Riesenkahlschlag am Hirschgespreng

“Keiner will den Kahlschlag und schuld daran sind immer die anderen.”
Magazin quer im November 2009

Einleitung

Das Wort “Riesenkahlschlag” habe nicht ich erfunden. Es ist die offizielle Definition für Kahlschläge über 50 ha: siehe Waldbau und Forst. Der Kahlschlag am Hirschgespreng ist weit größer als 50 ha.

Hirschgespreng Panorama

Das hochauflösende Panoramafoto ist 6,6 MB groß. Die Auflösung beträgt 7.230 x 1.200 Pixel. Klicken Sie mit der rechten Maustaste auf das Foto und wählen dann “Link in neuem Fenster öffnen”. Dann öffnet sich das Panorama. Klicken Sie mit der Lupe auf das Bild, wählen Sie mit F11 die Vollbildansicht und scrollen Sie mit den vertikalen und horizontalen Bildlaufleisten in dem Panorama herum.

Die Seite ist gegliedert in folgende Abschnitte:

Lage des Riesenkahlschlags

Das Hirschgespreng ist ein Teil des Hochlagenwalds im Erweiterungsgebiet des Nationalparks. Es liegt wenige 100 m westlich des 1280 m hohen Hirschsprengs (Jelení skok). Dieser Berg liegt bereits auf tschechischem Gebiet. Unterhalb des Hirschgesprengs verläuft ein Forstweg mit dem Namen “Kiesseigenstraße”. Der Name stammt von dem Bach Kiesseige, dessen Quelle im Hirschgespreng liegt. Ganz in der Nähe liegen südlich das Zwieseler Filz, der Hochschachten und der Latschensee, alles sehr beliebte Wanderziele.

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“Hinterhältig und schlau treibt der Borkenkäfer die Menschen vor sich her. Er lässt sie für sich arbeiten. Sie vollenden sein Werk.”
Magazin quer im November 2009

Satellitenbilder vom schrittweisen Kahlhieb des Hirschgesprengs

Dank Google-Earth gibt es vier Satellitenbilder vom Hirschgespreng aus vergangenen Jahren. So lässt sich der schrittweise Kahlhieb nachvollziehen:

Silvester 2006

Silvester 2008

Silvester 2010

22. Mai 2014

Die Kahlschläge waren völlig sinnlos. Der Hochlagenwald wurde nicht erhalten.

Satellitenbild von den Rückegassen

Das Satellitenbild vom 16. August 2013, das das bayerische Geoportal bietet, ist so hochauflösend, dass sogar einzelne Baumstämme und die Rückegassen sichtbar sind. Sie haben im östlichen Teil des Hirschgesprengs nur einen Abstand von 20 m.

Ein ha wird folglich von 5 Rückegassen durchzogen. Rechnet man mit einer Breite von 5 m pro Rückegasse, wurden durch die Befahrung mit den 20-30 Tonnen schweren Forstmaschinen 25 % des Waldboden für die nächsten Jahrhunderte zerstört. Rechnet man realistischerweise links und rechts der Rückegassen 1 m hinzu, die durch das Ruckeln und Schütteln der Maschinen ebenfalls irreversibel verdichtet werden, erhöht sich der Anteil zerstörten Waldbodens auf 35 %. Anders gesagt: Auf einem Drittel der Fläche wird nie wieder ein Wald wachsen ((siehe Schädigung des Bodenlebens)).

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“Früher war da mal Wald …”
Magazin quer im November 2009

Fotos vom entfichteten Hirschgespreng

Die ersten Fotos zeigen den Kahlschlag südlich der Kiesseigenstraße und diese selbst. Die Blickrichtung ist nach Osten. Auf der rechten Seite liegen einige frisch geschlagene Fichtenlanghölzer. Auch Kronenreste wurden geerntet. Diese Vollbaumernte entzieht den ohnehin kargen Hochlagenböden zusätzlich Nährstoffe. Denn ein großer Teil der Mineralstoffe ist in den Ästen und Nadeln gespeichert.

