Lödermann

Chronologie einer Täuschung

Riesenkahlschlag am Hirschgespreng

Frau Lödermann glaubt, dass “der Antrag von Herrn Sinner, Frau Peters und mir ein guter Kompromiss” ist. Die entscheidenden Stellen dieses Antrags sind § 14 (2) und (3):

§ 14
Hochlagenwald
[…]
(2) Durch geeignete naturnahe Maßnahmen der Walderhaltung und Walderneuerung ist der Hochlagenwald in seiner Substanz zu erhalten und in seiner Funktion zu sichern.
(3) In einem Zeitraum bis zum Jahr 2017 ist die Ausbreitung des Borkenkäfers auf die Wälder der Hochlagen zwischen Falkenstein und Rachel zu verhindern.” ((siehe Vorgangsmappe, S. 9))

Es fällt auf, dass beide Absätze merkwürdig unscharf bleiben: Nirgendwo wird festgelegt, mit welchen Maßnahmen der Wald zu erhalten und wie der Käfer zu stoppen sei.

Frau Lödermann geht am 10. Juli 1997 vor dem Landtag davon aus, dass mit Borkenkäferbrutbäumen folgendes geschieht:

  1. Sie werden gefällt.
  2. Sie werden entrindet.
  3. Sie bleiben liegen.

Frau Lödermann:

“Es ist mir nicht leicht gefallen zuzustimmen, dass in den Hochlagen des Erweiterungsgebietes ohne Chemie, sondern nur durch das Fällen von Bäumen und das Entfernen ihrer Rinden die Borkenkäfer bekämpft werden sollen; die Bäume sollen auch liegenbleiben.” ((Plenarprotokoll, S. 6124, linke Spalte, letzter Absatz, Hervorhebung von mir))

Auch der zuständige Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet scheint anfänglich von diesen drei Maßnahmen ausgegangen zu sein. Bei seiner Teilnahme an der Nationalpark-Fachbeiratssitzung im Hans-Eisenmann-Haus in Neuschönau am 23. Januar 1997 sagt er:

“Die Borkenkäfersituation werde man dagegen besonders im Auge behalten und bei Gefahr in den Hochlagen die Bäume fällen, entrinden, aber liegen lassen.” ((Der Erweiterung des Nationalparks steht nun fast nichts mehr im Wege, Passauer Neue Presse vom 24. Januar 1997))

Er betont eigens das Liegenlassen: “aber liegen lassen”. Eine Woche nach der Landtagssitzung fasst die Süddeutsche Zeitung den Paragraphen interessanterweise so zusammen:

“Den Bedenken und Protesten aus der Bevölkerung trugen die Parlamentarier im neuen Paragraphen 14 der Verordnung Rechnung: Demnach ist im Erweiterungsgebiet, wenn nötig, bis zum Jahr 2017 auf den Hochlagen der Berge Falkenstein und Rachel die Bekämpfung des Borkenkäfers durch das Fällen und Entrinden befallener Bäume erlaubt.” ((Neues Leben in der Todeszone, Süddeutsche Zeitung vom 19. Juli 1997, Hervorhebungen von mir))

Wie selbstverständlich geht Autor Rolf Thym davon aus, dass die Bekämpfung nur das Fällen und Entrinden umfasst. Von einem Abtransport der Bäume weiß Thym damals noch gar nichts. Aber irgendetwas muss zwischen der Landtagssitzung am 10. Juli 1997 und dem 31. Juli 1997, einen Tag vor dem Inkrafttreten der neuen Nationalparkverordnung passiert sein. An diesem Tag findet in München eine Pressekonferenz des Forstministers statt. Zunächst läuft alles wie bisher:

“Der Borkenkäfer soll im Erweiterungsgebiet des Nationalparks Bayerischer Wald mit Methoden “wie vor hundert Jahren” wirksam bekämpft werden. Forstminister Reinhold Bocklet erklärte gestern, dass man auf den Einsatz von Großmaschinen und “chemischer Keule” verzichten werde.” ((Käferbekämpfung wie vor hundert Jahren, Passauer Neue Presse vom 1. August 1997))

Im Jahr 1897 gab es nicht einmal Motorsägen! ((siehe Geschichte der Kettensäge bei Wikipedia)) Dann aber kommt der Auftritt von Ministerialrat Wolfgang Sailer:

“Wolfgang Sailer, Ministerialrat im Forstministerium und Projektleiter für die Nationalparkerweiterung ergänzte, der Einsatz von Großmaschinen werde ohnehin “mehr die Ausnahme als die Regel” sein. In Arbeit ist laut Sailer eine Karte, in der Flächen mit Käferbefall eingezeichnet werden. Je nach Grad des Befalls werde sich die Intensität der Bekämpfung richten. Sailer kündigte an, man werde nach einem “Stufensystem” vorgehen: von der Entrindung per Hand bis zum Einschlag mit raschem Abtransport.” ((ebd.))

