenge Kahlschlag

Die folgenden Fotos dokumentieren den Waldfrevel:

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Frischer Kahlschlag am Beginn des Lackenbergsteigs

Gleich am Anfang des Lackenbergsteigs befand sich Ende September 2014 nördlich des Wegs ein neuer Einschlag im Fichtenwald. Der Waldboden ist übersät mit frischen Stubben:

Je höher man steigt, desto steppenähnlicher und trostloser wird die Landschaft:

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Panoramafotos von den verödeten Lackenhängen

Ich habe zwei Panoramafotos der Lackenhänge gemacht. Ich stehe jeweils auf dem Lackenbergsteig und blicke nach Osten in das Tal der Großen Deffernik Richtung Bayerisch Eisenstein.

Das erste entstand an einem verregneten, nebeligen Herbstvormittag Ende September 2014. Es ist 3,3 MB groß. Die Auflösung beträgt 5.064 x 1.200 Pixel. Klicken Sie mit der rechten Maustaste auf das Foto und wählen dann “Link in neuem Fenster öffnen”. Dann öffnet sich das Panorama. Klicken Sie mit der Lupe auf das Bild, wählen Sie mit F11 die Vollbildansicht und scrollen Sie mit den vertikalen und horizontalen Bildlaufleisten in dem Panorama herum.

Lackenhaenge Panorama 2

Das zweite Panorama wurde nur einen Tag später bei gleißenden Mittagssonne aufgenommen. Es ist 7,2 MB groß. Die Auflösung beträgt 7.014 x 1.200 Pixel.

Lackenhaenge Panorama

Die kahlgeschlagene Fläche zwischen Salzweg, tschechischer Grenze und Lackenbergsteig hat eine Fläche von gut 45 ha. Klicken Sie auf das Geodreieck über dem Satellitenbild des bayerischen Geoportals. Es ist oben das zweite Symbol von links gleich neben dem Fernglas. Dann können Sie die Fläche selbst nachmessen.

In der speziellen Logik der Förster gelten diejenigen Flächen im Osten der Lackenhänge, auf denen weihnachtsbaumgroße Fichten stehen gelassen wurden, nicht als Kahlschläge, obwohl dort alle Altfichten gefällt wurden. Diese Altersklassenwälder aus gleichaltrigen Jungfichten haben den Charme von Weihnachtsbaumplantagen. Sie tauchen in der offiziellen Statistik nicht als Kahlschläge auf.

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Fotos der gequälten Lackenhänge

Die erste Gruppe von Fotos zeigt den Blick nach Westen Richtung Bayerisch Eisenstein.

Die zweite Gruppe richtet den Blick nach Norden Richtung Bärenschachtenhänge und Bärngespräng.

Und die dritte Gruppe blickt nach Osten über die Lackenhänge zum Lackenberg.

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Nahaufnahmen eines maschinengerechten Holzackers

Die folgenden Fotos zeigen Nahaufnahmen der Rückegassen: 5 m breiten Todeszonen, in denen jeder Springschwanz und jede Hornmilbe entweder zerquetscht wurde oder erstickt ist ((Wie viel Leben ist im Waldboden)). Zeugnis von der Bodenverdichtung legen die Binsen ab, die überall auf den Kahlschlägen ins Kraut schießen:

Die abgeernteten Holzäcker sehen zum Gotterbarmen aus: Jedem Quadratmeter ist hier der Stempel der Nationalparkverwaltung aufgeprägt ((nach einer Formulierung von Günter Plochmann)):

Hätten hier nicht jahrelang “bis zu 30 Waldarbeiter der Nationalparkverwaltung” und “bis zu 30 Waldarbeiter von Forstunternehmern und Maschinenringen” mit “bis zu 7 Harvestern und bis zu 4 Seilkrananlagen” und “2 Großhäckslern” sich bemüht, “sämtliche Käferhölzer zeitnah aufzuarbeiten und abzutransportieren” ((Jahresbericht 2009, S. 8 f.)), sähe es hier so aus wie östlich des Lackenbergs auf der tschechischen Seite:

Das verhindert die Nationalparkverwaltung durch “ein Großaufgebot an Personal und Maschinen”. ((ebd.)) Statt sich für diesen “ökologischen Schwachsinn” (Horst Stern) zu schämen, scheint sie stolz darauf zu sein.

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Der Nationalpark als Kahlschlagmaschine

Am 19. Januar 2007 wirft Kyrill im Falkenstein-Rachel-Gebiet 412 ha Wald um. Davon werden nur 98 ha liegen gelassen ((Zahlen siehe: Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald (Hg.), Waldentwicklung im Nationalpark Bayerischer Wald in den Jahren 2006 bis 2011 – Von Marco Heurich, Franz Baierl und Thorsten Zeppenfeld, Grafenau 2012, S. 13)) . Die dreifache Menge wird kahlgeschlagen:

1. Naturereignis: Orkan Kyrill

 Flächen
umgeworfene Flächen412 ha
kahlgeschlagene Flächen304 ha
entrindete Flächen10 ha
nicht aufgearbeitete Flächen98 ha

 

Zwei Jahre später bricht der Borkenkäfer aus den nicht geräumten Windwürfen aus ((ebd., S. 10 f., Abb. 2)). Die folgende Tabelle zeigt die Größe der wegen des Borkenkäfers kahlgeschlagenen Fichtenwälder: ((ebd., S. 13 f.))