Die folgenden Fotos zeigen den westlichen Teil des Hirschgesprengs. Ich stehe auf der Kiesseigenstraße und fotografiere nach Norden. Die Kahlschläge grenzen dort an einen Bergmischwald, von dem die Buchen übrig geblieben sind:

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“Mitten im Nationalpark Bayerischer Wald sieht es aus wie auf dem Schlachtfeld.”
Magazin quer im November 2009

Geht man die Kiesseigenstraße wenige hundert Meter weiter, bietet sich im Norden der folgende Anblick:

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“Wir haben dort keinen Wald mehr, den wir schützen können.”
Nationalparkchef Christian Leibl in der Süddeutschen Zeitung vom 16.7.2014

Die Kiesseigenstraße ist eine Sackgasse, die 50 m vor der tschechischen Grenze in einem Wendehammer endet. In dessen Nähe entstanden die folgenden Bilder vom Osten des Hirschgesprengs:

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“Wo einst mächtige Wälder in den Himmel ragten, reihen sich nun kahle Grasflächen aneinander. Insgesamt sind es an die 2000 Hektar weitgehend baumloses, verstepptes Land.”
Christian Sebald in der Süddeutschen Zeitung vom 16.7.2014

Am Ende entstehen Flächen, die dieselbe ökologische Wertigkeit haben wie ein abgeerntetes Mais- oder Kartoffelfeld. Der Vergleich ist ernst gemeint: Auch auf einem brachliegenden Acker wachsen Gräser. Und wenn nebenan ein paar Fichten stehen, wachsen dort auch bald junge Fichten:

Es ist nur ein weiteres Stück aus dem bayerischen Kuriositätenkabinett, wenn Nationalparkchef Leibl nun ausgerechnet solche Flächen als Naturzonen ausweisen will ((Tricksen, Tarnen, Täuschen, Süddeutsche Zeitung vom 16.7.2014)). Mit derselben Berechtigung könnte man den Nationalpark Rügen erweitern, indem man die Maisfelder rund um den Park aberntet und zur Naturzone erklärt.

Zum Schluss: Natürlich kommt es auch zur Bodenerosion, insbesondere an den Rückegassen und Forstwegen:

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“Wir haben eine zwingende Rechtsvorschrift, im Falkensteingebiet den Borkenkäfer bis zum Jahr 2027 zu bekämpfen.”
Nationalparkchef Sinner im Magazin quer im November 2009

Rechtliche Grundlagen für den Kahlhieb des Hirschgesprengs

Selbstverständlich wurde das Hirschgespreng nicht aus Jux und Tollerei entfichtet. In den Jahren 2009 und 2010 kam es dort zu einer explosionsartigen Massenvermehrung des Borkenkäfers ((siehe Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald (Hg.), Waldentwicklung im Nationalpark Bayerischer Wald in den Jahren 2006 bis 2011 – Von Marco Heurich, Franz Baierl und Thorsten Zeppenfeld, Grafenau 2012, Abbildung 2, S. 10 f.)). Weil das Hirschgespreng in der sogenannten Entwicklungszone 2 a liegt, war die Nationalparkverwaltung laut Nationalparkverordnung § 14 (3) verpflichtet, “die Ausbreitung des Borkenkäfers zu verhindern”. Zur Zone 2 a schreibt der Anlageband zum Nationalparkplan “Walderhaltungs- und Waldpflegemaßnahmen” aus dem Jahr 2010 auf Seite 8:

“In der Zone 2 a sind bis zum Jahr 2027 wirksame Borkenkä­ferbekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Borkenkäfers auf die Wälder der Hochlagen zwischen Falkenstein und Rachel zu verhindern.”

Die Förster der Nationalparkverwaltung sind alles gesetzestreue Männer. Ihre Dienstpflicht als Beamte des Bayerischen Staates haben treu erfüllt:

  • der Nationalparkchef Karl-Friedrich Sinner,
  • der Leiter des Sachgebiets “Wald- und Flächenmanagement” Franz Baierl,
  • und der Leiter der zuständigen Nationalparkdienststelle Scheuereck Ingo Brauer.

