Großkahlschlag am Vorderscheuereckbach

“Deshalb ist meiner Ansicht nach die Erweiterung des Nationalparks überflüssig wie ein Kropf.”
Helmut Brunner in der Sitzung des Bayerischen Landtags vom 10.7.1997

Zur Ideologie der Entwicklungszonen im Nationalparkplan

Wenn Sie bei der NLP-Verwaltung anrufen und nach den Gründen für den Kahlschlag fragen würden, würden Sie als erstens darüber belehrt, dass es sich gar nicht um einen Kahlschlag handelt, sondern um die “Aufarbeitung eines Windwurfs”. Zweitens würde wie aus der Pistole geschossen das Wort “Entwicklungszone” fallen:

“Die geworfenen und gebrochenen Fichten wurden […] in den Entwicklungszonen […] aufgearbeitet.” ((Jahresbericht 2011, S. 4, Hervorhebung von mir))

Es ist etwas Sonderbares mit diesen Entwicklungszonen: Bevor ein NLP eingerichtet wird, behaupten Förster immer, dass ihre Wirtschaftswälder sowas von naturnah und ökologisch und naturschutzfachlich wertvoll sind, dass man überhaupt keine NLPs braucht. ((siehe beispielsweise die aktuelle Stellungnahmen der Bayerischen Staatsforsten zur Einrichtung eines NLPs im Steigerwald)) In den Wirtschaftswäldern wimmelt es praktisch nur so von Methusalembuchen, Mittelspechten und Zottenböcken ((siehe die Pressemitteilung Seltenes Insekt am Dreisessel entdeckt vom 5.10.2013. Insbesondere die Aussagen von Michael Held, Forstbetriebsleiter von Neureichenau, sind typisch.)) und bergeweise türmt sich überall das Totholz mit der Zitronengelben Tramete dran. Kaum aber, dass ein NLP eingerichtet worden ist, entdecken dieselben Förster auf einmal überall Defizite: Dieselben Wälder sind plötzlich sowas von naturfern und menschengemacht und künstlich, dass es Jahrzehnte dauert, bis man sie sich selbst überlassen kann. Bis dahin müssen sie entwickelt, erhalten, gepflegt und gemanagt werden. Mit der Kettensäge. Im NLP Bayerischer Wald bis 2027.

Überhaupt hat man im Bayerischen Wald den Irrsinn der Entwicklungszonen auf die Spitze getrieben. Bescheidet man sich in anderen NLPs mit einer Entwicklungszone, hat  man in Bayern gleich drei. Die Entwicklungszonen 2 a, 2 b und 2 c. In der aktuellen Zonierungskarte haben sie die Farben hellbraun, mittelbraun und dunkelbraun. Die Farbe braun passt ziemlich gut zu Entwicklungszonen:

Die Unterschiede zwischen den Zonen sind so subtil und feingeistig, dass sie vermutlich selbst NLP-Chef Leibl nicht auswendig kennt.

Die Entwicklungszone 2 a umfasst den Hochlagenwald im Falkenstein-Rachel-Gebiet. Der Band “Walderhaltungs- und Waldpflegemaßnahmen” führt dazu aus:

In der Zone 2 a sind bis zum Jahr 2027 wirksame Borkenkä­ferbekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Borkenkäfers auf die Wälder der Hochlagen zwischen Falkenstein und Rachel zu verhindern (§ 14 Abs. 3 NP-VO). ((S. 8))

Keine Definition ohne Verweis auf die entsprechende Rechtsgrundlage: Es ist der entsetzliche § 14 (3) der Nationalpark-Verordnung. ((siehe Die Sitzung des Bayerischen Landtags vom 10.7.1997)) Man könnte diese Zone auch Kahlschlagzone nennen, aber das hört sich nicht so gut an.

Die Entwicklungszone 2 b ist eine sogenannte Schutzzone um den Hochlagenwald:

“In der Zone 2 b sind zum Schutz der Hochlagenwälder des Fal­kenstein-Rachel-Gebiets wirksame Borkenkäferbekämpfungsmaß­nahmen zu ergreifen.” ((a. a. O., S. 9))

Zone 2 b ist also auch eine Kahlschlagzone – aber eben eine, die zum Schutz um die andere Kahlschlagzone herum gezogen wird.

Dann gibt es noch die Entwicklungszone 2 c. Sie liegt zwischen der Zone 2 b und dem Randbereich. Klären wir zunächst, was der Randbereich ist: In der Zonierungskarte ist er hellblau gefärbt. Es ist der bis zu 1000 m breite Schutzstreifen an den Grenzen des Parks, in dem der Borkenkäfer mit der Motorsäge ausgemerzt wird, um die angrenzenden Privatwälder zu schützen. ((siehe Die Verdopplung der Borkenkäferschutzzone 1997)) Das führt dann selbstverständlich wieder zu Kahlschlägen. ((siehe Großkahlschlag am Neubruck)) In der Zone 2 c aber muss weder der Privat- noch der Hochlagenwald vor dem Winzling geschützt werden:

“Für die Ausweisung von Naturzonen sind in den nächsten Jah­ren kontinuierlich die Wälder der Entwicklungszone 2 c der natürli­chen Entwicklung zuzuführen. Laubholz- und Mischbestände sollen dabei zuerst, später dann auch die fichtendominierten Bestände als Naturzone ausgewiesen werden.” ((Walderhaltungs- und Waldpflegemaßnahmen, S. 10))

Ich werde später zeigen, dass der Großkahlschlag am Vorderscheuereckbach in eben dieser Entwicklungszone 2 c stattgefunden hat. Im NLP-Plan steht aber nirgendwo, dass auch in dieser Zone der Borkenkäfer bekämpft werden soll. Kein Wort. Es macht ja auch keinen Sinn: Zum Schutz der Privatwälder gibt es die Randzone, zum Schutz des Hochlagenwaldes gibt es Zone 2 b. In Zone 2 c schweigt die Kettensäge. Dort also keine Kahlschläge! Schließlich sollen ja Wälder als Naturzone ausgewiesen werden und keine Wiesen. Die einzigen Maßnahmen, die der NLP-Plan erlaubt, sind Pflanzmaßnahmen in naturfernen Fichtenreinbeständen. Zone 2 c ist also eine Zone, die kurz davor ist, endlich aus dem Würgegriff der Förster entlassen und Naturzone zu werden.

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