Sinner

Förster als Organisatoren der Protestbewegung

Ich bezweifle, dass der Protest der lokalen Bevölkerung gegen die NLP-Erweiterung 1997 eine spontane Selbstmobilisierung von unten gewesen ist. Meine These ist, dass er von Forstbeamten der Bayerischen Staatsforsten und Spitzenbeamten im Forstministerium von oben

  1. organisiert,
  2. manipuliert und
  3. instrumentalisiert

wurde.

Jeder, der schon einmal in einer Bürgerinitiative mitgearbeitet hat, weiß, dass es sehr schwer ist, eine massenhafte Bürgerbewegung auch nur über wenige Wochen aufrecht zu erhalten. Der Volkszorn kocht zwar schnell über, er verraucht aber auch ebenso schnell. Ich selbst habe das zweimal leidvoll erfahren müssen:

  • Die Bürgerinitiative Waldschutz Essen erlebte 2014 einen massenhaften Zustrom unmittelbar nach der Holzhackerei im Lührmannwald. Mittlerweile kommen zu den Veranstaltungen nicht einmal mehr 10 Leutchen.
  • Der Protest gegen die Abholzung des Becker-Waldes, der 2014 wochenlang für Unruhe in Bottrop sorgte, verlief ergebnislos im Sand.

Viele Bürgerinitiativen werden ähnlich deprimierende Erfahrungen gemacht haben. Es ist erklärungsbedürftig: Warum gibt es die Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes auch nach 20 Jahren noch, und warum kann sie immer noch Protestaktionen mit immerhin 100 Teilnehmern organisieren? ((siehe z. B. Die Pflanzaktion der Bürgerbewegung))

Schon im August 1995 äußerte Martina Keller in der ZEIT einen Verdacht: Die Förster seien die Strippenzieher.

“Als vor 25 Jahren im Bayerischen Wald der erste deutsche Nationalpark gegründet wurde, beschimpften ihn seine Gegner als ‘indiskutables Machwerk’, ‘Rummelplatz’, ‘Wald der toten Bäume’. […] Am heftigsten protestierten die Förster. […] Auch 1995 […] streiten die alten Gegenspieler miteinander. Diesmal soll der Nationalpark auf fast das Doppelte seiner ursprünglichen Fläche von 13 000 Hektar erweitert werden. Die Förster operieren diesmal aus dem Hintergrund. Als die Erweiterung vor fünf Jahren erstmals diskutiert wurde, bogen sie die Initiative rasch ab. Sie behaupteten, der Wald gehe zugrunde, wenn man der Natur ihren Lauf lasse. Diesmal bekamen die Forstdirektoren zwar von der Regierung einen Maulkorb verpasst, konnten dafür aber einen pensionierten Kollegen und Nationalparkgegner der ersten Stunde reaktivieren. Erhard Engelstädter ist ein agiler 79jähriger […]. Seine neue Aufgabe nimmt er ebenso ernst wie das tägliche Fitnesstraining. Er spricht auf Veranstaltungen und sammelt für seine Mitstreiter Argumente.” ((Martina Keller, Zuviel Wald macht zornig, DIE ZEIT vom 11. August 1995, Hervorhebungen von mir))

Zwei Monate später schreibt Christian Schneider in der Süddeutschen Zeitung:

“Widerstand kam […] von der Staatsforstverwaltung und auch von den Förstern selbst, von denen sich viele bis zum heutigen Tag mit dem Gedanken schwer tun, dass der Wald auch ohne sie gedeihen kann. […] Die Staatsforstverwaltung […] weiß mit dem Nationalpark offensichtlich noch immer nichts Rechtes anzufangen, wie intern verschämt eingeräumt wird. […] Und die Förster des staatlichen Forstamts Zwiesel versuchen vor der geplanten Übernahme in das Naturschutzreservat noch schnell den Wald nach ihren Vorstellungen umzubauen, indem sie die ältesten Bäume aus dem Forst schaffen. Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet, so hört man, soll einen Wutanfall bekommen haben.” ((25 Jahre NLP Bayerischer Wald: Naturschutz nach amerikanischem Vorbild, SZ vom 7. Oktober 1995))