Die Arbeit macht ihnen viel Spaß. Die Fotos auf der Homepage des Nationalparks zeigen sie alle vor Freude strahlend. Erfolgreich haben sie die Ausbreitung des Borkenkäfers verhindert, indem sie die von ihm befallenen Bäume gefällt haben.

Wie dienstbeflissen deutsche Förster arbeiten, lässt sich am Hirschgespreng beobachten: Genau dort verläuft nämlich die deutsch-tschechische Grenze. Und auf tschechischer Seite wurde die Ausbreitung des Borkenkäfers nicht verhindert. Tschechien beginnt dort, wo die abgestorbenen Fichten stehen:

Ein solcher Anblick ist den Besuchern des Nationalparks Bayerischer Wald nicht zumutbar. Deshalb heißt es in § 14 (2) der Nationalparkverordnung:

“Durch geeignete naturnahe Maßnahmen der Walderhaltung und Walderneuerung ist der Hochlagenwald in seiner Substanz zu erhalten und in seiner Funktion zu sichern.”

Natürlich ist die Borkenkäferbekämpfung auf deutscher Seite völlig sinnlos, wenn aus dem direkt benachbarten Tschechien Milliarden und Abermilliarden Borkenkäfer nach Deutschland einfliegen.

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“Einen Wald grün erhalten durch Kahlschlag?”
Magazin quer im November 2009

Der Entscheid von Umweltminister Schnappauf vom 10. Mai 2007

Wenn man verstehen will, wie es zu den Riesenkahlschlägen am Hirschgespreng kam, muss man die Vorgeschichte kennen. Am 19. Januar 2007 warf der Orkan Kyrill im Nationalpark 160.000 Festmeter Holz um. Daraufhin fällte Umweltminister Werner Schnappauf eine folgenschwere Entscheidung, die er am 10. Mai 2007 in Regen der Presse verkündete. Sie ist in der lesenswerten Sonderausgabe “Kyrill” der Zeitschrift “Unser Wilder Wald” Heft 21 auf Seite 3 abgedruckt. Ich zitiere die Entscheidung in ganzer Länge:

“Der Wald soll so grün wie möglich bleiben”

Der Orkan Kyrill hat im Januar im Nationalpark Bayerischer Wald 160.000 Festmeter „Sturmholz“ verursacht, davon im Randbereich des Nationalpark-Altgebiets ca. 40.000 Festmeter und im Nationalpark-Erweiterungsgebiet ca. 120.000 Festmeter mit einem Schwerpunkt in den Lagen oberhalb 1.000 Meter.

Die großen Windwurfflächen der Hochlagen liegen in den Kerngebieten des Auerhuhnvorkommens auf beiden Seiten der Landesgrenze und damit in hochwertigen Natura-2000 Lebensräumen.

Entscheidungsfindung mit allen Partnern vor Ort

Ich habe am 20. April 2007 die Windwurfflächen gemeinsam mit MdL Brunner und dem Vorsitzenden des Kommunalen Nationalparkausschusses, Landrat Wölfl, beflogen und mich über die Situation vor Ort informiert. Das Thema wurde intensiv mit Waldwissenschaftlern, Wissenschaftlern und Borkenkäfer-Experten diskutiert.

Die Nationalparkverwaltung hat auf meine Bitte hin auch die Mitglieder des Kommunalen Nationalparkausschusses über die Auswirkungen des Orkans Kyrill informiert und ihnen die Überlegungen für das weitere Vorgehen unterbreitet. In seiner Sitzung am 30. April 2007 hat der Kommunale Nationalparkausschuss ausgiebig diskutiert und das Für und Wider der möglichen Entscheidungs-Alternativen abgewogen und folgende Vorgehensweise akzeptiert:

Von den insgesamt rund 350 Hektar Windwurf im Nationalpark-Erweiterungsgebiet werden zwei Drittel aufgearbeitet. Oberstes Ziel ist, den Nationalpark so grün wie möglich zu erhalten. Deshalb werden wir drohende Borkenkäfer-Kalamitäten durch rasches Handeln begrenzen durch:

  1. Konsequente, umfassende und schnellstmögliche Aufarbeitung der Windwürfe außerhalb der Naturzonen.
  2. Konsequente Aufarbeitung der Einzelbaumwürfe und kleinen Windwurfnester.
  3. Konsequente Borkenkäferbekämpfung im Umfeld der flächigen Windwürfe und sorgfältiges Monitoring.
  4. Liegenlassen der flächigen Würfe in den Hochlagen.