JahrKahlschläge wegen Borkenkäfer
2009169 ha
2010249 ha
2011116 ha
Summe534 ha

 

2. Naturereignis: Wirbelsturm

Am 13. Juli 2011 fegt ein Wirbelsturm über den Nationalpark.

 Flächen
umgeworfene Flächen231 ha
kahlgeschlagene Flächen189 ha
entrindete Flächen0 ha
nicht aufgearbeitete Flächen42 ha

 

Die Summe der kahlgeschlagenen Windwürfe präsentiert die folgende Tabelle:

WindwurfKahlschläge wegen Windwurf
Kyrill304 ha
Wirbelsturm189 ha
Summe493 ha

 

Die nächste Tabelle zeigt die Summe aller Kahlschläge:

 Fläche
Kahlschlag wegen Borkenkäfer534 ha
Kahlschlag wegen Windwurf439 ha
Summe1.027 ha

1.027 ha Kahlschläge in nur vier Jahren. Das sind aber beileibe noch nicht alle Kahlschläge im Falkenstein-Rachel-Gebiet. Im Jahr 2005 gab es davon schon 105 ha und 2005 und 2006 kamen jeweils “weniger als 14 ha” ((ebd., S. 13)) hinzu:

JahrKahlschläge
vor 2005105 ha
200513 ha
200613 ha
2007-20111.027 ha
Summe1.158 ha

Marco Heurich und seine Mitstreiter können nicht rechnen: Sie kommen nur auf 1.045 ha ((ebd., S. 14)).

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Der Nationalpark als Holzfabrik

Zyniker nennen den Nationalpark einen der produktivsten Forstbetriebe Bayerns. Den Holzeinschlag im Falkenstein-Rachel-Gebiet zeigt die folgenden Tabelle:

JahrBorkenkäferWindwürfeSumme
1995  50.491
1996  36.588
1997*  30.269
199824.702 28.093
199913.326 33.177
200011.709 35.952
20018.035 12.967
20021.355 13.296
20037.908 32.121
200424.877 29.104
200516.910 18.448
200611.149 25.766
20075.729115.000122.406
200847.583 63.369
2009113.533 118.228
2010140.326 141.035
201177.18182.000160.573
201218.154 27.022
201321.189  
201413.846  
201515.777  
201613.083  
201725.800  
201822.500  
201965.600  

* Erweiterung des Nationalparks: 1.8.1997

Zahlen 2002 -2019: Jahresbericht 2011, S. 4 f., Jahresbericht 2013, S. 4 f., Jahresbericht 2019, S. 29; Zahlen Borkenkäfer 1998-2001: Jahresbericht 2002, S. 8, Zahlen Windwürfe: Waldentwicklung, S. 13 ff.

Hubert Demmelbauer, der Vorsitzende der Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes, hat einen Moment der Klarheit, als er seinem ehemaligen Studienkollegen und Duzfreund Sinner vorwirft:

“Wenn du damals Umweltminister Werner Schnappauf gesagt hättest, dass nach dem Kyrill-Windwurf dreimal so viel Holz geschlagen wird pro Jahr wie vorher im Bereich des gesamten Forstamtes Zwiesel bei regulärer Bewirtschaftung, dann hätte der gesagt: Du spinnst!”  ((Beim Nationalpark hört die Freundschaft auf, Grafenauer Anzeiger vom 2.10.2010))

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Schluss – Boykott

1974 war Prof. Plochmann noch optimistisch: Genau wie Bibelriether und Sperber glaubte er in den 70er Jahren, man könne der Natur “nachhelfen”. Plochmann wollte den Wald “schneller und leichter an das gewünschte Ziel zurückführen”. Er sprach davon, “Weichen für die Reise zu stellen” und “die Länge des Wegs abzukürzen … zurück zum Urwald”. Aber selbst der optimistische Plochmann stellt drei Bedingungen für die Holznutzung auf:

“1.
Es müsste heute und definitiv gesagt werden, wie lange diese Nutzung noch andauern soll. 20, im allerhöchsten Fall 25 Jahre wären die äußerste Grenze. Was bis dahin nicht geschafft ist, mag man getrost Mutter Natur überlassen.
2.
Die Nutzungsmassen sollten während dieser Auslaufspanne kontinuierlich ermäßigt werden.
3.
Holzentnahmen und Maßnahmen sollten allein dort getroffen werden, wo dies am notwendigsten und am hilfreichsten ist. Das schließt Nutzungen in allen Altbeständen aus.”  ((Richard Plochmann, Nationalpark am Scheideweg, in: Nationalpark 2/76, S. 10))

Die Nationalparkverwaltung hat jede dieser “unerlässlichen Voraussetzungen” mit Füßen getreten.

Plochmann warnt:

“Um in Wirtschaftswäldern spazieren gehen zu können, bedarf es keiner weiten Fahrt. Dieses Erlebnis steht jedem Bundesbürger keine 30 km vor seiner Haustüre zur Verfügung.”  ((a.a.O., S. 8))

Ich werde keine weiteren Wanderungen im nördlichen Teil des Nationalparks zwischen Falkenstein und Rachel machen. Ich werde im Norden auch nicht mehr übernachten: weder in Zwiesel, noch in Frauenau, Lindberg, Ludwigsthal, Zwieslerwaldhaus oder Bayerisch Eisenstein. Diesen Teil des Nationalparks werde ich in Zukunft boykottieren.

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