1996 äußerte Horst Stern im SPIEGEL einen ähnlichen Verdacht über die Rolle der bayerischen Staatsförster:

“Die Argumente der Aufsässigen wurzeln in einem ökologieblinden Zorn darüber, dass man ihnen vorschreibt, wo sie im Nationalpark spazierengehen, radfahren, reiten und Ski fahren dürfen – und wo aus Gründen einer ungestörten, gesetzlich geforderten Naturentwicklung nicht. Und sie sagen auch, dass die – bezogen auf die Gesamtfläche des Parks eher geringen – Totholzflächen ihre Heimat ‘verschandeln’. Die Wahrheit ist, dass ihnen aus einem von Axt und Säge geprägten unreflektierten Waldgefühl heraus die ganze Richtung nicht passt. Bestärkt in dieser Haltung werden sie seit langem von staatlichen Förstern bis hinauf in die oberen Ränge der bayerischen Staatsforstverwaltung. Ihr Chef, Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet, befürwortet die Parkerweiterung. Aber die Staatsforstler ziehen nicht mit. ((Horst Stern, Unter toten Bäumen wächst neuer Wald, Der Spiegel 31/1996, S. 140 f.))

Kurz vor der Landtagssitzung beschrieb Joachim Müller-Jung am 5. Juli 2007 die Führungsrolle der Förster und von Spitzenbeamten in der FAZ. Und auch er betont den Einfluss von Erhard Engelstädter:

An die Spitze des Widerstands stellten sich ehemalige und aktive Förster. Und selbst Forstbeamte aus höchster bayerischer Verwaltungsebene solidarisierten sich mit den Dorfbewohnern innerhalb und an der Grenze des Reservats. Erhard Engelstädter, ein eloquenter 81 Jahre alter Pensionär, der 24 Jahre das Forstamt Zwiesel geleitet hat, wurde häufig auf Bürgertreffen und später auch bei Gesprächen mit Staatsminister Bocklet zum Sprachrohr der Nationalparkgegner.” ((Wütende Waldler kämpfen gegen die Wildnis vorm Haus, FAZ vom 5. Juli 1997))

Und selbst Wolfgang Metzner vom STERN kann in seinem berühmt-berüchtigten nationalparkfeindlichen Artikel “Kaputtgeschützt” vom 9. Oktober 1997 die Rolle der Förster nicht leugnen:

“Es sind nicht etwa lärmende Freizeitkapitäne und Querfeldein-Rambos, die sich da unter Transparenten gegen ‘Ökoterrorismus’ sammeln. Es sind vor allem Förster, Fischer und Bauern: Menschen, die gewachsene Kulturlandschaften schützen, aber auch nützen wollen.” ((Wolfgang Metzner, Kaputtgeschützt, STERN vom 9. Oktober 1997, Hervorhebungen von mir))

Und Metzner nennt einen zweiten pensionierten Forstdirektor beim Namen, der gegen den Nationalpark ist:

“Damals ((Götz meint den Windwurf von 1983)) wurde entschieden, die entwurzelten Stämme nicht wegzuschaffen ‘die größte Sünde, die ein Forstmann begehen kann’, klagt Ex-Forstdirektor Robert Götz, Bibelriethers Vorgänger im Forstamt Spiegelau”. ((ebd., Hervorhebungen von mir))

In der Landtagssitzung wird Frau Lödermann die Rolle der Förster anprangern, ohne dass jemand dazwischen ruft:

“In der Zeit zwischen der Bekanntgabe, dass der Nationalpark erweitert werden soll – das war im Februar 1995 durch eine Pressemeldung des Bundes Naturschutz – , und dem Zeitpunkt, als Minister Bocklet im Kabinett den Auftrag bekam – das war im Mai 1995 -, herrschte ein Informationsvakuum. Das konnte dazu benutzt werden, dass sich ein sehr breiter Widerstand vor Ort organisiert hat. Ich muss auch sagen, dass daran die bayerische Forstverwaltung auf lokaler Ebene massiv mitgewirkt hat.” ((Plenarprotokoll, S. 6124, linke Spalte, 4. Absatz))

Es geht hier nicht um eine obskure Verschwörungstheorie. ZEIT, SZ, SPIEGEL, FAZ und STERN: Alle Leitmedien betonen die herausragende Rolle von Forstbeamten in der Protestbewegung – und zwar sowohl von Forstamtsleitern vor Ort, als auch von Spitzenbeamten im Ministerium in München.