Auf tschechischer Seite ist ebenfalls die Entscheidung gefallen, die großflächigen Windwürfe liegen zu lassen.

Durch das Liegenlassen der Bäume kann hier am besten erreicht werden, dass so schnell wie möglich wieder ein neuer Wald entsteht. Um jede der fünf großen Windwurfflächen wird ein zirka 500 Meter breiter Beobachtungsring („cordon sanitaire“) im Stehendholz gezogen und darin der Borkenkäfer intensiv bekämpft.

Gründe fürs Liegenlassen

  1. Eine unter hohem Technikeinsatz durchgeführte Räumung der großen Windwurfflächen in den Hochlagen würde zu einer massiven Schädigung der Böden und weitgehenden Vernichtung der bereits vorhandenen jungen Bäumchen führen.
  2. Die durch den Windwurf entstandenen Rohböden im Bereich der aufgeklappten Wurzelteller sind ideale „Kinderstuben“ für junge Bäumchen wie Ebereschen, Buchen oder die in den Hochlagen verbreiteten Fichten.
  3. Herumliegende Stämme, dicke Äste oder Wurzelteller schützen vor Schneedruck, Bodenabtrag und halten das Wild fern. Die Jungpflanzen werden vor Verbiss geschützt.
  4. Totholz beeinflusst die natürliche Verjüngung in Waldbeständen positiv: Verrottet ein am Boden liegender Baumstamm, werden die im Holz gespeicherten Nährstoffe mit fortschreitender Zersetzung langsam zurückgegeben.
  5. Totholz ist Lebensgrundlage und Refugium tausender Arten von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Flechten und dadurch ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems Wald. Neben der Verjüngung auf Rohböden verjüngt sich die Fichte auch gerade auf dem liegenden toten Holz (sog. Rannenverjüngung).

Erfahrungen im Nationalpark lehren, dass allein durch die Kraft der Natur mehr als zehn Millionen junge Bäumchen gesprossen sind.

Meine Damen und Herren, ich habe mir die Entscheidung in dieser Sache nicht leicht gemacht, gerade weil ich weiß, wie wichtig der Bayerische Wald für die Region und ihre Menschen ist.

Staatsminister Dr. Werner Schnappauf

In derselben Ausgabe präzisiert Nationalparkleiter Sinner, welches Drittel der Windwurfflächen nicht “aufgearbeitet” wird. Ich zitiere ausführlich aus Sinners Aufsatz “Kyrill – Waldzerstörer oder belebendes Naturereignis?” auf Seite 2:

“Für fünf große Windwurfflächen hat nach eingehender Beratung das Staatsministerium den Vorschlag der Nationalparkverwaltung aufgegriffen und im Interesse der Substanzerhaltung des Waldes entschieden, diese Flächen nicht aufzuarbeiten. Natürlich führt eine solche Entscheidung zu intensiven Diskussionen, nicht nur nachdem sie getroffen wurde, sondern bereits in ihrer Vorbereitung. Nahezu jeder, der sich die Mühe machte, in die großen Windwurfflächen hineinzugehen, um die Situation intensiv vor Ort anzuschauen und zu diskutieren, kam zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass in diesen Bereichen eine Aufarbeitung der Windwürfe nicht nur sinnlos, sondern schädlich ist.
Neben der fachlichen Diskussion in den Windwurfflächen war ein weiteres Phänomen erlebbar: Niemand, der diese Flächen begangen hat, konnte sich der Faszination entziehen, die diese unmittelbar erlebbare Urkraft der Natur ausübte. Das gilt nicht nur für das unmittelbare Bild der wie ein Mikadospiel hingeworfenen Bäume; die großen Räder der Wurzelteller mit den schwebenden Felsblöcken, welche die Wurzeln in ihrer Umarmung aus dem Boden gerissen haben, die farbenfrohen Frühjahrsblüher, die das unerwartete Licht der Sonne genießen, die Kohorten des jungen Fichtenwaldes, der sich anschickt, das ihm geschenkte Sprungbrett ins Leben zu nutzen, die ganze Lebendigkeit von Pflanzen und Tieren auf den von der Natur bereiteten neuen Lebensräumen hinterlassen tiefe Eindrücke. Die Verbindung zum alten Wald wird durch das Liegenlassen nicht unterbrochen, Schutz und Hilfe für den jungen Wald durch gefallene Veteranen in reichem Maße gegeben.”