Das ist der Sündenfall. Hört man genau zu, schließt Sailer hier schon den Einsatz von Großmaschinen nicht mehr aus. Damit korrigiert er seinen Minister in dessen Beisein vor der versammelten Presse. Und Sailer redet zum ersten Mal offen von Abtransport statt von Liegenlassen.

Zwei Wochen später, am 14. August 1997, tritt der Vorgesetzte von Sailer, Ministerialdirektor Dr. Schreyer, in Aktion. Der Leiter der Abteilung F (Wald und Forstwirtschaft, Forstverwaltung) im Forstministerium verdoppelt per Dienstanweisung die Borkenkäferschutzzone rund um den NLP. Er beauftragt Forstoberrat Franz Baierl mit der Käferbekämpfung im Erweiterungsteil des NLPs. Bibelriether wird befohlen, ihm “hierfür de[n] erforderliche[n] Handlungsraum einzuräumen”. ((siehe Dienstanweisung vom 14. August 1997, Punkt 10))

Zehn Jahre später ist eben dieser Franz Baierl zwar immer noch Forstoberrat, aber zum Leiter des Sachgebiets IV “Wald- und Flächenmanagement” im NLP aufgestiegen. Als er nach dem Orkan Kyrill am 5. März 2007 mit “der groß angelegten Aufarbeitungsaktion […] im Zwieseler Winkel” beginnt, erinnert sich niemand mehr an die Versprechungen im Landtag zehn Jahre zuvor:

“Die Motorsägen rattern, was das Zeug hält. 50 Forstarbeiter, zwei Seilkräne und fünf Harvester sind im Nationalpark unterwegs, um den Unmengen von Sturmholz Herr zu werden. […] Soweit es möglich ist, will man das Holz auch abtransportieren, nur in entlegenen Steilhängen werden die Stämme entrindet und liegen gelassen.” ((Sturmholz am Falkenstein wird aufgearbeitet, Passauer Neue Presse vom 21. April 2007))

2007 wird der Holzeinschlag im NLP sein Allzeithoch erreichen: 232.134 Fm. Nur 22.700 Fm davon wurden entrindet und verblieben im Wald. ((siehe Jahresbericht 2007, S. 7)) Das sind 9,8 %. Warum nur so wenig Bäume entrindet wurden, verdeutlicht der dafür benötigte Personalaufwand: 40 Waldarbeiter waren ausschließlich mit der Entrindung beschäftigt. 70 Waldarbeiter fällten mit der Motorsäge 114.000 Fm, die dann abtransportiert wurden. Ein Waldarbeiter kann also 2007 rund 1.630 Fm fällen, aber im selben Zeitraum nur 570 Fm entrinden. Das Fällen geht also dreimal so schnell wie das Entrinden. Hätte man die gesamte Holzmenge entrinden wollen, dann wären dafür über 400 Waldarbeiter nötig gewesen.

Noch schneller sind die Harvester: Nicht fünf, sondern neun dieser Monster werden am Ende im Einsatz sein und 66.000 Fm Fichten fällen: rund 7.350 Fm pro Harvester. Ein Harvester ersetzt 4,5 Waldarbeiter. Oder anders gesagt: Anstelle der Harvester hätte man noch einmal 40 Waldarbeiter einsetzen müssen. Der Einsatz von Harvestern ist 2007 längst nicht mehr die “Ausnahme” (Sailer) von der Regel, er ist die Regel.

NLP-Chef Sinner wird diesen astronomisch hohen Holzeinschlag mit folgender Schutzbehauptung entschuldigen:

“Nationalparkleiter Karl Friedrich Sinner entgegnete, dass die Rechtsverordnung für den Nationalpark diese Bekämpfung vorsehe und sich die Verwaltung lediglich an die Verordnung halte. ‘[…] Es liegt nicht in unserer Hand, diese Rechtsgrundlage zu verändern’, so Sinner weiter.” ((Sturmholz am Falkenstein wird aufgearbeitet, Passauer Neue Presse vom 21. April 2007, Hervorhebung von mir))

Sinner irrt: Diese Bekämpfung mit Waldarbeitern in Kompanie-Stärke, neun Harvestern und Abtransport von 90 % des Holzes sieht die Nationalpark-Verordnung eben nicht vor. § 14 (3) benutzt nicht einmal das Wort “Bekämpfung”.

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