Winterwanderung zum Rachel

F. Vielfalt der Nahrungsnetze

ESFEs sind laut Swanson auch deshalb so außergewöhnlich, weil es in ihnen unterschiedliche und komplexe Nahrungsnetze gibt:

“Einfach gesagt: eine vielfältige Gemeinschaft von Pflanzen bietet viele Nahrungsangebote.”

Zu diesen Nahrungsangeboten zählen nicht nur die Gräser, Kräuter und Sträucher, sondern auch deren Samen und Früchte. Nektar und Pollen werden nicht nur von Bienen, Wespen und Hummeln gefressen, sondern auch von den Bockkäfern (Cerambycidae). Sie zählen zwar zu den Totholzkäfern, weil ihre Larven im toten Holz leben. Es ist aber ein Missverständnis zu glauben, dass auch alle erwachsenen Totholzkäfer verborgen im toten Holz leben würden. ((siehe Artenvielfalt auf belassenen Borkenkäferflächen)) Ein Beispiel ist der Gefleckte Blütenbock (Pachytodes ceramboyciformes). Seine Larven entwickeln sich in verpilzten Fichtenwurzeln. Hier frisst gerade ein erwachsenes Exemplar Blütenpollen. Die Käfer werden nur 9 mm groß:

Pachytodes cerambyciformis side

Das ESFE am Rachel hat aber neben dem reichhaltigen pflanzlichen Nahrungsangebot auch noch eine ergiebige tierische Nahrungsquelle zu bieten. Es sind die Borkenkäfer selbst. Georg Möller schreibt dazu:

“Schlupf- und Erzwespen parasitieren verschiedene Entwicklungsstadien (Ei, Larve, Puppe) der Borkenkäfer […] Ein klassischer Antagonist des Buchdruckers Ips typographus ist der Ameisenbuntkäfer Thanasimus formicarius.  Die fertigen Käfer ernähren sich direkt von den Imagines der Borkenkäfer, während seine rötlich gefärbten Larven in den Gängen den Larven und Puppen nachstellen. In den Gangsystemen der Borkenkäferlarven findet man weitere Nutznießer aus diversen Familien. Beispiele sind Stutzkäfer der Gattungen Plegaderus, Platysoma und Paromalus, Schwarzkäfer der Gattungen Corticeus sowie Kurzflügelkäfer der Gattungen Nudobius, Placusa, Leptusa und Euryusa.” ((G. Möller, R. Grube, E. Wachmann, Der Fauna Käferführer I – Käfer im und am Wald, Fauna Verlag 2006, S. 32 f.))

Alle im Zitat fett gedruckten Borkenkäfer-Räuber hat Simon Thorn in seiner oben erwähnten Arbeit auf Borkenkäferflächen im NLP Bayerischer Wald nachgewiesen. Sie sind aufgelistet in seiner Tabelle S1 – Total number of saproxylic beetles in logged and non-logged windthrown areas. Logischerweise kommen auf den nicht geräumten Windwurfflächen fast immer deutlich mehr Räuber vor als auf den geräumten Flächen.

Dass auf den geräumten Flächen überhaupt Borkenkäfer-Räuber gefunden wurden, kann man dadurch erklären, dass Borkenkäfer sich nur durch Flächenbombardements mit Napalm vollständig ausrotten ließen. Das verbietet ausnahmsweise die NLP-Verordnung. Und so hat Thorn auch auf den ansonsten von der NLP-Verwaltung besenrein aufgeräumten Riesenkahlschlägen ((zur Lage der Flugfallen am Lackenberg und westlich des Schachtenhauses siehe Abb. 1 in Thorns Arbeit)) immer noch 796 Exemplare des Buchdruckers (Ips typographus) in den aufgestellten Fallen gefunden. Auf den nicht geräumten Flächen waren es allerdings zehnmal mehr: 7.785. ((siehe Tabelle S1 – Total number of saproxylic beetles in logged and non-logged windthrown areas)) Der kleine Verwandte des Buchdruckers, der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus), war sogar mit 3.147 Exemplaren der am häufigsten gefangene Käfer auf den geräumten Flächen. Auf nicht geräumten ging er doppelt so häufig in die Fallen: 6.697 mal.

Dass Sie bei einem Waldspaziergang alle nun folgenden Borkenkäfer-Räuber vermutlich noch nie gesehen haben, liegt auch an ihrer Größe. Häufig sind sie nur 1 oder 2 mm groß. Der Ameisenbuntkäfer ist mit seinen 8 mm schon ein Riese.

Thanasimus_formicarius

Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius) – 8 mm, 23 Exemplare auf geräumten, 36 auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec)

Plegaderus_vulneratus

Plegaderus vulneratus – 1 mm,  kein Exemplar auf geräumten, eines auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec)

Corticeus_linearis

Corticeus linearis – 2 mm, 12 Exemplare auf geräumten, 22 auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec)

Nudobius_lentus

Nudobius lentus – 7 mm, 17 Exemplare auf geräumten, 43 auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec)

Placusa_tachyporoides

Placusa tachyporoides – 2 mm, kein einziges Exemplar auf geräumten, eines auf nicht geräumten Flächen ((Von Placusa depressa wurden 7 Exemplare auf geräumten und 10 auf nicht geräumten Flächen gefunden.))

Leptusa_pulchella

Leptusa pulchella – 2 mm, 2 Exemplare auf geräumten, 8 auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec) ((Von Leptusa fumida wurden 5 Exemplare auf geräumten, 5 auf nicht geräumten Flächen gefunden. Fotograf: Lech Borowiec))

Möllers Liste von Käfern, die räuberisch von Borkenkäfern leben, ist beileibe nicht vollständig. Es fehlt z. B. der Flachkäfer Nemosoma elongatum. ((siehe Dagmar Nierhaus-Wunderwald, Die natürlichen Gegenspieler der Borkenkäfer))

Nemosoma_elongatum

Nemosoma elongatum – 5 mm, 5 Exemplare auf geräumten, 5 auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec)

Auch Rindenglanzkäfer der Gattung Rhizophagus.haben sich auf Borkenkäfer spezialisiert. Thorn hat gleich 5 Arten gefunden; die häufigste war Rhizophagus ferrugineus:

Rhizophagus_ferrugineus

Rhizophagus ferrugineus – 3 mm, 109 Exemplare auf geräumten, 162 auf nicht geräumten Flächen (Fotograf: Lech Borowiec)

Danksagung

Mit Ausnahme des Blütenbocks stammen alle Fotos von Lech Borowiec von der Abteilung für Biodiversität und Evolutionäre Taxonomie an der Universität Warschau. Für die Erlaubnis, seine Fotos zu nutzen, bin ich ihm sehr dankbar. Seine Käferseite ist im Internet einzigartig.

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