Unter dem Aufsatz findet sich eine Karte, auf denen die 5 großen Windwürfe eingezeichnet sind, die liegenbleiben. Sie heißen:

  1. Lackenberg
  2. Sandl
  3. March
  4. Distelruck und
  5. Bärnloch

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“Hat der Borkenkäfer sich auch in die Gehirne der Nationalparkhüter gebohrt?”
Magazin quer im November 2009

Dokument des Irrsinns

Ich bezeichne den Ministerentscheid als ein Dokument des Irrsinns:

Wenn man riesige Windwürfe nicht aufarbeitet, kommt es darin zwangsläufig zu explosionsartigen Borkenkäfermassenvermehrungen. Da die Abermilliarden Käfer in den umgeworfenen Fichten irgendwann nicht mehr genügend Brutraum finden, fallen sie in die umliegenden Fichtenwälder ein, die der Sturm nicht umgeworfen hat. Diese Ausbreitung muss dann aber laut Nationalparkverordnung § 14 (3) bekämpft werden. Und das geht nur mit Riesenkahlschlägen. Ein Ausbruch des Borkenkäfers aus einem mehrere Dutzend ha großen Windwurf kann nicht mit dem Entfernen einzelner Fichten in einem “cordon sanitaire” bekämpft werden. Das hätte jeder der befragten “Waldwissenschaftlern, Wissenschaftlern und Borkenkäfer-Experten” spätestens seit den Erfahrungen mit den liegen gelassenen Windwürfen von 1983 und 1984 im Altpark wissen müssen ((siehe Hans Jehl, Die Waldentwicklung auf Windwurfflächen im Nationalpark Bayerischer Wald, in: Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald (Hg.), 25 Jahre auf dem Weg zum Naturwald, Neuschönau 1995, S. 113 ff.)).

Es ist verrückt, Windwürfe in den Zonen 2 a und 2 b liegen zu lassen. In dem Sturmholz vermehrt sich der Borkenkäfer. Der aber muss in diesen Zonen bekämpft werden. Sturmwürfe liegen zu lassen führt dort notwendigerweise zu Kahlschlägen. Entweder man lässt die Windwürfe liegen, dann muss man auch den anschließenden Borkenkäferbefall dulden. Oder man arbeitet die Windwürfe auf, dann hat man wenigstens vor dem Käfer Ruhe. Wer A sagt (Windwürfe liegen lassen), muss auch B sagen (Borkenkäfer nicht bekämpfen). Oder anders herum: Wer nicht B sagen will, braucht auch nicht A zu sagen. Ein bisschen Prozessschutz geht so wenig wie ein bisschen schwanger.