Die Medien trauen sich nicht, die Namen der Spitzenbeamten zu nennen; selbst den mutigen Horst Stern befällt da eine Beißhemmung. Möglicherweise meinen sie Ministerialrat Wolfgang Sailer, für den Nationalpark zuständig im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, und Ministerialdirektor Dr. Schreyer, Leiter von dessen Abteilung F (Wald und Forstwirtschaft, Forstverwaltung). Beide sind für die skandalöse Verdopplung der Borkenkäferschutzzone im Jahr 1997 maßgeblich verantwortlich.

Pensionierte Forstdirektoren führen die Protestbewegung an: Seit 1998 war Erhard Engelstädter nicht nur “Sprachrohr” (FAZ), sondern auch offiziell Vorsitzender der Bürgerbewegung. Von 1957 – 1973 hatte er das Forstamt Zwiesel-West und dann bis zu seiner Pensionierung 1981 das Forstamt Zwiesel geleitet, das dann später im Zuge der NLP-Erweiterung aufgelöst wurde. ((siehe Zwieseler Kulturpreisträger des Bayerischen Wald-Vereins und Öko-Verbrechen)) Forstdirektor Engelstädter brachte sechs Dinge mit, die für den Erfolg einer Bürgerinitiative unerlässlich sind:

  1. Zeit. Als Pensionär konnte er sich von morgens bis abends seiner neuen Aufgabe widmen.
  2. Motivation. Der Kampf gegen den NLP war für Engelstädter eine Herzensangelegenheit.
  3. Sachkompetenz. Engelstädter hatte Forstwirtschaft an der altehrwürdigen Forstlichen Hochschule Tharandt studiert. ((Diplomarbeit 1940 über Formen der neuen Holzaußenhandelspolitik. Ein Beitrag zur zwischenstaatlichen Holzmarktordnung.))
  4. Führungsqualitäten. Er hatte 24 Jahre lang ein Forstamt mit seinen zahlreichen Revierförstern, Waldarbeitern und Verwaltungsangestellten geleitet.
  5. Respekt. In einer bayerischen Kleinstadt wird einem Forstamtsleiter Respekt gezollt. Er gehörte zu den Honoratioren der Stadt. 1974 wurde Engelstädter mit der Alexander-Humboldt-Medaille, 1975 mit dem Kulturpreis des Bayerischen Wald-Vereins und 1981 mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Stadt Zwiesel ausgezeichnet. ((siehe Auszeichnungen))
  6. Netzwerke. Als Forstdirektor verfügte Engelstädter über weit verzweigte Kontakte zu den Entscheidungsträger der Stadt und des Landkreises: Mit Beamten des Forstministeriums, Bürgermeistern, Landräten, Sägewerksbesitzern und Jägern war er per Du. Und als Lieferant für Brennholz kannte er die ganze Stadt.

Der aktuelle Vorsitzende der Bürgerbewegung ist ebenfalls ein pensionierter Forstbeamter: Es ist Forstdirektor Hubert Demmelbauer. ((siehe dessen Beiträge auf der Facebook-Seite der Bürgerinitiative)) Wie Engelstädter leitete auch Demmelbauer bis zu dessen Auflösung am 1. August 1997 das Forstamt Zwiesel. ((siehe das aufschlussreiche Streitgespräch zwischen Demmelbauer und Karl Friedrich Sinner: Beim Nationalpark hört die Freundschaft auf, Grafenauer Anzeiger vom 2. Oktober 2010))

Nach oben
Zurück zur Einleitung
Nächste Seite: Manipulation der Protestbewegung durch Förster