Sinner

“Windwürfe liegen zu lassen und der Natur auf ihre Weise die Erneuerung des Waldes zu überlassen, ist dem Denken und Naturverständnis in Deutschland völlig ungewohnt. Noch in stärkerem Maß gilt das für das Nichtbekämpfen von Borkenkäfermassen-vermehrungen! Auch auf solchen Flächen ‘Natur Natur sein lassen’ – ein neuer differenzierter Wald entsteht auch dort wieder – verlangt ein neues Naturschutz-verständnis.”
Hans Bibelriether ((Hans Bibelriether, Natur Natur sein lassen, in: Peter Prokosch (Hg.), Ungestörte Natur – Was haben wir davon, Tagungsbericht 6 der Umweltstiftung WWF-Deutschland, Husum 1992, S. 94))

 

Statischer Naturschutz

Eberhard Sinner umschreibt den § 14 (3) mit seinen eigenen Worten folgendermaßen:

“Wir sagen aber ganz klar, dass im Erweiterungsgebiet von 11 000 Hektar zwischen Rachel und Falkenstein in den Hochlagen die bisherigen Borkenkäferbekämpfungsmaßnahmen fortgeführt und aktive Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit ein Übergreifen der Borkenkäferkatastrophe auf den landschaftlich und mit seinen Fichtenrassen wertvollen Hochlagenwald, der jetzt neu zum Nationalpark hinzukommt, für die nächsten 20 Jahre zuverlässig verhindert wird.” ((Protokoll, S. 6121, rechte Spalte, 2. Absatz))

Das Ziel ist also, die Fichten des Hochlagenwaldes vor dem Borkenkäfer zu schützen. Damit bekennt sich Eberhard Sinner, ohne dass es ihm bewusst ist, zu einem veralteten Naturschutzkonzept. Dieses ist:

  • statisch,
  • konservierend,
  • museal,
  • anthropozentrisch,
  • exklusiv und
  • eliminatorisch.

Wie in einem botanischen Garten sollen die Fichtenrassen für alle Zeit konserviert werden. § 14 (1) der NP-VO wird lauten:

“Der Hochlagenwald […] ist als genetisches Potential einer autochthonen Kaltklimafichtenrasse der Mittelgebirge schützenswert.” ((§ 14 (1) NP-VO))

Dass diese “Kaltklimafichtenrasse” ein Forstmärchen ((zum Begriff des Forstmärchens siehe Hans Bibelriether, Forst- und Holzmärchen heute, in: Nationalpark 2, 2008, S. 14-16 )) ist und dass es eine solche gar nicht gibt, werden genetische Untersuchungen im Jahr 2013 belegen. ((siehe Fällt der Schutzparagraf für den Hochlagenwald im Nationalpark?, Pressemeldung Bayerwald Bote vom 20.04.2013)) Dass damit die Begründung des § 14 hinfällig ist, stört 16 Jahre nach seiner Verabschiedung niemanden.

Der Wald soll genau so erhalten werden, wie er jetzt aussieht. Überhaupt soll alles so weitergehen wie bisher: Die “bisherigen Borkenkäferbekämpfungsmaßnahmen [sollen] fortgeführt” werden. Bezeichnend ist auch das Adjektiv “landschaftlich”: Der Wald ist landschaftlich wertvoll und eben nicht ökologisch. Der Hochlagenwald ist ein “Kulturwald”. Dies ist die beschönigende Umschreibung für einen Wirtschaftswald. Horst Stern nannte ihn einen “öden Holzacker”. ((Horst Stern: Bemerkungen zu einem sterbenden Wald)) Er ist ökologisch so wertvoll wie ein Kartoffelfeld. Beispielsweise fehlt ihm das Totholz, wie Forstdirektor Sinner aus eigener Erfahrung weiß: “Abgestorbene Bäume gibt es in unseren Wäldern relativ selten.” Das würde der Borkenkäfer ändern, aber das darf er nicht. Denn das wäre eine “Borkenkäferkatastrophe”. Der Borkenkäfer gehört nicht in den Hochlagenwald: Als verhasster Forstschädling wird er ausgeschlossen. Am liebsten würden die Förster ihn ausrotten.

Bemerkenswert ist, dass Eberhard Sinner bereits 1997 ausplaudert, dass es Pläne für einen zweiten Schutzstreifen gibt. Damit meint er nicht den Schutzstreifen rund um den NLP, sondern einen, der sich “unterhalb der Hochlagen in den Hanglagen” ((Protokoll, S. 6121, linke Spalte, 4. Absatz)) befindet. Erst zehn Jahre später wird Umweltminister Schnappauf einen solchen Schutzstreifen einrichten: Nach Kyrill wird ein 500 m breiter “cordon sanitaire” um die wenigen Windwürfe gezogen, die nicht geräumt werden. ((siehe Der Entscheid von Umweltminister Schnappauf vom 10. Mai 2007)) Offensichtlich lagen solche Pläne bereits 1997 in den Schubladen von Ministerialrat Wolfgang Sailer oder Ministerialdirektor Dr. Schreyer im Forstministerium.

Was Prozessschutz ist, das begreift der “CSU-Forstexperte” ((In den Bayerwald-Hochlagen stehen die falschen Bäume, Passauer Neue Presse vom 13. November 1997)) Sinner nicht. In seiner gesamten Rede gelingt es ihm nicht ein einziges Mal, den Prozessschutz richtig zu beschreiben:

“Trotzdem muss man von der Zweckbestimmung des Nationalparks ausgehen, die letzten Endes ein von menschlichen Einflüssen weitgehend freies Wachsen von Wald und Natur vorsieht.” ((Protokoll, S. 6120, linke Spalte, 3. Absatz))

Die Formulierungen “letzten Endes” und “weitgehend” kann man getrost streichen. In den Kernzonen darf Natur Natur sein. Punkt.

“Nur muss man damit rechnen, dass sich die Natur nicht an das hält, was wir in Verordnungen beschließen und was unseren ästhetischen, ökologischen oder ökonomischen Vorstellungen entspricht.” ((Protokoll, S. 6120, linke Spalte, 3. Absatz))

In einem NLP gibt es überhaupt keine Verordnungen, an die sich die Natur halten muss. Sinner begreift einfach nicht, worum es in einem NLP geht. Seine Begründung dafür, dass im Altpark zwischen Rachel und Lusen der Borkenkäfer nicht mehr bekämpft werden soll, ist symptomatisch. Die “Käferinvasion” sei “zu weit fortgeschritten”:

“[…] denn andernfalls würde der Wald durch Maschineneinsatz vernichtet. Das wäre der Tod des Nationalparks durch forstliche Eingriffe: die internationale Anerkennung würde gefährdet.” ((Protokoll, S. 6121, linke Spalte, 2. Absatz))

Wäre die “Käferinvasion” noch im Anfangsstadium, Eberhard Sinner hätte keine Skrupel gehabt, den Status der Kernzone für den Altpark aufzuheben und “forstliche Eingriffe” zu tätigen.

 

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