Den Bergfichtenwäldern am Hirschgespreng wurde die vierte Windwurffläche, die liegen gelassen wurde, zum Verhängnis: das Distelruck. Diese Windwurffläche direkt neben der tschechischen Grenze ist ca. 30 ha groß. Auf dem Satellitenbild vom bayerischen Geoportal ist jede einzelne geworfenen Fichten gestochen scharf erkennbar:

nicht geräumter Windwurf am Distelruck

Aus dieser Fläche brach der Borkenkäfer 2009 aus. Niemanden konnte das ernsthaft überraschen. Die Massenvermehrung lief wie nach Lehrbuch ab. Es war wie 1986 reloaded: Nachdem man 1983 und 1984 87 ha Windwürfe in der Naturzone des Altparks liegen gelassen hatte, brach der Borkenkäfer 1986 aus diesen Windwurfflächen aus und befiel massenhaft die gesunden Fichten im Umkreis ((siehe Stefan Nüßlein, Ursprünge und bisheriger Verlauf der Totholzausbreitung, in: Bayerische Landesanstalt für Wald- und Forstwirtschaft (Hg.), Zur Waldentwicklung im Nationalpark Bayerischer Wald 1999, Freising 2000, S. 2)).

Auf dem Satellitenbild wird sichtbar, wie sich ähnlich einem Krebsgeschwür seit 2009 die Kahlschläge vom Distelruck in westlicher und südlicher Richtung ausbreiten:

Distelruck_Hirschgespreng

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“Falls er sich ausbreitet, wird der Borkenkäfer konsequent bekämpft; d. h., es wird radikal abgeholzt.”
Magazin quer im November 2009

Schnappauf und Sinner als Kritiker der Kahlschläge

Man muss die Argumente von Schnappauf und Sinner nur etwas umformulieren und der Minister und sein Nationalparkchef werden selbst zu den entschiedensten Kritikern der Kahlschläge:

  1. Die Kahlschläge erfolgen “in den Kerngebieten des Auerhuhnvorkommens” und “in hochwertigen Natura-2000 Lebensräumen”.
  2. Die “unter hohem Technikeinsatz durchgeführte Räumung” der Borkenkäferbefallsflächen führt “zu einer massiven Schädigung der Böden und weitgehenden Vernichtung der bereits vorhandenen jungen Bäumchen”.
  3. Die Vollbaumernte führt zu Flächen ohne jedes Totholz. Nichts schützt mehr “vor Schneedruck, Bodenabtrag” und nichts hält “das Wild fern”. Junge Fichten werden nicht “vor Verbiss geschützt”.
  4. Der Mangel an “Totholz beeinflusst die natürliche Verjüngung in Waldbeständen” negativ: Kein “am Boden liegender Baumstamm” verrottet mehr. Die “im Holz gespeicherten Nährstoffe” werden “mit fortschreitender Zersetzung” nicht mehr ” langsam zurückgegeben”.
  5. Da auf Kahlschlägen sämtliches Totholz geräumt wurde, ist  “Lebensgrundlage und Refugium tausender Arten von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Flechten und dadurch ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems Wald” entfernt worden. Die Verjüngung der Fichte wird erheblich behindert. Denn “neben der Verjüngung auf Rohböden verjüngt sich die Fichte auch gerade auf dem liegenden toten Holz (sog. Rannenverjüngung).”
  6. Kahlschläge verstoßen gegen das “Interesse der Substanzerhaltung des Waldes”.
  7. Eine Bekämpfung des Borkenkäfers “ist nicht nur sinnlos, sondern schädlich”.
  8. “Die Verbindung zum alten Wald” wird durch die Kahlschläge “unterbrochen”. Indem die vom Borkenkäfer befallenen “Veteranen” gefällt werden, fehlt “Schutz und Hilfe für den jungen Wald”.

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Schluss – “zwingende Rechtsvorschrift”

Im November 2009 verteidigt sich Nationalparkchef Sinner gegen die Kritik des Magazins quer vom Bayerischen Rundfunk an den Kahlschlägen:

Sinner:

“Wir haben eine zwingende Rechtsvorschrift … äh …, hier … äh … im Falkensteingebiet den Borkenkäfer bis 2027 zu bekämpfen. Ohne diese … äh … äh … Kompromiss, den man gefunden hat in … äh … den  Verhandlungen hier mit der regionalen Politik, gäbe es den Nationalpark hier im Falkensteingebiet nicht.”

Verdächtig viele “äh”s in zwei Sätzen! Richtig muss der letzte Satz natürlich heißen: “Wegen dieses Kompromisses gibt es den Nationalpark im Falkensteingebiet nicht.”

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